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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 50.1934-1935

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Christoffel, Ulrich: Über die große Münchener Kunstausstellung 1935
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https://doi.org/10.11588/diglit.16482#0283

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Henny Protzen-Kundmüller. Stilles Land

Große Münchener Kunstausstellung 1935

einer romantischen oder doch stilhaft erhöhten
Darstellung des Menschen zu gelangen.
Wenn man in der allgemeinen Abteilung nach
Bildformen sucht, die eine neue Empfindung, etwas
was früher in diesem Ton und in dieser Auffas-
sung nicht gemalt wurde, wiedergeben, so bleibt
man vor den Winterbildern stehen, die in der
Neuen Pinakothek und im Ausstellungspark durch
Pietzsch, Schinnerer, Unold, Stützer, Protzen, Prot-
zen-Kundmüller. Lamprecht. Aleisenbach, Schwal-
bach, Doli. Croissant und Panizza so verschieden-
artig im Stil und so einheitlich in der Naturstim-
mung vertreten werden. Wie der Schnee auf roter
Erde zwischen Tannen liegen bleibt, wie der Vor-
frühling in den Bergen seine zerrissenen Flecken-
muster von Schneezungen in die Landschaft zeich-
net, wie Dorf- und Stadtstraßen in der frostigen
oder halbaufgeweichten Schneewattierung ihr Aus-
sehen verändern, oder wie der tiefe Winter Wald.
Ebenen und Täler in bleiche, stumpfe Schatten
hüllt und alles Naturleben einschläfert, dies sind
nur Abwandlungen desselben Verlangens nach Na-
turverschlossenheit, nach einem nächtlichen Ent-
rücktsein der Natur, nach stummen, verschwiege-
nen, einsamen Malerstunden, und dieses Verlangen
hat im Gegensatz zu dem optimistischen, blauvio-
lettstrahlenden Schneebild des Impressionismus

einen ganz neuen malerischen Naturausdruck ent-
stehen lassen. Es ist unschwer festzustellen, wie
diese stimmungsmäßige Verschleierung der Natur
und das Zugezogensein des Lichtes im Winterbild
die heutige Landschaftsmalerei überhaupt weithin
bestimmt. Es braucht nur an Gött erinnert zu wer-
den. Und auch das merkwürdige Nachtstück von
Wilhelm Heise in der Neuen Pinakothek, der Stigl-
maierplatz mit der Wirrnis des abendlichen Ver-
kehrs, dem Schwarz des Himmels und der Schein-
werferstrahlung der Bogenlampen. Autolichter und
Fensterbeleuchtungen, ist umfangen von dieser
Empfindung für das geschlossene Bild, das die
Welt mehr ahnend als sehend, mehr intuitiv dun-
kel als wissenschaftlich bewußt erkennen und ma-
len möchte. Das Bild von Heise ist auch neben den
Zeichnungen von Anton Sailer einer der wenigen
Versuche, die Landschaft der innern Stadt male-
risch topographisch darzustellen, was die meisten
Maler und Zeichner vor 100 Jahren, wie die schöne
Ausstellung im Städtischen Historischen Museum
wieder zeigt, als eine ihrer nächsten Aufgaben be-
trachtet haben. Die heutige Romantik strebt aber
aus der gesellschaftlichen Gebundenheit der Stadt
hinaus in eine Natur, die noch vom Atem des Ur-
weltlichen berührt ist, und dieMalerei findet diesen
Zustand im Winter verwirklicht.

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