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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 50.1934-1935

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Born, Wolfgang: Der Bildhauer Fritz Wotruba, Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.16482#0236

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B Kunstbibliothek
Staatliche Museen

Fritz Wotruba. Großer stehender Mann

Der Bildhauer

Fritz Wotruba, Wien

Von Dr. Wolfgang Born

Wien gilt als die Stadt des Kunstgewerbes und der
Dekoration. Aber diese Formel ist zu eng gefaßt.
Denn die reizvollen Erzeugnisse der Wiener Ge-
schmacksindustrie sind nur kleinere Schößlinge des
architektonischen Geistes, der den Grundzug des
Wiener Kunstwollens bildet. Diese architektonische
Gesinnung gibt sogar den besten Boden für die Ent-
wicklung der Monumentalplastik ab. Beispiel: das
Lebenswerk Anton Hanaks.

Der formschöpferische Trieb, den wir hier als archi-
tektonisch gekennzeichnet haben, ist Erbgut und als
solches zeitlos. Die junge Generation in Wien hat
an ihm keinen geringeren Anteil als die ältere. Der
Zeit g e i s t allerdings hat sich gewandelt, und mit
ihm auch die Kunstsprache. An die Stelle der Ek-
stase, der musikalischen Beschwingtheit tritt die
Schwermut, das dumpfe Erdgebundensein eines
Geschlechtes, das es schwer hat. Da ist denn kein
rhythmisches Spiel der Bewegung mehr möglich,
keine sinnliche Freude an der Erscheinung. Die
Masse spricht für sich, ungefüge und blockbaft. Der
Werkstoff gibt sich, wie er ist: rauh und spröde.
Fritz Wotruba, heute noch nicht 50 Jahre alt.
wuchs in diese Vorstellungswelt mit der größten
Selbstverständlichkeit hinein. Dadurch aber war
schon der Gegensatz zu Anton Hanak gegeben, der
— mit einer gewissermaßen schicksalhaften Not-
wendigkeit — sein Lehrer wurde.
Der junge Mensch war Metallarbeiter. Die Idee.
Bildhauer zu werden, hatte ihn bereits in frühester
Jugend gepackt. Ein Buch mit Reproduktionen nach
Michelangelo gab ihm die erste und entscheidende
Vorstellung von bildnerischem Ausdruck. Mit 15
und 16 Jahren lernte er im Abendakt der Wiener
Kunstgewerbeschule den menschlichen Körper zeich-
nerisch beherrschen. Tagsüber arbeitete er als Lehr-
ling in einer Werkstatt. Als er dann von Hanak in
seine Bildhauerklasse aufgenommen wurde, wußte
er mit dem Material bereits umzugehen. Zwei Jahre
brachte er bei dem Meister zu.

Aber er war zu eigenwillig, um weiterhin Schüler
zu bleiben. Ein Versuch, in der Klasse Prof. Stein-
hofs weiterzuarbeiten, endete vorzeitig. Schließlich
versuchte er sich auf eigene Faust. Eine große

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