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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 50.1934-1935

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Schinnerer, Adolf: Zu den Bildern von Edvard Munch
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https://doi.org/10.11588/diglit.16482#0122

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Edvard Münch. Stürmische Nacht

Zu den Bildern von Edvard Münch. Von Adolf Schinnerer

Als die Regierung des Deutschen Reiches dem Nor-
weger Edvard Münch im Dezember 1955 zum
siebzigsten Geburtstag gratulierte, durfte sie des
Beifalls der kunstverständigen Deutschen sicher
sein, die im Kunstwerk den Form gewordenen
Geist eines Volkes, einer Rasse sehen, nicht nur die
Leistung eines in einer bestimmten Richtung aus-
gebildeten Talentes. Das Virtuose ist untrennbar
mit dem bedeutenden Künstler verbunden, aber das
unterscheidet den Künstler vom Virtuosen, daß er
das beherrschte Instrument als Mittel gebraucht,
um ein Verborgenes, Inneres zur Darstellung zu
bringen. Runge hat es in einem Brief so gesagt:
„Ich habe mich immer von Jugend auf danach ge-
sehnt, Worte zu finden oder Zeichen oder irgend
etwas, womit ich mein inneres Gefühl anderen
deutlich machen könnte." Wäre Münch nur ein

Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf unsere früher
gebrachten großen Aufsätze über den Künstler im Juniheft 1916,
im Juniheft 1920 und im Dezemberheft 1926.

Virtuos, so würde er bei der Kühnheit, Eigenart
und Folgerichtigkeit seiner Leistung in der ganzen
Welt sprichwörtlich geworden sein. Nun ist es aber
so, daß wir uns nur schwer vorstellen können, daß
etwa ein Franzose mit Passion Gemälde von Münch
sammelt, obwohl dieser den Franzosen manches
verdankt. Er teilt dieses Schicksal mit allen germa-
nischen Künstlern der neueren Zeit. Dafür spüren
und begreifen wir Deutsche aber um so tiefer die
überzeitliche Größe seiner Leistungen, wir wissen,
daß er unseren Vorstellungsschatz von der Natur
und vom inneren Wesen des Menschen erweitert
hat und wir sehen in seiner Darstellungsweise sehr
verfeinerte Mittel, um das auszudrücken, was auch
uns seit Jahrhunderten auszusprechen drängt. V\ ir
bewundern ihn nicht nur, wir haben ihn unverlier-
bar in uns aufgenommen.

Wir werten heute unsere deutsche realistische Ma-
lerei seit 1870 als eine wichtige Periode der deut-
schen Kunst, aber können wir hoffen, sie heute, in
einer von Grund auf veränderten geistigen Situa-

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