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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 50.1934-1935

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Praehauser, Ludwig: Schicksale einer Madonna
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https://doi.org/10.11588/diglit.16482#0121

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neues Interesse: Michael Pacher"). Man weiß ja.
wie die Darstellung der Raumtiefe von Mantegna
her besonders stark in die Tafeln in St. Wolfgang
hineingewirkt hat. Aber bei aller ihrer Meister-
schaft vermißt unser Gefühl in ihnen etwas, was
in den Hauptgestalten seiner Schnitzwerke unsere
Seele zwingend bewegt. Wie in ihnen des Meisters
ursprüngliches Wesen in seiner freigebliebenen
Unabhängigkeit spricht, dafür haben wir neuer-
dings einen Beweis in seiner Madonna der Salzbur-
ger Franziskanerkirche. Innerhalb des barocken
Altarbaues allzusehr eingehender Betrachtung ent-
rückt, wird uns das Werk nun erst durch Nahauf-
nahmen, die im vergangenen Sommer gemacht
wurden, wirklich vertraut.

Die Figur ist der Rest eines großen, des letzten
Altarwerkes, das der Meister von Bruneck geschaf-
fen hat. Aber es sind nicht etwa Schicksale durch
kriegerische Gewalt, die uns den Altar genommen
und die nach dessen Vernichtung immer wieder die
Madonna bedroht haben. War doch die Stadt Salz-
burg selbst zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges
ein Hort gesicherter Ruhe und vielen eine schüt-
zende Zuflucht geworden, ja die Altöttinger Mutter
Gottes ward 1648, als Bavern von den Schweden
besetzt war und Kurfürst Maximilian nach Salz-
burg flüchten mußte, auch nach Salzburg gebracht
und in der Stadlpfarrkirche, eben der heutigen
Franziskanerkirche, aufgestellt worden, bis die
Schweden wieder abgezogen waren. Die Schicksale,
die dieses Meisterwerk deutscher Schnitzkunst zu
erdulden hatte, hingen zusammen mit der Wand-
lung des Zeitgeschmacks, mit der Macht der Kunst-
mode.

Der Altar für die Liebfrauen-Stadtpfarrkirche in
Salzburg war, nach erhaltenen Dokumenten, 1484
bei Michael Pacher in Bruneck bestellt und nach
Fertigstellung 1498 an die Erben mit 5300 rheini-
schen Gulden bezahlt worden. Von 1495 bis 1498
hat der Meister in Salzburg daran gearbeitet. Aber
sein Werk erstand in einer Zeitwende, die auch
eine Kunstwende brachte, und bedenken wir, daß
der Erzbischof Wolf Dietrich selbst ein allzu tat-
lustiger Protektor des neuen Kunststils war, auch,
daß die Reformation die Marienverehrung zurück-
gedrängt hatte, so können wir begreifen, daß die
Würdigung dieses Werkes, das noch einmal die
Innerlichkeit der Gotik in ihrem ganzen lieblichen
Zauber offenbart, bald nachließ und schließlich er-
losch. Schon 1615 war die Madonna und jedenfalls
auch das Kindlein mit wirklichen Gewändern an-

*) In den letzten .Tahren sind über ihn drei neue Bücher erschie-
nen: von H. v. Allesch (Inselverlag), von Eberhard Hempel (Fil-
ser) und von Aurel >chwabik (Bruckmann),

getan, so daß nur noch Kopf und Hände sichtbar
waren. 1709 wurde ein barocker Altar aufgestellt
(der Entwurf wird Fischer von Erlach zugeschrie-
ben) . Unter den Beiträgen für den neuen Altar
finden sich 512 Gulden vom Kammerdiener des
Dompropstes: der fromme Spender hatte sie gewon-
nen aus dem Erlös für das abgeschabte, ausgesot-
tene und gereinigte Gold und Silber des gotischen
Altars, der als „pervetustum et ruinosum'1 preisge-
geben worden war. Aber die Madonna durfte doch
verbleiben, freilich mit prangenden Stoffen ver-
hüllt. Wann aber das echte Kindlein der Mutter
genommen worden, läßt sich nicht sagen. Es war
dann wieder der Kunstsinn der Romantik, demzu-
folge um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts
die Franziskaner das Kunstwerk des Mittelalters
aus dem barocken Kleidertand befreiten und der
Mutter statt der Zutaten von Krone und Szepter
eine Traube in die rechte Hand gaben: so wurde
das Werk wieder in seiner reinen gotischen Gestalt
zur Wirkung gebracht. Das Kindlein aber war da-
mals schon nicht mehr das des Meisters. Es war
kniend, weshalb die ursprünglichen Schoßfalten
der Mutter weggeschnitten waren. Und wenn man
vernimmt, daß die Arme des falschen Kindleins
vom Körper abgetrennt und mit Scharnieren ver-
sehen waren — die Kleidchen wurden ja zu den
verschiedenen Kirchenfesten gewechselt — daß
eine ,,echte" Haarperücke das skalpierte Köpfchen
bedeckte, können wir verstehen, daß man seinerzeit
wie 1890 dieses, ein so ruinös gewordenes Körper-
chen nicht mehr geachtet, sondern vernichtet hat.
Das heutige Kindlein sitzt auf dem linken Knie,
schaut zu den Andächtigen hinunter, die Mutter
hält in der Rechten die Traube, aber ihrem Blick,
durch den Meister sicherlich mit ihrem Kinde ver-
bunden, ist das Ziel genommen. Zwar soll es die
Regel sein, daß eine Mutter mit der Linken des
Kindes Köpfchen hält, und dem scheint in der Tat
die Mehrzahl der Madonnengestalten zu folgen,
doch gibt es genug Beispiele für das Gegenteil und
dahin dürfen wir auch diese Mutter zählen: Blick
und Neigung des Kopfes, dann die Haltung der
rechten Hand, endlich die Verteilung der Gewand-
faltung lassen keinen Zweifel darüber, wo des Kin-
des Köpfchen zu denken ist. Ja vielleicht — der ur-
sprüngliche Faltenverlauf auf dem Schöße spricht
dafür — war das Kindlein mehr in der Schwebe
gehalten, als daß es auf dem Schöße lag. Dies ent-
spräche der frischen Lebendigkeit des Werkes, in
der das gesund Körperhafte ganz von Seele durch-
drungen ist. Und diese ganz innerlich verwurzelte
Gestaltung mag wohl auch mitgeholfen haben, daß
die liebliche Schöpfung seinerzeit vor der Vernich-
tung bewahrt geblieben ist.

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