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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 50.1934-1935

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Christoffel, Ulrich: Ton und Licht in der Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.16482#0099

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tigkeit durchglüht und ihre erdige Trübe auf-
zehrt. Jedes Bild unterscheidet sich durch Klang.
Fülle und Empfindung des Tones, der das male-
rische Erleben bewirkt. Wenn man ein Bild be-
trachtet, muß man zuerst seinen malerischen Ton
in sich aufnehmen. Wer könnte die stimmungsvolle
Verhaltenheit in Jan van Eycks Arnolfinibildnis,
das stille Frühlingswehen bei Antonello da Mes-
sina. die beklemmende Feierlichkeit in Teonardos
,,Anbetung der Könige" je vergessen. Oder Grüne-
walds zuckendes, wundes Rot und starres Weiß,
die vulkanischen Flammen bei Rubens, den wei-
chen Schmelz van Dycks, den bläulichen, schleie-
rigen Schimmer Claudes, das silbrige Grün Dela-
croix', das wolkige, wogende, innerlich durch-
leuchtete Braun Murillos und Rembrandts oder
das bleiche, melancholische Mondlicht in Watteaus
Gilles und das kühle, vergeistigte Grau und
Schwarz bei Hals, Holbein, Moro, Moroni und
Velasquez. Der malerische Ton liegt oft wie ein
goldener oder grünlicher Staub über den Bildern,
bald steigt er aus der Tiefe der Farben empor
oder er schwebt wie ein Schatten durch den Bild-
raum und läßt nur einen Teil des Bildes, etwa
eine Hauptfigur, eine Vase mitBlumen, ein schlum-
merndes Tier oder ein Stück Himmel ganz beseelt
erscheinen. Dieser malerische Ton bedeutet mehr
als das tonige Behandeln der Farbe im Helldunkel,
wie es zur Meisterschaft der alten Niederländer
und Venetianer, der Rogier van der Weyden,
Bouts, Goes, Carpaccio, Bellini und der neuern
Realisten von Courbet bis Menzel gehört. Der ma-
lerische Ton ist Sättigung, Wärme und Belebung
des ganzen Bildes. Er füllt die Farbe wie eine
Geige den Kirchenraum.

Der Ton neigt der Ruhe und Versunkenheit zu,
aber er wird bewegt durch das Licht, das das gei-
stige, tätige, phantasievolle Element der Malerei
ist. Das malerische Licht flieht die Greifbarkeit
und Gestalt der Dinge. Es wird faßbar nur in
seinem Wirken, wenn es die Tonfülle der Farben
im dramatischen Spiel der Kontraste zu märchen-
haften Klängen und Schönheiten anschwellen oder
wieder zu mildem Schein verklingen läßt. Das Licht
lebt im Helldunkel, und dieses steht über den Far-
ben wie ein Gewittersturm über einer sonnigen
Landschaft. Aus der Bewegung der Lichter und
Schatten entstehen alle malerischen und graphi-
schen Geschehnisse. Große Maler sind immer auch
große Graphiker, und die Holzschnitte und Kupfer-
stiche der Passionen Dürers, die Radierungen Rem-
brandts, die Aquatinta-Drolerien Goyas und die
Lithographien Delacroix' sind Urbilder des Male-
rischen. Das malerische Licht hat seine Quelle im
Auge des Künstlers, aber es ist auch abhängig
vom natürlichen Licht der Sonne und der Wolken.
Jeder hat schon in der Morgenfrühe eine Kirche
oder ein Museum aufgesucht und miterlebt, wie
die Farben der Bilder beim ersten Aufleuchten der
Sonnenstrahlen erwachen und aus ihrer Schatten-
hülle in unberührter Frische hervorglänzen, wie
das Pinselgewebe sich mit neuen Säften füllt, wie

das Gold aufblitzt und das Blau sich weitet. Die
Träume, die die alten Meister ihren Werken an-
vertraut haben, erwachen im Licht und schauen
uns rätselhaft an. Aber auch das Auge des Be-
schauers hat die Kraft, die Bilder zum Sprechen
zu bringen und ihre Schönheit zu lösen.
Das malerische Licht hat nichts gemein mit dem
artistischen Lichteinfall, durch den der Künstler
die Körper modelliert und die Komposition rundet,
oder mit jenen grellen Schattenkontrasten, die bei
manchen Barockmalern oft eine Lnsicherheit der
Anschauung zu verbergen haben. Wenn in den
Nachtstücken der Geburt Christi und der Befrei-
ung Petri bei David. Altdorfer, Baidung, Correg-
gio und Raffael Mondlicht, überirdischer Glanz
und Feuerschein sich mischen und die Schatten ge-
spenstisch an kahlen Mauern flackern, die Men-
schen fremdartig von unten her beleuchtet werden,
sind das weniger malerische als theatralische Licht-
wirkungen, die wie die Kunststücke des Honthorst,
der etwa eine Alte den Kerzenschein abblenden
läßt, daß das Licht grell auf das Fleisch der Toch-
ter fällt, zu den romantischen Taschenspielereien
der Manieristen gehören. In der Verkündigung
Lippo Lippis gleitet die Taube auf goldenen Strah-
len zur Maria nieder, bei Grünewald schwebt sie
als zitternder Lichtschein im halbdunklen Kapel-
lenraum. Darin liegt der ganze Unterschied zwi-
schen gemaltem und malerischem Licht. Dieses
Licht ist das zauberische Element, das die Flora
Tizians, die Götter des jungen Rubens, die Hirten
und Nymphen Böcklins und Corots in das reine,
schimmernde Frühlingslicht badet, das das Lächeln
der Madonnen umspielt, die Lippen des Papstes
von Velasquez umzuckt und das Krächzen der Hille
Bobbe durch die Jahrhunderte widerhallen läßt,
das aus den Augen der Tiger von Delacroix blitzt
und im Feuer des Manoah von Rembrandt knistert,
das in beschwingter Seligkeit die Assunta und Im-
maculata und den himmlischen Schwärm der
Engelscharen emporträgt oder in tragischer Schwere
und Dunkelheit die Dornenkrönung Tizians und
den Verlorenen Sohn Rembrandts, den Argus des
Velasquez und die Sintflut Poussins überschattet.
Das malerische Licht wogt durch die Wolken Ruis-
daels und die goldenen Nebel Cuyps, schlummert
über den bleiernen Wassern Böcklins und den stil-
len Meeren Claudes, rauscht in den Bäumen
Gainsboroughs und Durets und belebt in Mensch
und Natur alle überirdische, dichterisch erhöhte
Ausdrucksgewalt. In den Bildnissen umgibt das
malerische Licht den Dargestellten mit dem eigen-
artigen Lebensraum, der von jeder Persönlichkeit
ausstrahlt. Kant und Schlegel hielten die Malerei
für die geistigste unter den Künsten, „weil sie in
das Reich der Ideen führt" und sich „den geheim-
nisvollen Dingen anschmiegt1'. Zu dieser geistigen
Hellsichtigkeit gelangt die Malerei durch die
Macht des Lichtes. Das malerische Licht ist wie
die Natur überindividuell, aber wirksam wird es
künstlerisch nur durch die Lebenskraft und die
Phantasie des einzelnen Malers.

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