Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur (50.1934-1935)

Der Weise sagt es und das Gespräch beginnt. Alan
könnte sarkastisch nach dem Alter der jungen
Kunstgelehrten fragen, die über große Porträtisten
Bücher schreiben. Die Maler rings im Kreise hätten
über solche Rede ihren Spaß, wobei sie vergessen,
daß man vielleicht Porträts auch erst im Alter
male n kann.

Alan könnte aber auch das kleine Kunstgespräch so
wenden, daß es alle angeht. Wenn Jensen recht hat
— und der meisten Menschen Erfahrung wird die
seine bestätigen — warum ist es wohl so? Wird uns
erst spät klar, daß die geistigste und ereignisreichste
Landschaft des Menschen Antlitz ist? Müssen wir
erst im eigenen Gesicht schärfere Linien tragen, um
sie nicht nur als Zeichen des Alterns, sondern als
Rune des Lebens gelten zu lassen? Kann das Auge
im glatten Gesicht der Jugend die Furchen, die
Sieg- und Leideszeichen eines Antlitzes nicht deu-

ten? Muß es erst müdegesehen sein am Wirbel und
leeren Trubel der Welt, um das Buch des Menschen-
lebens, das aufgeschlagene Bekenntniswerk eines
Gesichtes, als spannend zu empfinden? Ja. spät erst
verhalten wir den Schritt vor den Porträts, vor den
Angesichtern der Helden und Bettler, der Mütter
und Brüder. Spät erst sehen wir. daß an dieser
Seelenlandschaft Gewitter heraufziehen und Son-
nen scheinen können.

Verhalten wir doch früher den eilig hastenden
Schritt. Nicht so sehr, um unsere Kenntnis der be-
rühmten Porträts zu erweitern (was auch nicht vom
Übel wäre), sondern um die einzige Botschaft, die
von der Seele des Geliebtesten zu uns dringt, recht
zu vernehmen, um die Zeichen recht zu deuten, die
das Leben ins Antlitz des Nächsten gräbt. Wir wer-
den dann nicht zu spät in der Galerie unseres Le-
bens vor den Bildnissen haltmachen.

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