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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 50.1934-1935

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Schmidt, Paul Ferdinand: Michael Pacher: zur 500. Wiederkehr seines Geburtsjahrs
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https://doi.org/10.11588/diglit.16482#0253

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gleicher Unumschränktheit auszu-
drücken wie der des monumental
gesinnten Südens, und nimmt man
die Intimität von Kupferstich und
Holzschnitt hinzu, so mag wohl
die deutsche Bildungskraft der Ita-
liens in jenen glückhaften Jahr-
zehnten zwischen 1470 und 1550
überlegen erscheinen.
Auf dem Höhepunkt dieser Altar-
kunst nun steht in den entschei-
denden letzten Jahrzehnten des
15. Jahrhunderts der Südtiroler
Michael P a c h e r, ein schöp-
ferisches Genie von einem Aus-
maß, wie es in jedem Jahrhundert
nur ein- oder zweimal erscheint.
Man mag ihn mit dem Paduaner
Mantegna vergleichen, wenn man
für das Jahrhundert als ihre je-
weiligen Vorgänger die großen
Erscheinungen Donatellos und
Masaccios in Florenz und Konrad
Witz' in Süddeulschland herbei-
zieht und sich davor hütet, wie es
bei flüchtigem Ansehen leicht ge-
schieht. Mantegna etwa als maß-
gebenden Anreger des Tirolers zu
betrachten. Denn wie nähere Un-
tersuchung zeigt, gehört die wich-
tige Eroberung von Perspektive
und Körperverkürzung in Pachers
Malerwerk diesem selber in Aus-
schließlichkeit an. Der strengen
\ ergleichung offenbart sich über-
raschenderweise die zeitliche und
mathematische h berlegenheit Pa-
chers in der Raumkonstruktion
seiner Bilder, im Innenraum wie
in der Außenperspektive; und die
wissenschaftliche Ableitung seiner
einwandfreien Perspektivkennt-
nisse von dem großen Mathemati-
ker Nikolaus Cusanus ist dadurch
gegeben, daß dieser in den maß-
geblichen Jahren Bischof in Pa-
chers Nachbarort Brixen gewe-
sen ist.

Michael Pacher. Der hl. Michael vom Altar in Bozen-Gries Diese Feststellung eines nordi-

schen Vorsprungs vor den, gerade
in konstruktiven Kenntnissen im-
mer als führend betrachteten Ita-

der drei Künste dabei eine absolute Führerrolle lienern ist freilich nur eine, wenn auch hochwich-
spielt, und in der restlosen Einfügung des Gebildes tige Seite in dem bahnbrechenden Wirken Pachers.
in die Architektur des gotischen Kirchenchors, den Wir sind der Darstellung seiner Arbeit damit vor-
es in den wesentlichen Fällen vollständig ausfüllt angeeilt, wobei das Thema allerdings eine der auf-
bis in die Spitzen des Gewölbes hinauf. Es ist das fallendsten und originellsten Seiten seiner Kunst
Gegenstück zum dorischen Tempel in völliger Um- berührt: denn stets sind die Stärke der Raumwirk -
kehrung der geistigen Dynamik, und die dem lichkeit und das Schlagende seines körperhaften
gleichzeitigen Fresko Italiens entsprechende und Realismus als Ilaupiwerte seiner Wirkung aufge-
gleichwertige Kunstform des deutschen Nordens: fallen und bilden noch heute, wie zu seiner eigenen
nur in ihr vermag sich der germanische Genius mit Zeit, den Anlaß zu schrankenlos bewunderndem

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