gleicher Unumschränktheit auszu-
drücken wie der des monumental
gesinnten Südens, und nimmt man
die Intimität von Kupferstich und
Holzschnitt hinzu, so mag wohl
die deutsche Bildungskraft der Ita-
liens in jenen glückhaften Jahr-
zehnten zwischen 1470 und 1550
überlegen erscheinen.
Auf dem Höhepunkt dieser Altar-
kunst nun steht in den entschei-
denden letzten Jahrzehnten des
15. Jahrhunderts der Südtiroler
Michael P a c h e r, ein schöp-
ferisches Genie von einem Aus-
maß, wie es in jedem Jahrhundert
nur ein- oder zweimal erscheint.
Man mag ihn mit dem Paduaner
Mantegna vergleichen, wenn man
für das Jahrhundert als ihre je-
weiligen Vorgänger die großen
Erscheinungen Donatellos und
Masaccios in Florenz und Konrad
Witz' in Süddeulschland herbei-
zieht und sich davor hütet, wie es
bei flüchtigem Ansehen leicht ge-
schieht. Mantegna etwa als maß-
gebenden Anreger des Tirolers zu
betrachten. Denn wie nähere Un-
tersuchung zeigt, gehört die wich-
tige Eroberung von Perspektive
und Körperverkürzung in Pachers
Malerwerk diesem selber in Aus-
schließlichkeit an. Der strengen
\ ergleichung offenbart sich über-
raschenderweise die zeitliche und
mathematische h berlegenheit Pa-
chers in der Raumkonstruktion
seiner Bilder, im Innenraum wie
in der Außenperspektive; und die
wissenschaftliche Ableitung seiner
einwandfreien Perspektivkennt-
nisse von dem großen Mathemati-
ker Nikolaus Cusanus ist dadurch
gegeben, daß dieser in den maß-
geblichen Jahren Bischof in Pa-
chers Nachbarort Brixen gewe-
sen ist.
Michael Pacher. Der hl. Michael vom Altar in Bozen-Gries Diese Feststellung eines nordi-
schen Vorsprungs vor den, gerade
in konstruktiven Kenntnissen im-
mer als führend betrachteten Ita-
der drei Künste dabei eine absolute Führerrolle lienern ist freilich nur eine, wenn auch hochwich-
spielt, und in der restlosen Einfügung des Gebildes tige Seite in dem bahnbrechenden Wirken Pachers.
in die Architektur des gotischen Kirchenchors, den Wir sind der Darstellung seiner Arbeit damit vor-
es in den wesentlichen Fällen vollständig ausfüllt angeeilt, wobei das Thema allerdings eine der auf-
bis in die Spitzen des Gewölbes hinauf. Es ist das fallendsten und originellsten Seiten seiner Kunst
Gegenstück zum dorischen Tempel in völliger Um- berührt: denn stets sind die Stärke der Raumwirk -
kehrung der geistigen Dynamik, und die dem lichkeit und das Schlagende seines körperhaften
gleichzeitigen Fresko Italiens entsprechende und Realismus als Ilaupiwerte seiner Wirkung aufge-
gleichwertige Kunstform des deutschen Nordens: fallen und bilden noch heute, wie zu seiner eigenen
nur in ihr vermag sich der germanische Genius mit Zeit, den Anlaß zu schrankenlos bewunderndem
230
drücken wie der des monumental
gesinnten Südens, und nimmt man
die Intimität von Kupferstich und
Holzschnitt hinzu, so mag wohl
die deutsche Bildungskraft der Ita-
liens in jenen glückhaften Jahr-
zehnten zwischen 1470 und 1550
überlegen erscheinen.
Auf dem Höhepunkt dieser Altar-
kunst nun steht in den entschei-
denden letzten Jahrzehnten des
15. Jahrhunderts der Südtiroler
Michael P a c h e r, ein schöp-
ferisches Genie von einem Aus-
maß, wie es in jedem Jahrhundert
nur ein- oder zweimal erscheint.
Man mag ihn mit dem Paduaner
Mantegna vergleichen, wenn man
für das Jahrhundert als ihre je-
weiligen Vorgänger die großen
Erscheinungen Donatellos und
Masaccios in Florenz und Konrad
Witz' in Süddeulschland herbei-
zieht und sich davor hütet, wie es
bei flüchtigem Ansehen leicht ge-
schieht. Mantegna etwa als maß-
gebenden Anreger des Tirolers zu
betrachten. Denn wie nähere Un-
tersuchung zeigt, gehört die wich-
tige Eroberung von Perspektive
und Körperverkürzung in Pachers
Malerwerk diesem selber in Aus-
schließlichkeit an. Der strengen
\ ergleichung offenbart sich über-
raschenderweise die zeitliche und
mathematische h berlegenheit Pa-
chers in der Raumkonstruktion
seiner Bilder, im Innenraum wie
in der Außenperspektive; und die
wissenschaftliche Ableitung seiner
einwandfreien Perspektivkennt-
nisse von dem großen Mathemati-
ker Nikolaus Cusanus ist dadurch
gegeben, daß dieser in den maß-
geblichen Jahren Bischof in Pa-
chers Nachbarort Brixen gewe-
sen ist.
Michael Pacher. Der hl. Michael vom Altar in Bozen-Gries Diese Feststellung eines nordi-
schen Vorsprungs vor den, gerade
in konstruktiven Kenntnissen im-
mer als führend betrachteten Ita-
der drei Künste dabei eine absolute Führerrolle lienern ist freilich nur eine, wenn auch hochwich-
spielt, und in der restlosen Einfügung des Gebildes tige Seite in dem bahnbrechenden Wirken Pachers.
in die Architektur des gotischen Kirchenchors, den Wir sind der Darstellung seiner Arbeit damit vor-
es in den wesentlichen Fällen vollständig ausfüllt angeeilt, wobei das Thema allerdings eine der auf-
bis in die Spitzen des Gewölbes hinauf. Es ist das fallendsten und originellsten Seiten seiner Kunst
Gegenstück zum dorischen Tempel in völliger Um- berührt: denn stets sind die Stärke der Raumwirk -
kehrung der geistigen Dynamik, und die dem lichkeit und das Schlagende seines körperhaften
gleichzeitigen Fresko Italiens entsprechende und Realismus als Ilaupiwerte seiner Wirkung aufge-
gleichwertige Kunstform des deutschen Nordens: fallen und bilden noch heute, wie zu seiner eigenen
nur in ihr vermag sich der germanische Genius mit Zeit, den Anlaß zu schrankenlos bewunderndem
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