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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 50.1934-1935

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Grote, Ludwig: Salzburg als romantisches Ideal
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https://doi.org/10.11588/diglit.16482#0329

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Ferdinand Olivier. Blick vom Kapuzinergarten auf Salzburg. 1818.

Bieisliftzeichnung. Dessau, Anh. Gemäldegalerie

Raum ladet zum Verweilen ein. schließt sich jedoch
nicht vom andern ab. sondern öffnet sich zum
nächsten, und so ist jeder nur ein Teil des Allraums,
der alles durchflutet. Pflanzen. Menschen und Bau-
werke umfaßt.

..Alles wird einzeln mit dem ganzen Reichtum sei-
ner Individualität vorgetragen.'" Dieses vom Sturm
und Drang auf die Kunst Dürers geprägte Wort
gilt auch für die Salzburger Zeichnungen vonFerd.
Olivier. Nicht um Stoff, nicht um Funktion, nicht um
Masse und Schwere ist es ihm zu tun. Mit zartem, aber
bestimmtem undzugleichmelodisch geführtemKontur
sucht er die innere Gestalt der Pflanzen und Bäume,
der Berge und Menschen zu fassen. Wohl schwebt
ihm Dürers graphische Kunst als Ideal vor Augen,
aber dessen spätgotische, stählern gespannte Linie
ist vom romantischen Empfinden aufgeschmolzen.
Die Xaturgebilde sind nicht trotzige Auflehnungen
gegen die Macht der Elemente, sind nicht Äuße-
rungen elementarer Kräfte wie die Eichbäume
C. D. Friedrichs, in denen der Geist des Sturms
und Drangs lebt. Die Bäume und Menschen von
Ferd. Olivier erwachsen aus still wirkenden, geisti-
gen Kräften: ,,die Schwermut hat hindurchgeweht,
die Sehnsucht hat's getrieben." Künstlerisch ist
in den Blättern zum Avisdruck gebracht, was
der reifen Romantik als Ideal für das Verhält-
nis von Persönlichkeit und Gemeinschaft vor-
schwebte. Gesetzmäßig ist der Aufbau seiner Zeich-
nungen. Die überlegte Anordnung und Rhythmi-

sierung nach Höhe und Tiefe ist sofort zu erken-
nen, aber in den Grenzen dieser Bindungen kann
das Einzelne frei seine Eigentümlichkeit entfalten.
Für C. D. Friedrich ist die Natur Seele, für Ferd.
Olivier ist sie Geist. Geist, wie ihn Novalis auf-
faßt, als Schweben über Körper und Seele, über
Bewußtem und Unbewußtem, über Gesetz und
Freiheit. So sind die Salzburger Zeichnungen von
Ferd. Olivier viel mehr als bloße Ansichten, es
sind Dichtungen, die. wie jede echte Kunst, in sich
Ferne und Xähe. Fremdheit und Vertrautheit ver-
einen. Achim von Arnim hat in einem Sonett über
eine Berchtesgadener Tandschaft von Olivier das
Schlüsselwort für dessen Kunst gefunden, wenn er
sie „vergeistigte Wirklichkeit nennt:

Ich schließ die Augen, und vor meinen Blicken
Steht noch das Bild und zwingt mich, es zu sehn.
Die Alpenhöhen bleiben glänzend stehen,
Die Wolkenschä-flein ziehn auf ihren Rücken;

End wie der Bach, im Talgrün ungesehen.
Die Ulmen nährt, die seinen Rand umschmücken.
So fühl auch ich in Worten voll Entzücken.
Daß heimlich große Wohltat mir geschehen.

Mich tränkten diese reinen Bergesquellen.

Ich atme Luft, in der die Berge prangen.

Ich horch dem Rauschen aus den Wasserfällen;

Die YVanderzeit ist mir nicht mehr vergangen,
Ich kann die Bergluft mir im Geist bestellen,
Vergeistigt hat mich Wirklichkeit umfangen.

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