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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 56.1940-1941

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Benz, Richard: Bilder zu Brentanos Märchen
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https://doi.org/10.11588/diglit.16489#0178

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seinen Lebzeiten, 1858. herauskam. Die Bilder, die
er entwarf, hat Maximiliane Pernelle und später
Kaspar Braun auf den Stein übertragen. Selt-
samerweise geben sie die reinere Fassung des Mär-
chens, als die späte mit Anspielungen, ja Polemik
überhäufte Erzählung sie gibt; und da sie aus des
Dichters innerster genauester Vorstellung sind, minu-
tiöseste Akribie und schwebender Traum zugleich,
gehören sie zum Wundersamsten, was man schauen
kann; wenngleich sie gewiß in keiner „Kunstge-
schichte" unterzubringen sind nach Stil und Form
— das Märchenreich des spielenden Kindes ist hier
einfach verwirklicht, ist da — eine zeitlose Welt.
Die Verbildlichung des Gockelmärchens durch den
Gesamtkünstler selbst, dem das Zeichnen ebenso zu
Gebote stand wie das Wort und die Musik, ist ein
einzigartiger Fall und kann gewiß nicht als Muster
und einzige Möglichkeit aufgestellt werden zur Illu-
stration der Brentanoschen Märchen. Aber gerade
weil diese Märchen nicht typisch romantisch, nicht
zeitgebunden, sondern zeitlos sind, muß die Bilder-
fülle, die in ihnen lebt, immer wieder auch von
Künstlern späterer Epoche faßbar und gestaltbar
sein.

Selten ist der echte Sinn für das Märchen, zu jeder
Zeit; gar die Bildbegabung dafür, die nicht in ver-
meintlich gutmütigem Herabsteigen in eine niedere
Sphäre besteht, wo man einzig die bunten Kinder-
bilderbücher daheim glaubt, sondern in der wahren
inneren Bereitschaft und Wahlverwandtschaft für
jene zeitlose Dichtungswelt. Zum Zeichen, daß es
auch bei uns noch heute solche Bereitschaft gibt,
legen wir die Blätter einer jungen Künstlerin vor,
deren andere Werke bereits ein völlig eigenes Traum-
leben spiegeln, ein wirkliches Müssen bekunden, das
aus dem uralt-unwillkürlichen „Ich sah" zuzeiten
immer neu hervorspringt.

Petra Clemen besitzt diese Begabung, die dem Mär-
chen aus natürlicher Anziehungskraft begegnet, nicht
zufällig „auch" darauf verfällt auf der Suche nach
irgendwelchen Stoffen zur Illustration. Sie spürt
beim Dichter, wo er zwanghaft schaut, wo der immer
bilderreiche Strom der Erzählung ganz zur gestalt-
haften Szene gerinnt, die als wirkliches Körperbild
beharrt. Und gemäß dem Zeitlosen, das Brentanos
Märchen innewohnt, findet sie eine Form, die nicht
von Kostüm und Lokalität oder vom Stil einer ver-
gangenen Zeit bestimmt ist, sondern bei der Uber-
setzung der Schau ins Bild getreue versunkene Nach-
zeichnung und freie persönliche Auslegung zugleich
ist. Die zwei ausgewählten Bleistiftzeichnungen zu
den Rheinmärchen wie die zwei zu den Italienischen
Märchen empfindet man ebenso als zarte liebende
Einfühlung in die Vorstellungswelt des Dichters,
Wort für Wort, wie als Handschrift ganz persönli-

chen Ornaments, das sich selber ausspricht. Und so
wird jedes dieser Bilder, auch ohne den Text betrach-
tet, zu einem in sich ruhenden Traumgeschehen —
wer das Märchen nicht kennte, würde zunächst durch
das Erstaunliche der Bildfügung angesprochen, deren
scheinbar willkürliche Phantastik im Ganzen durch
die Wirklichkeitstreue im Kleinen und Kleinsten ihre
Notwendigkeit legitimiert — von der Andacht zu
Blume und Tier bis zum herben und unkonventio-
nellen Ausdruck des Frohen oder Rührenden im
Kind- und Jünglingsangesicht, vom verspielt Grotes-
ken bis zur Märchenangst vor dem drohend Dämoni-
schen. In dem ersten Bild führt der Held der Rhein-
märchen, der geheime Prinz und irdische Müller
Radlauf die schöne Prinzessin Ameleya auf seinem
blumengeschmückten Esel daher, die Traumblume der
Königskerze tragen sie in Händen, vor der Uferland-
schaft des Rheins. Im zweiten Bild lockt Prinz Maus-
ohr als Rache für den Tod seines Bruders Rattenkahl
die Kinder von Mainz mit seiner Pfeife in den Rhein
— man sieht die Kinder sich zum Flötenton zum
Tanze schürzen, sieht sie sinken und ertrinken, sieht
schon das leere Hütchen auf den Wellen schweben,
durch die sie unten dann ins gläserne Schloß zum
Vater Rhein gelangen. — Die beiden andern Bilder
entstammen den italienischen Märchen; das erste der
Rahmenerzählung vom „Liebseelchen". das vom
Grabmal des steinernen Prinzen Röhropp, nach der
Verheißung der Inschrift, ein Gefäß mit ihren Trä-
nen vollweinen soll, ihn zu erlösen, und das treue
Roß weint voll Mitleid dazu; aber die böse Mohrin
wird zur Schlafenden treten, die letzten Tränen ins
Gefäß weinen, die es zum Überlaufen bringen, und
der erwachende Prinz wird die Mohrin heimführen.
Das zweite Blatt ist aus dem herrlichen ,,Schulmeister
Klopfstock'': Die fünf Söhne Klopfstocks haben die
Prinzessin Pimperlein aus der Gefangenschaft des
Riesen Knarrasper befreit und führen sie im Boot
mit ihrem Narren über den See: aber Knarrasper
ist erwacht, kommt angeflogen, „flatter, flatter,
flatter", und will sie alle mit dem großen Glocken-
klöppel erschlagen, als der Pfeil des Bruders Piff-
paff ihn trifft.

Diese Märchennamen mußten genannt, diese Szenen
kurz beschrieben werden, nicht um die Bilder zu er-
klären, sondern um einmal wieder aus nur wenigen
Stücken einen Begriff von der Wunderwelt des Bren-
tanoschen Märchens zu geben und die Vorstellung
aufleuchten zu lassen, wie schön es wäre, sie in ihrem
ganzen Umfang mit diesen Bildern sich ausbreiten
zu lassen: in einem Buch als spätem Denkmal der
Verbildlichung, wie auch eine nachromantische Zeit
es zu geben vermag, wo durch seltsame Lebensfügung
die Romantik selber die Erfüllung andern Zeiten
offen ließ.

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