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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 56.1940-1941

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Christoffel, Ulrich: Zu den Wandbildern von Karl Heinz Dallinger
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Müller-Hofstede, Cornelius: Theodor von Gosen, Breslau, in seinen neuen Arbeiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.16489#0350

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Art des Aufziehens der Reben sach- und landeskundig
angedeutet. Zur Charakterisierung der Landschaft
erscheint als Bildgruppe eine Herde von Stieren bei
den Ziehbrunnen der einsamen Pußta, begleitet von
einem berittenen Hirten in der prächtigen ungari-
schen Tracht, und auch hier wird die Bilderbogen-
wirkung des Ganzen durch die rhvthmische Linien-
führung und einen abgestuften Parallelismus der
Formen erzielt. Versiegte Quellen der Volkskunst
werden aus gutem Erbe durch diese Art des Wand-
schmuckes neuaufgedeckt. In England ist es der
Kaufmann, der den bittern Whisky an den kenneri-
schen Kunden verkauft, und in gut durchgeführtem
Kontrast ist auch in diesem Bilde die Atmosphäre
des Landes zur Anschauung gebracht. Spanien und
Portugal schließen sich an. wo die Weine von Porto.
Jerez und Malaga unter der heißen Sonne reifen und
wieder vornehmlich für den englischen Bedarf und
Geschmack zubereitet werden. Landesüblich trägt
hier der Esel die Körbe mit den Trauben und folgt

vom Burghügel auf steinigem Pfad an den "Wein-
bergen vorbei heruntertrabend der Magd, die einen
Korb mit Trauben auf dem Kopfe trägt. Der Kontur
der Schreitenden und die Bewegtheit der Falten er-
geben den dekorativen Takt, der das Bild erfüllt. Die
Felder neben und zwischen den Fenstern sind den
französischen Weingebieten der Champagne, wo die
kunstvolle Pflege der Kellerung das süße Prickeln
des Getränkes hervorruft und der Garonne um Bor-
deaux eingeräumt, wo der Winzer' mit Sorgfalt den
Weinberg betreut und milde Lüfte den Trauben den
zarten Duft schenken. Mit dem letzten Bilde des Me-
raner Saltners aus dem burgenreichen Bozener Land
wird die Grenzscheide bezeichnet, wo aus nördlicher
Bergkraft südliche Herbe gärt. Diese einzelnen Bil-
der, jedes für sich erdacht und der jeweiligen Rah-
menweite angemessen, finden sich in Ton und Figu-
renkreis zusammen zu einem einheitlichen Zyklus,
der den Raum der Geselligkeit begrenzt und weitet.

Theodor von Gosen, Breslau, in seinen neuen Arbeiten. Von Cornelius Müller-Hofstede

In den letzten Arbeiten Theodor von Gosens kommt
etwas zum Ausdruck, das uns weniger das Ergebnis
einer Entwicklung im geläufigen Sinne des Wortes
als der geläuterte Ausgleich von künstlerischen Span-
nungsgegensätzen erscheint, die Gosens ganzes Schaf-
fen begleitet haben. Es sind zwei Elemente, die sich
in ihren Extremen, wenn sie als solche auch kaum
in Erscheinung getreten sind, kurz dahin definieren
lassen: einmal der kunstgewerblich ornamentale Zug.
der in zahlreichen Arbeiten von Gosens besonders in
seinen frühen Bronzearbeiten sich äußert. Noch be-
deutsamer ist jedoch ein zweiter Umstand, der zu-
gleich ein tragendes Element in seinen Werken wer-
den sollte: die immer mehr wachsende Einsicht in die
tektonischen Kräfte des plastischen Schaffens, in seine
Urfunktionen — eine Einsicht, die den Arbeiten
A. von Hildebrandts zu danken ist. Die befruch-
tende Wirkung seiner ganz neuen Auffassung des
bildhauerischen Schaffens ist auch bei von Gosens
Arbeiten zu spüren. Als ihr schönstes Ergebnis be-
trachten wir das Denkmal der Lützower in Zobten
(Schlesien). Es ist ein Steindenkmal im besten Sinne
des Wortes: die tektonischen Kräfte des Materials sind
in plastische Werte umgesetzt, und diese sind so ge-
halten, daß man sie sich nicht anders als in Stein den-
ken kann. Die große Bronzeplastik des „Pegasus mit
reitendem Amor"' in den Breslauer Anlagen ist von
hier aus gesehen kein Widerspruch, sondern jenes
andere Element von Gosens Schaffen, das noch viel
von dem Stil wollen der Jahre vor dem Weltkrieg in sich
hat. Hier ist noch manches „Ornament", vom Sockel an-
gefangen bis zu den kraftvollen Bewegungen des
Tieres und der beschwingten Haltung des Amors.
Einem tiefer Blickenden werden auch tektonische
Elemente nicht verborgen bleiben — sie mögen als
die männliche Schaffenskomponente gelten, und der
große ausgewachsene Amor ist in diesem Sinne kein
Zufall. Lmgekehrt findet sich noch Ornamentales in

dem Lützow-Denkmal wie etwa in der Behandlung
des Pferdekörpers.

Gegenüber diesen Hauptwerken aus den Jahren vor
dem Weltkrieg gelangt der Künstler in seinen letzten
Arbeiten zu einem ganz neuen Ansatz. In dem Bronze-
kopf der „Schicksalsgöttin" haben die tektonischen
Kräfte die Oberhand gewonnen. Es ist etwas Neues,
wie ein kräftiges Gefüge ausgesprochen vertikaler
und waagerechter plastischer Motive den Kopf in allen
Ansichten beherrscht, wie zugleich damit etwas
„Rechtwinkliges" an seelischer Haltung im Sinne
Nietzsches offenbar wird, ein Begriff, der in der An-
tike wurzelt, die auch bei Gosens Arbeit Pate stand.
Allerdings ist es weder eine undifferenzierte Archaik,
noch ein wiederaufgewärmter Klassizismus, die sich
hier bemerkbar machen, sondern dank einer ganz
persönlichen Beseelung durch eine ebenso fein wie
reich belebte Formenbehandlung, die dem Ganzen
nichts von seiner Wucht und Herbheit nimmt, ist
etwas sehr Selbständiges zustande gekommen, das
mit der Antike in einem abhängigen Sinne nichts mehr
zu tun hat. Der ganze Kopf mit seinem halb geöff-
neten Mund, dem eigentümlich nach innen gerich-
teten Blick hat sich zu einer „Sagekraft" erhoben, die
nichts anderes als eine Wandlung vom Mythologi-
schen zum MjThischen, d. h. eine tiefe innere Be-
ziehung zu unserem eignen geistigen Erbe bedeutet.
Was aber das Ornament anbetrifft, so kann man, wenn
man will, noch einen Rest in den silbernen Reifen
sehen, die die Iris markieren. Im Grunde genommen
haben sie mit den früheren Ambitionen des Künst-
lers nichts mehr zu tun. Sie ordnen sich ausgezeich-
net der Gesamtkonzeption unter und verleihen dem
Gesicht und seinem Ausdruck eine mythische Ent-
rücktheit, die es wie aus einer anderen W elt erscheinen
lassen.

Aus alledem spricht eine ganz neue Beziehung des
Künstlers zum Material. Wir wissen, daß eine Bronze-

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