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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 56.1940-1941

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Eckstein, Hans: Griechische Form und moderne Plastik, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16489#0366

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dem tut es mich, daß so viele Leute
von großem Talent wie Thorwaldsen
und Konsorten in der Antike einfach
den Kanon sahen und nachzuahmen
suchten. Der Wert liegt nicht in der
besonderen Form, nicht in eigentüm-
lichen Längen- und Breitenverhält-
nissen, Maßen, geraden Nasen und
was der Sachen mehr sind, die diese
Leute glücklich zur toten Formel her-
unterschraubten . . . Ob der Mensch
acht oder fünf Kopflängen hat. ist
meiner Ansicht nach sehr gleichgültig.
Nicht Imitation, sondern gemäß des
verschiedenen Zeitalters verschiedene
Arbeit, aber in gleich künstlerischem
Sinn."

Die moderne Abneigung gegen den
Klassizismus und jedes geborgte Stil-
gewand ist für eine Vertiefung der
Beziehung zur klassischen Form wahr-
scheinlich fruchtbarer, als es der
bürgerliche Humanismus des 19. Jahr-
hunderts war. Andererseits kommt
der moderne Realismus und Rationalis-
mus — die Griechen waren große
Rationalisten! — und das gesteigerte
moderne Körpergefühl einer Annähe-
rung an die Antike (in dem umschrie-
ben bedingten Sinne!) sehr entgegen.
Der moderne Mensch hat den über-
steigerten, allzu ichbezogenen wirk-
lichkeitsfernen Seelennvystizismus, der

J. van der Deigen. Bildnis Ph.O.Runges und seiner Frau. Kreidezeichnung den Expressionismus zu Abstraktio-
nen und zur Entkörperung der

Aus der Versteigerung bei C. G. Boerner, Leipzig im Mai 1941 , . , «, 0 r„, .

plastischen Maße verluhrte, im

wesentlichen überwunden und strebt

zum Ausgleich der seelischen Kräfte

Ä . , . . _ i . ... ,- , . mit einer naturhaften Sinnlichkeit.

Griechische Form und moderne Plastik. Von Hans Eckstein „ . . . , , , . x_ . .

Er ist sich dabei seiner Kompliziert-

Fortsnzung von Sehe 170 heit bewußt, und daß er nicht sie

durch die Maske der Naivität und
nicht gedankenlos übernommen, spielerisch variiert, Primitivität im Ästhetischen verleugnen kann. Das
als leere Schemen eines lebensfernen Schönheitsideals alles sind günstige Grundlagen zu einer neuen Aus-
(an dessen Stelle ebensogut ein anderes treten könnte, einandersetzung mit der griechischen Form, die wir
ohne daß sich mehr als der in Szene gesetzte Formel - nicht mehr als Repräsentation eines Schönheitsideals
apparat änderte) kopiert werden — und positiv ge- empfinden, sondern als die definitive Urform plasti-
sagt, daß die antiken Formen von ihrer logisch-ab- scher Gestaltung, aus der sich in der Sehnsucht nach
strakten Seite her neu durchdacht, von einem durch Nähe oder im Gefühl der Geschiedenheit alle west-
sie befestigten echten gegenwärtigen Existenzgefühl europäische Form entwickelte. Die friedliche anti-
neu durchseelt werden. Es ist gleichgültig, ob jeder kische Geste moderner Plastik ist nicht nur schöner
Gymnasiast auf den ersten Blick das antike Vorbild täuschender Schein — wir wissen, in welchem Sinne
erkennen kann. Die Nähe zur Antike kann im Gegen- sie auch dies sein muß —, sondern sie ist Ausdruck
teil größer sein, wo zugleich auch die Ferne zu ihr eines wahrhaften Strebens nach in sich ruhender Vol-
mitempfunden wird; so wie die Reimser Heim- lendung leiblicher Schönheit. Ausdruck eines Wil-
suchungsgruppe mehr Nähe zur Antike hat als eine lens, das Gefühl des eigenen Seins in die klare An-
gefühlskalte, rationalistisch-abstrakte Antikennach- schaulichkeit strenger, straff gefüllter Ausdrucks-
ahmimg Von Thorwaldsen. Staiiffer-Bern hat das sehr formen zu erheben. Und wenn das Ergebnis not-
richtig empfunden — die Frage, ob sein geschaffenes wendig ungriechisch ist, dieses Streben wird doch
Werk dem entspricht, braucht hier nicht erörtert zu erhellt durch die klassische Form der Griechen, und
werden —, und es in einem Brief an seinen Freund es schwingt in ihm die ewige Sehnsucht des Abend-
Peter Halm in schlichten Worten ausgedrückt: „Wun- länders nach antikem Menschentum mit.

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