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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 56.1940-1941

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Gebhart, Hans: Steinschnitte von Martin Seitz, Passau
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https://doi.org/10.11588/diglit.16489#0365

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Seitz versuchte sich zunächst in Bernstein, und mit
überraschendem Erfolg erschloß er dadurch dem
Gemmenschnitt ein Material, das ihm bisher kaum
geläufig war. Zudem kam es in seiner Handsamkeit
einer ersten Erprobung technischer und künstleri-
scher Möglichkeiten entgegen.

Bernstein hat Wärme — nach alter Meinung wurde
er durch die von der Sonne auf die Erde ausgestrahlte
Hitze erzeugt. Heimatliches, Gemüthaftes ist um die-
sen weichen „Stein". Der Schnitt, der sich an ihm
bewähren will, wird in Form und Gehalt seinem
naturhaften Wesen entsprechen. In diesem Sinn ist
für Seitz das Gegenständliche bedeutungsvoll: Volks-
tümliches kommt dem Werkstoff entgegen — wie
etwa das von bayrisch barocker Luft umwehte Got-
teskind, der Christopherus, ferner ein so beseeltes
Motiv wie das der Mutter mit dem Kind.
Uber dieses stimmungsmäßig bestimmte und be-
grenzte Feld hinaus bemühte sich Seitz — am glei-
chen Werkstoff — mit feinem Gefühl in der Lösung
„neutraler" dekorativer Aufgaben. So etwa wird das
alte Schema der „Gegenständigkeit" in reizvoller
Weise aufgelockert auf dem Stein mit den beiden
Vögeln am Brunnen. Und schließlich wird auch das
Thema „Bildnis" angeschlagen — mit einem Frauen-
kopf (Kunstgewerbemuseum, Wien), der mit seiner in
der Besonderheit des Werkstoffes nicht zu verheimli-
chenden Schnittführung überraschend graphisch wirkt.
In den letzten Jahren nun hat sich Seitz immer mehr
den härteren Steinen, vornehmlich der Quarzgruppe
(Bergkristall, Bauchtopas usw.) zugewandt. Und hier
wird in seltener Weise das besondere Problem der
Steinschnitte offenbar: die fruchtbare Auseinander-
setzungkünstlerischer Formgebung mit und an einem
(zumeist) natürlich gegebenen Werkstoff, dessen un-
vergleichliche Eigenschaften bereits von starker ästhe-
tischer Wirkung sind. Auf dies Besondere des Mate-
rials, das ja seit uralter Zeit über das rein Ästhetische
hinaus auch magisch wirkte, deutete Goethe, als er im
Kristall ebenso „Leben und Seele" spürte wie in der
Pflanze. Der Bergkristall galt dem Mittelalter noch

als Wasser, das durch die große Kälte auf den Alpen-
höhen gefroren war und nicht mehr tauen konnte.
Hart ist der Stein, kühl und klar. Schnittechnik,
Form und Stil werden davon entscheidend bestimmt.
Seitz bewährt sich nun hier in allen Möglichkeiten,
in der fragilen Eleganz des mit Vorliebe immer wie-
der vorgetragenen Themas des bewegten Tieres so-
wohl wie im Bildnis. Bewundernswert die Sicherheit,
mit der durchwegs die kompositionelle Aufgabe ge-
löst, wie die Spannung zwischen der Tierbewegung
und der gegebenen Steinform wohlabgewogen ge-
halten wird. Als eine Kostbarkeit stellt sich die Jagd-
szene dar. Der Kristall erscheint belebt und ange-
rührt vom Sinn der Flüchtigkeit, in der die Hunde
wie Formeln des Laufes stehen: das ganze Bild ge-
faßt wie im Augenblick eines einfallenden Licht-
strahls. Ein weiter Weg führt von hier zu der plasti-
schen Bestimmtheit und Fülle des Bildnisses.
Hier ist eine strenge künstlerische Aufgabe gestellt,
der Vorwurf ist ungleich selbstgewichtiger als etwa
bei den Tierdarstellungen, die im letzten immer nur
Mittel zum Zweck, zum „dekorativen" Zweck der
Belebung des Steins sind. Der Stein, der Werkstoff
tritt in seiner Wesenheit als künstlerisches Element
mehr zurück. Er ist jetzt nur mehr luzider Träger
der Darstellung. Natürlich spricht er in der Gesamt-
wirkung noch mit. Und nicht zufällig wählt Seitz
etwa statt des kühlen Bergkristalls das verwandte,
aber wärmer getönte Gestein des Bauchtopas, wenn
er Kinderbildnisse gestaltet. Unzweifelhaft ruhen auf
diesem dem Bildnis verschriebenen Werkteil des
Künstlers, der in einer auf diesem Gebiet seit lan-
gem nicht mehr erreichten, beherrschten und kühlen
Klassizität vor uns liegt, die stärksten künstlerischen
Akzente.

Kunstgewerbe? — Nun denn — in Gottes Namen
also Kunstgewerbe — aber im Sinn deutscher Werk-
frömmigkeit, die keine Kunst wollte, der aber unter
der ehrlichen und werktüchtigen Hand mehr Kunst
erwuchs, als mancher neuerer „Artist" auf der ober-
sten Sprosse sich zumißt.

Bernstein Bernstein Bernstein

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