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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 56.1940-1941

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Geibel, Hermann K.: Zu dem Thema: Kunstgestaltung und Sporterlebnis, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16489#0483

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Zu dem Thema: Kunstgestaltung und Sporterlebnis. Von Hermann Geibei

Im vorhergehenden Heft der „Kunst" hat ein Sportführer
von Rang, Herr Direktor Söllinger vom Institut für Leibes-
übungen an der Technischen Hochschule Darmstadt, zur
Feder gegriffen und hat unter dem Titel „Kunstgestaltung
und Sporterlebnis" einen beachtenswerten Beitrag voll
praktischer Anregung für die schaffenden Künstler und
namentlich für die Bildhauer geliefert. Ich wurde aufge-
fordert, als schaffender Künstler zu den Gedanken Söllin-
gers meinerseits Stellung zu nehmen.

Jeder Künstler, der sich an Darstellungen aus dem Gebiete
des Sports versucht hat, weiß, daß wir mit unseren Sport-
bildern und Sportplastiken den Sportleuten nur in den sel-
tensten Fällen Genüge tun können. Immer ist da ein nicht
gelöster Rest, den die Leute vom Fach beanstanden müs-
sen. Die Darstellungen sind an irgendeiner Stelle nicht
sportgerecht oder ganz und gar sportlich unrichtig. Das
führt immer wieder zu dem wohlgemeinten Rat an uns
Künstler, selbst Sport zu treiben, selbst eine Übung richtig
ausführen zu lernen. Manche folgen dem Rat auch, viele
nicht. So ist da zunächst noch eine Kluft, die Herr Söllin-
ger in seinem Aufsatz zu überbrücken trachtet. Er stellt
zwar nicht gerade die Forderung auf, daß wir Künstler
uns nun selbst auf den Sportplätzen betätigen müßten.
Aber seine an uns gerichtete Einladung, auf die Sport-
plätze zu kommen, ist ehrlich gemeint und kann nur befür-
wortet werden. Nun kann man sich wohl denken, daß
Künstler, die mit dem Vorsatz zu schauen und zu zeichnen
auf den Sportplatz gekommen sind, vielleicht vom Anblick
eines übenden Diskuswerfers gepackt sein werden und
dann selbst einmal zum Diskus greifen, um ihr Augen-
erlebnis körperhaft nachzuerleben. Daß wir Künstler uns
bislang noch zu wenig mit der Darstellung des sportlich
bewegten Körpers beschäftigt haben, empfinden die Sport-
leute als einen Mangel. Söllinger spricht es in seinem Auf-
satz auch unumwunden aus, daß die Darstellung von
Athleten in ruhiger Haltung wohl sehr schön sei, und daß
von solchen ruhigen Statuen auch eine gewisse Weihe und
eine erzieherische Wirkung ausgehen könne, daß aber die
Sporttreibenden den Mangel an bewegten Darstellungen
bitter empfinden, da „das Charakteristikum des Sports in
der Bewegung und Lebendigkeit und nicht in der Ruhe"
bestehe.

Wir müssen es einem Sportführer von Rang zugutehalten,
wenn er die schwierige Frage der Sportdarstellungen in
der Kunst etwas einseitig vom Standpunkt des Sportman-
nes beleuchtet. Das ist sein gutes Recht. Viele Sportleute
haben gewiß einen ausgesprochenen Sinn für das Schöne
und freuen sich, wenn Künstler sich ihnen nähern und sich
ihre Spiele ansehen, um daran zu lernen. Aber als Künstler
kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als huldig-
ten doch alle noch so schönheitsdurstigen Sportleute einem
naiven Realismus — der ja auch zu der Frische dieses
Menschenschlages hinzugehört. Sie verlangen mehr Dar-
stellungen der sportlichen Dynamik, mehr Bewegung auch
in den Sportplastiken, sie fordern zur Gestaltung wirklich
lebensnaher Werke auf und verlangen sportliche Richtig-
keit in der Darstellung eines Bewegungsablaufes. Den mei-
sten Künstlern kommt wohl bei solchen Worten eine
Gänsehaut. „Wo bleibt da der Stil, wo das Ewige in der
Kunst?", fragen sie besorgt. Dabei steht sportliche Richtig-
keit, d. h. die Kenntnis des richtigen Ablaufes einer Übung.

der künstlerischen Gestaltung nicht im Wege — im Ge-
genteil!

Söllinger will den bildenden Künstlern ihr Studium er-
leichtern. Er erkennt die ungeheuren Schwierigkeiten an,
die sich einem Studium der sportlichen Bewegung direkt
vor der Natur entgegenstellen und empfiehlt daher als Er-
gänzung zum direkten Naturstudium das Betrachten von
Zeitlupenaufnahmen, und zwar von solchen, die nur nach
den anerkannt besten Meistern des Sports gedreht würden,
weil nur diese eine Bewegung richtig und zugleich voll-
endet schön ausführen könnten. Söllinger weiß dabei wohl
um die Abneigung des echten Künstlers gegen das Studium
nach photographischen Aufnahmen. Um bloße Photos
handelt es sich hier auch nicht, sondern um Reihenbilder
— und gerade darauf legt Söllinger besonderes Gewicht —,
die ein lückenloses Abrollen von Bewegungen vor dem
Künstlerauge gestatteten und den bewegten Körper auch
in den verschiedensten Ansichten zeigten. Das wäre etwas
sehr viel Lebendigeres als starre Einzelphotos, so daß der
Künstler die verschiedenen Bewegungsphasen miteinander
vergleichen könnte. Nur stärkste Talente könnten — nach
meiner Ansicht — von einem solchen Hilfsmittel unbescha-
det Gebrauch machen. Es ist bekannt, daß der große
Figurenplastiker Maillol in seinem Atelier in Marly kit-
schige Aktphotos aus französischen Magazinen herumlie-
gen hatte und aus ihnen Anregungen für sein Schaffen zog.
Aber das kann eben nur ein solcher Meister, der seinen
plastischen Stil längst gefunden hat! Er kann gar nicht
mehr in Abhängigkeit von Photographien geraten, denn
figürliche Plastik ist für ihn längst zu einer realen Welt
mit eigenen Gesetzen geworden und „Natur", gleichviel ob
sinnlich erlebte oder photographierte, ist für ihn nur jener
unerschöpfliche Quell, aus dem seine großen Formgedan-
ken trinken müssen, damit sie gewissermaßen rote Backen
bekommen. Hiermit wird die Frage des Modells und des
rechten Gebrauchs von Modellen berührt. Der Laie — und
somit auch der Sportmann — denkt sich die Beantwortung
dieser Frage ziemlich einfach: man suche sich einen schö-
nen Menschen, Mann oder Weib, der die Vorzüge hat, die
dem vorgestellten Kunstwerk möglichst nahe kommen,
und bilde nun das Stück Natur möglichst treu nach. In
Wirklichkeit will die Kunst so überlegen beherrscht sein,
daß das Modell nur mehr die Rolle eines Anregers und
eines Stachels zu spielen hat. Ein echter Maler kann vom
Geäder des Marmors an seinem Kamin zu einer Amazonen-
Schlacht angeregt werden, ein Bildhauer in einem kleinen
Mädel eine Göttin erblicken. Aber die „Göttin" muß eben
doch er, der Künstler, machen; die Natur macht sie ihm
nicht vor. Auf das Gebiet der Sportdarstellungen ausge-
dehnt, bedeutete das, daß alle Filme nach besten Meistern
des Sports uns Künstlern nicht zur ersehnten olympischen
Kunst verhelfen werden, wenn uns nicht der göttliche
Funke eingeboren ist, unsere Kunst frei und unbeirrt von
realistischen und ideologischen Tagesforderungen zu ver-
wirklichen. Damit Kunst entstehe, muß erst eine völlige
Umsetzung der „Natur" in den Geist sich vollziehen. Form
ist etwas Geistiges, was um so wunderbarer ist, als sie sich
im plastischen Werk des Bildhauers mit dem schwersten
Stoffe vermählt, sich in diesem ereignet. Von hier aus ge-
sehen erhält die Frage der Sportdarstellung ihr besonderes
Gesicht: sollen wir Künstler denn überhaupt sportliche

(Fortsetzung auf S. 259)

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