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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 56.1940-1941

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Hartlaub, Gustav Friedrich: Meisterkopien
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https://doi.org/10.11588/diglit.16489#0226

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mathematischgleiche Nachbildung müßte ja — um nur
auf einen entscheidenden Unterschied hinzuweisen — den
zeitlichen Entstehungsvorgang (wie ihn etwa eine Film-
aufnahme festhalten könnte) vom ersten Strich an in der-
selben Abfolge noch einmal durchlaufen, was einem spä-
teren Kopisten genau so unmöglich wäre wie eine haar-
genaue Wiederholung jedes Pinselstrichs an sich. Anders
verhält es sich bis zu einem gewissen Grade bei dem, was
man eine Replik zu nennen pflegt. Wenn die alten Meister

— denken wir nur an einen Greco, Rubens, Velasquez —
sogleich nach dem Abschluß eines Gemäldes, etwa eines
fürstlichen Porträts, für das immer mehrere Interessenten
da waren, Wiederholungen herstellten, mochten sie ganz
oder teilweise eigenhändig sein oder nur Werkstattarbei-
ten (vielleicht gar „auf Vorrat"), so konnte mindestens
grundsätzlich die Absicht bestehen, das zuerst entstandene
Bild womöglich noch einige Male auf gleichem Wege und
mit gleicher Wirkung entstehen zu lassen. In Wahrheit
freilich haben auch in solchen Fällen die Meister sich sel-
ten sklavisch wiederholt, sondern sich — bewußt oder
nicht — variiert; und ihre Gehilfen blieben eben unab-
sichtlich hinter dem Original zurück. Trotzdem bleibt
Replik ihrer Intention nach etwas anderes als Kopie. Zum
Begriff der letzteren gehört, daß sie eben nicht ,,unter den
Augen des Meisters", unmittelbar im Anschluß an das Ur-
bild, gleichsam noch aus derselben geistigen und werk-
haften ,,Form" gegossen, sondern daß sie aus einigem Ab-
stand und durch einen wesenhaft Anderen hervorgebracht
wird, häufig auch in späterer Zeit (natürlich gibt es Zwi-
schenstufen, so etwa wenn des Velasquez' Nachfolger bei
Hofe, ein Mazo. ein Careiio, seine Bilder wiederholt haben,
was dann nicht selten zu Verwechslungen mit den Origi-
nalen, selbst bei den Kennern, geführt hat).

Jede eigentliche Kopie ist, bewußt oder nicht, eine
Auslegung. Sie erwächst aus der geistigen und werkhaften
Begegnung des selbständig Nachschaffenden mit seinem
Vorbild. Genauigkeit und Exaktheit — ja gerade diese! —
können niemals aus totem Nachplappern kommen (wenn
der sprachliche Vergleich erlaubt ist), sondern sind ein
Ergebnis des Verstehens. Verstehen setzt immer ein „Wie"
und „So" voraus, damit aber die Person des Verstehen-
den. Diese wird ihre besonderen Anlagen und Bedingt-
heiten, ihre eigenen Gesichtspunkte und Wertsetzungen,
auch ihre „Handschrift" nie ganz unterdrücken. Damit
wird jede Kopie, genau betrachtet, „anders" aussehen, sei
es, daß sich in diesem „anders" mehr nur der spätere
Zeitgeschmack auswirkt (man denke etwa an die Dresde-
ner Kopie der Darmstädter Holbein-Madonna oder an die
Londoner Fassung des Felsgrottenbildes von Lionardo),

— sei es, daß es sich wirklich um eine individuelle Mei-
sterkopie handelt, wie in unseren Abbildungen. Wahr-
scheinlich wollte ein Rubens, als er Lionardos inzwischen
verschollenen Karton der Anghiarischlacht nachzeichnete,
dokumentarisch getreu sein. Trotzdem konnte er der
eigenen „geprägten Form" nicht entfliehen, konnte nur
mit ihr „prägen". —

Freilich, bei jenem notwendigen Abstand, durch den sich
Zeitgeschmack und persönliche Eigenart des Kopierenden
durchsetzen, bleibt doch allem meisterhaften, guten, ja
auch nur anständigen Kopieren eines gemeinsam. Weil
Kopieren Verstehen voraussetzt, bedeutet es in jedem
Fall ein Eindringen in den eigentlichen Werkvorgang, der
das Bild wachsen ließ, gleichsam den Versuch einer Re-
konstruktion. „Herrlich wie am ersten Tag" soll das Ur-

bild wieder erstehen. Keine gute Kopie — man betrachte
etwa unsere Beispiele von Gericault und Manet — wird
absichtlich von dem Zufalls-Zustand ausgehen, in dem
sich ein altes Kunstwerk in der Zeit befindet, da es einen
Kopisten erhält. Das Zusammengewachsene der Farben-
oberiläche, wie es in Jahrhunderten entstanden ist, ver-
gilbter Firnis (der oft fälschlich als Lasur betrachtet
wird), vornehme Alterspatina, historisch anmutender Ga-
lerieton, eventuell sogar alte und neue Übermalungen —
das alles fängt natürlich eine mechanische Reproduktion
auf. Eine gemalte Kopie, die gleichfalls, gewissermaßen
freiwillig, von diesem Befund ausgehen wollte (wie man
es — oft übrigens doch mit Unrecht — einem Lenbach.
niemals freilich dem großartigen Kopisten Ed. von Geb-
hardt vorgeworfen hat), beraubt sich einer wesentlichsten
Möglichkeit und liefert sich jenem Wettbewerb mit dem
Farbendruck aus, in welchem sie unterliegen muß — wenn
sie nicht andererseits gar in gefährliche Nachbarschaft
fälscherisch anmutender Wiederholungen kommen will,
die eine Verwechslung von Original und Kopie geradezu
beabsichtigen. Gutes Kopieren möchte immer das sein, was
der Lateiner eine „restitutio in integrum" nennt. Das be-
sagt nicht, jeder Kopist müsse nun unbedingt bemüht
sein, von der Farbbereitung und Grundierung aufwärts
die eigentliche Technik des alten Meisters zu rekon-
struieren. Gewiß gehen sehr interessante Arbeiten aus
solchen schon mehr wissenschaftlichen Versuchen hervor.
Viel Mühe und Zeit, besondere Aufwendungen gehören
aber dazu und schon aus wirtschaftlichen Gründen wird
ein derartiges Nachschaffen nicht die Regel sein können.
Kopieren, als eine Tat des Verstehens, Auslegens, .Inte-
grierens, darf getrost das Urbild in eine andere Sprache
übersetzen. So wie etwa unser Leibi in seiner berühmten
Rubenskopie klassische Lasurtechnik in Prima-Malerei
übertrug! Ihn fesselte eine solche Transposition aus ganz
persönlich-künstlerischen Gründen; andere mögen ihre
eigene Malweise wählen, weil eine Kopie so beträchtlich
schneller und mit heute käuflichen Malmitteln geliefert
w erden kann.

IL

Kopien sind also — um eine berühmte Definition Zolas
abzuwandeln — ein Stück Kunst, gesehen durch ein
Temperament: das Temperament eines anderen Künstlers
und einer anderen Kunslweise. Das nimmt dem Kopieren
nicht seine Spannweite, seine reichen Möglichkeiten. Es
gibt und darf geben eine strenge, objektiv gerichtete und
eine mehr freie und subjektiv betonte Weise. Dazwischen
sind alle möglichen Stufen denkbar, während an den bei-
den Extremen Gefahren auftauchen: einerseits jene un-
heimlich entpersönlichte, ans Fälscherische grenzende
Imitation (mit Firnis und Sprungbildung), andererseits
eine gewisse Art von allzu freier Paraphrasierung einzelner
Motive, wie sie sich nur ein Großer erlauben darf (ein
Manet etwa, dessen sogenannte „Erinnerung an Rubens"
wir mit ihren Quellen abbilden), und wie wir sie im all-
gemeinen nur als private Übungen gellen lassen wollen. Je
nach der besonderen Einstellung des Kopierenden und je
nach dem Zweck, dem eine Kopie dienen soll, wird sie in
ihrem Verhältnis zum Original auch grundsätzlich ver-
schieden ausfallen. Manche entsteht und entstand im Auf-
trag eines Sammlers und Liebhabers, der das Original
nicht bekommen kann, aber doch einen möglichst voll-
gültigen Ersatz dafür zu haben wünscht. Nennen wir
sie die „Auftragskopie". Andere — die „Studienkopien" —

Kunst für Alle, Jahrg. 56, Heft 5, Februar 1941 15

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