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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 56.1940-1941

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Müller-Hofstede, Cornelius: Theodor von Gosen, Breslau, in seinen neuen Arbeiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.16489#0354

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Der neue Tag. Medaille. Silber

Prometheus. Medaille. Silber

Die Medaille ist im Gegensatz zu seinen sonst model-
lierten anderen Stücken vom Künstler vor dem Guß
im Tief schnitt gearbeitet. So ist es möglich, der Schrift
denselben plastischen Wert zu verleihen wie der Dar-
stellung, und diese behält etwas Graphisches, wie es
die feingliedrigen Himmelsgestalten bestens veran-
schaulichen. Die Vorderseite der Medaille Schönberg,
ferner die Prometheus-Medaille für den Dichter Paul
Ernst und für Albert Lang führen noch auf eine
zweite Kernfrage: das Relief und sein Verhältnis
zum Grund. Bei vielen Reliefs, die man heutzutage
sieht, kommt der Betrachter zu dem Eindruck, als ob
die Künstler eine Vollplastik halbiert und die eine
Hälfte auf einen freien Grund aufgeleimt hätten,
der dann nur so viel Interesse hat, wie etwa die Wand
für das Bild. Dabei stellt sich die Aufgabe genau um-
gekehrt. Ohne eine organische Bindung an die Fläche
des Grundes, ohne knappstes Haushalten mit den
plastischen Mitteln verliert das Pvelief seine Wesens-
eigentümlichkeit. Daher ist an von Gosens Medaillen
immer wieder bemerkenswert, wie mit einem Mini-
mum an Modellierung ein Maximum an „plastischer"
Anschauung erreicht ist. Gerade an den letzten Ar-
beiten ist dieses Verwachsen von plastischer Darstel-
lung mit dem Grund besonders glücklich gelöst. Wir
müssen es uns versagen, auf alle weiteren Fragen der
Medaillenkunst, besonders auf die bei von Gosen stets
feinsinnige gedanklicheArbeitin der Darstellungswahl
von Vorder- und Rückseite einzugehen. Überall können
wir beobachten, wie diese Dinge für von Gosen
künstlerische Grundfragen bedeuten, mit denen er
sich ernsthaft auseinandergesetzt hat. In der Plakette
mit dem Danteschen Thema „Paolo und Francesca"
sind schließlich dieselben künstlerischen Grundsätze
befolgt. Dennoch bedarf sie einer besonderen Her-
vorhebung. Die dekorativ so reizvolle kontrapunk-

tische Bewegung des nachtwandlerisch dahinschwe-
benden Liebespaares — besonders überzeugend sie
in ihrer vom Unbewußten tatsächlich übermannten
willenlosen Haltung — an der Masse der Zuchtlosen
und Ehebrecher vorbei — das ist in den formalen
Gegensätzen der Größenverhältnisse ungemein an-
schaulich und besagt zugleich, wie sich ein Einzelfall
ohne Maßstab unvergleichbar heraushebt aus einer
anonymen, archaisch undifferenzierten, im Kollek-
tiven fast versinkenden Masse. Mit diesen Kontrasten
verbindet sich auch im Hinblick auf die knapp ange-
deuteten Bergpartien zugleich der Eindruck einer
großen räumlichen Weite, die das Schweben so glaub-
haft macht und dem Ganzen einen visionären und
dynamischen Zug gibt, ohne die dekorativen Bindun-
gen zu sprengen. So erschließt sich wie bei jedem
echten künstlerischen Sachverhalt aus dem Augenfäl-
ligen zwanglos das Sinnfällige. Eine fließende, groß-
zügige Formenbehandlung in rhythmischem Wechsel-
spiel mit der freien Grundfläche bewirkt noch auf
ihre Weise, daß die Darstellung in ihrer Bedeutung
über das beschränkte Format der Plakette hinaus-
wächst. Unterstützt durch eine sockel- und gesims-
artige Begrenzung rückt sie nahe an den Eindruck
eines Grabmals, einer Art Stele heran. Mit anderen
Worten, es sind die starken tektonischen Kräfte, die
auch im kleinen Format den Ausschlag geben und in
den Bereich des Monumentalen führen. Damit sind
wir wieder an dem vielleicht jetzt besser verständ-
lichen Ausgangspunkt dieser Betrachtungen ange-
langt: aus dem Nebeneinander zweier wichtiger
Funktionen des künstlerischen Schaffens, der tekto-
nischen und der dekorativen, ist die fruchtbare aus-
gleichende Wechselwirkung von einem Kräftespiel
entstanden, von dem wir noch manche glückliche Lei-
stungen erhoffen dürfen.

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