Ulrich Ertl. Die finnische Filmschauspielerin Regina Linnanheimo
sehen Form zu erkennen: die Bewegung ist nur ein Gleich-
nis, die ganzen Formen scheinen bei all ihrer Lebensnähe
in ein Medium der Ewigkeit getaucht und haben dem ge-
wählten Bewegungsmotiv zum Trotz gar nichts Momen-
tanes und Flüchtiges. Alles ist Sein, auch in dem ge-
krümmten Jünglingsleib des Diskuswerfers. Wie ist das
möglich? Nur durch eine letzte künstlerische Reife der
Form ist es möglich. Es hat eine Zeit bei uns gegeben, da
uns diese Reife etwas langweilig und akademisch anmu-
tete. Das war damals, als alles, auch die Bildhauerei, im
Banne des Impressionismus stand. Heute, da wir diese
Bannung überwunden haben, ahnen wir, wie groß die Lei-
stung jener Meister war, die es sogar vermochten, eine
Bewegung unter das Gesetz des Seins, d. h. einer ewigen
Gegenwart zu stellen. Vor solchen Bildwerken erwartet
und fürchtet man nicht, daß sie sich weiterbewegen. Dar-
um glauben wir, der Forderung nach mehr Plastiken, die
„über die Anfangsbewegungen hinaus den langsam sich
steigernden und zur Leistung führenden physischen und
willensmäßigen Totaleinsatz des Körpers zum Ausdruck
bringen", eine Absage erteilen zu müssen — jedenfalls im
Hinblick auf die Großplastik —. In der Kleinplastik frei-
lich darf manches gewagt werden, und man könnte sich
vorstellen, daß es z. B. um das Niveau der „Sportpreise"
besser bestellt wäre, wenn tüchtige Bildhauer sich dieses
Zweiges der Kleinplastik annehmen und auch einmal eine
stark bewegte Figur wirklich künstlerisch gestalten woll-
ten. Der Totaleinsatz, der zur Leistung führt, lenkt das
Augenmerk des Betrachters leicht vom Kunstwerk fort zur
Leistung. Von einem mit äußerster Kraft und Anspannung
werfenden Speerwerfer erwartet der Betrachter, daß er
den Speer endlich wirft, denn diesen Augenblick des Total-
einsatzes, der sich im Muskelrelief und in der Mimik aus-
drücken müßte, erträgt man nicht auf die Dauer — man
erwartet die Entladung und Entspannung; und mit dieser
Erwartung befindet sich der Betrachter bereits außerhalb
der Welt des Kunstwerks. Wenn Sportplastik auf Sport-
plätzen aufgestellt werden und dort durch ihre Anwesen-
heit eine festliche und gehobene Atmosphäre der Weihe
schaffen helfen soll, so kann sie nicht heftige und ausla-
dende Bewegungen auf realistische Art darstellen, weil sie
dann in Wettbewerb mit der sportlich bewegten Men-
schenwelt tritt und geradezu mit den sich bewegenden Men-
schenkörpern verwechselt zu werden droht. Sie muß im
Gegenteil etwas betont anderes sein: nicht Natur, sondern
Kunst!
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sehen Form zu erkennen: die Bewegung ist nur ein Gleich-
nis, die ganzen Formen scheinen bei all ihrer Lebensnähe
in ein Medium der Ewigkeit getaucht und haben dem ge-
wählten Bewegungsmotiv zum Trotz gar nichts Momen-
tanes und Flüchtiges. Alles ist Sein, auch in dem ge-
krümmten Jünglingsleib des Diskuswerfers. Wie ist das
möglich? Nur durch eine letzte künstlerische Reife der
Form ist es möglich. Es hat eine Zeit bei uns gegeben, da
uns diese Reife etwas langweilig und akademisch anmu-
tete. Das war damals, als alles, auch die Bildhauerei, im
Banne des Impressionismus stand. Heute, da wir diese
Bannung überwunden haben, ahnen wir, wie groß die Lei-
stung jener Meister war, die es sogar vermochten, eine
Bewegung unter das Gesetz des Seins, d. h. einer ewigen
Gegenwart zu stellen. Vor solchen Bildwerken erwartet
und fürchtet man nicht, daß sie sich weiterbewegen. Dar-
um glauben wir, der Forderung nach mehr Plastiken, die
„über die Anfangsbewegungen hinaus den langsam sich
steigernden und zur Leistung führenden physischen und
willensmäßigen Totaleinsatz des Körpers zum Ausdruck
bringen", eine Absage erteilen zu müssen — jedenfalls im
Hinblick auf die Großplastik —. In der Kleinplastik frei-
lich darf manches gewagt werden, und man könnte sich
vorstellen, daß es z. B. um das Niveau der „Sportpreise"
besser bestellt wäre, wenn tüchtige Bildhauer sich dieses
Zweiges der Kleinplastik annehmen und auch einmal eine
stark bewegte Figur wirklich künstlerisch gestalten woll-
ten. Der Totaleinsatz, der zur Leistung führt, lenkt das
Augenmerk des Betrachters leicht vom Kunstwerk fort zur
Leistung. Von einem mit äußerster Kraft und Anspannung
werfenden Speerwerfer erwartet der Betrachter, daß er
den Speer endlich wirft, denn diesen Augenblick des Total-
einsatzes, der sich im Muskelrelief und in der Mimik aus-
drücken müßte, erträgt man nicht auf die Dauer — man
erwartet die Entladung und Entspannung; und mit dieser
Erwartung befindet sich der Betrachter bereits außerhalb
der Welt des Kunstwerks. Wenn Sportplastik auf Sport-
plätzen aufgestellt werden und dort durch ihre Anwesen-
heit eine festliche und gehobene Atmosphäre der Weihe
schaffen helfen soll, so kann sie nicht heftige und ausla-
dende Bewegungen auf realistische Art darstellen, weil sie
dann in Wettbewerb mit der sportlich bewegten Men-
schenwelt tritt und geradezu mit den sich bewegenden Men-
schenkörpern verwechselt zu werden droht. Sie muß im
Gegenteil etwas betont anderes sein: nicht Natur, sondern
Kunst!
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