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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Winter, Franz: Tanagra, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0029

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als

zusammen mit der ersten grossen Entwickelung
der griechischen Bildhauerkunst und hat ohne
Zweifel zu dem mächtigen Aufschwung, den diese
vom sechsten Jahrhundert an genommen hat
einer der treibenden Faktoren mitgewirkt.

Mit der Uebernahme der neuen Tech- | 1
nik fanden nun zugleich die in der Plastik
ausgebildeten neuen Formen Eingang in
die Werkstätten der Thonarbeiter. Die
statuarischen Darstellungen, zumeist Bil-
der stehender und thronender Gottheiten, I
wurden in kleinem Massstab in Thon
nachgebildet. Indem die Terrakotten-
fabrikation hiermit in die von der Skulp-
tur vorgezeichnete Bahn einlenkte, trat sie
zum ersten Male aus dem bis dahin
engsten Zusammenhange mit der Töpfe- ü%
rei heraus, eine Umwandlung, die sich
auch in dem charakteristischen Zuge be- P
merklich macht, dass für die Bemalung
der Terrakotten die Anwendung der Fir-
nissfarbe aufgegeben und statt dessen eine,
wie es scheint, aus der Polychromie der
Marmorskulptur abgeleitete neueTechnik
angenommen wurde: man gab den Figu-
ren einen weissenkreidigenUeberzug und
hob die einzelnen Teile durch Abdecken
mit bunten Tönen hervor, unter denen,
wie in der Marmormalerei, Rot und Blau,
beides in reiner, starker Nuance, bevor-
zugt wurde. In diesem farbigen Schmuck
sahen die nach dem Vorbild der plasti-
schen Werke modelliertenFigürchen nun j
wirklich wie verkleinerteNachbildungen
der Statuen aus. Und als solche waren :
sie auch gemeint, denn diese Terrakotten,
die zu Votivzwecken hergestellt wurden,
sollten ein billiger, allen zugänglicher
Ersatz für die kostbaren statuarischen
Weihgeschenke sein, mit denen nur die
Bemittelten den Göttern ihren Dank
abstatten konnten.

Die Anwendung der Hohlfbrm kam |f;
dem massenhaften Bedarf der billigen
Ware entgegen. Aus ein und derselben
Form Hessen sich beliebig viele Exemplare |,|<fe
herstellen. Der Betrieb wurde fabrik-
mässig, er entwickelte sich zur Massen-
produktion. Bei vielen Heiligtümern Hm
haben sich in den aus dem sechsten und
fünften Jahrhundert stammenden Schutt-

schichten dieTerrakottafigürchendieserArt zuTausen-
den gefunden. Und in demselben frommen Sinne,
in dem man solche bescheidenen Gaben den Göttern
darbrachte, hat man, alte, aus ursprünglich finsterem

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