Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

DOI Artikel:
Bücherbesprechungen / Aus Zeitschriften
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0047

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ordentlich in den Erinnerungen und Anschauungen
eines münchener Landschafters von anno dazumal."

Eine Beschreibung Kellers wird mitgeteilt, die er
von einem bekannten Bilde Böcklins giebt und die er
mit den Worten einleitet: eine schimmernde Seifen-
blase der Phantasie, die vor unsern Augen in das Ele-
ment zu zerfliessen droht, aus welchem sie sich gebildet
hat. Bei der Beschreibung selbstkann freilich Keller seiner
Freude am Kunstwerk schon keine Zügel mehr anlegen.

Keller sah damals auchBöcklins„Landschaft mit mau-
rischen Reitern", die nach Rudolf Kollers Zeugnis keinen
Eindruck auf ihn machte und von Böcklins herrlichem
„Frühlingserwachen" im züricher„Künstlergütle"urteilte
er mit Bezug auf die auffallende Längeder weiblichen
Figuren: ,Ja, das kommt von seiner Originalitätssucht."

Im Jahre 1885: an einem Sonnabend stellte sich
Böcklin auf der „Meise" in Zürich ein, wo er hoffen
durfte, den berühmten Züricher Staatsschreiber kennen
zu lernen.

Nach einigen weiteren Begegnungen und Besuchen
im Atelier war Keller von Liebe für den' Menschen,
von Bewunderung für den Maler erfüllt. Keller war
glücklich, den lang gehegten Wunsch nach dem Umgang
mit einem schöpferischen Genius erfüllt zu sehen, der
ihm den Lebensabend erhellte.

In Böcklin lebte ein so merkwürdiger Enthusiasmus
für Keller, dass er die Behauptung wagte, wenn Keller
die Technik erlernt hätte, so würde er so gross als
Maler wie als Dichter geworden sein.

Doch konnte Keller selbst seinem Freunde Böcklin
gegenüber kein Stück seines stolzen •Unabhängigkeits-
gefühls fahren lassen. Er übte über ihn eine Art
Tyrannis, ohne es zu wissen. Waren die beiden in
einem Wirtshause angelangt, so „konnte es etwa ge-
schehen, dass Böcklin den Arm ausstreckte, mit Daumen
und Zeigefinger dem Dichter den grossen weichen
schwarzen Filzhut, den er vorn oben anfasste, vom
Kopfe abhob, ihm Stock oder Schirm ins Gestell stellte
und ihn vorsichtig aus dem Überzieher schälte. Doch
sah er sich mit solchen Gefälligkeiten klüglich vor, je
nach dem dichterlichen Launenwetterglas."

Der getreue Böcklin harrte im Wirtshause zur
„Meise" regelmässig bei Keller aus, „denn das war
eine ausgemachte Sache, dass er seinen Freund nach
Hause brachte. Er fasste ihn unter den Arm und
steuerte mit ihm Kellers Wohnung zu wie ein staats-
mässiges Orlogschiff mit einem Brander, aus dem
jeden Augenblick die zornigen Weingeister in die Lüfte
prasseln konnten. Langsam, langsam und mit manchem
Halt, nach dem Bedürfnis des dichterlichen Gangwerkes,
ging es den menschenleeren „Zeltweg" hinaus. Am
nächsten Tage klagte dann wohl Böcklin, der sich nur
bei entschiedener Kälte zu einem Überzieher bequemte,
er habe gestern abend wieder elend gefroren, weil der

Verfasser der „Leute von Seldwyla" nicht vom Flecke
gerückt sei."

Böcklin übernahm auch die Antipathien seines
Freundes. Dieser konnte bekanntlich Konrad Ferdinand
Meyer nicht leiden. Ein gemeinsamer Bekannter hatte
es einst so eingerichtet, dass Böcklin und Konrad Fer-
dinand Meyer im Konzert nebeneinander sassen. Er
stellte sie vor. Meyer wandte sich lebhaft Böcklin zu,
gab seiner Verehrung Ausdruck und berichtete, wie
tröstlich ihm während seiner nunmehr überstandenen
Krankheit die über seinem Bette hängende Toteninsel
gewesen sei. Böcklin konnte absolut keine Erwiderung
finden. Der gemeinsame Freund stiess ihn an und da
sagte er, indem er den Kneifer von der Nase nahm,
langsam: „Leben Sie auch in Zürich?" Böcklin versicherte
später, alles Kränkende habe ihm völlig fern gelegen.
Zu Böcklins sechzigstem Geburtstag stellte sich in
dem mit grünen Pflanzen geschmückten Gesellschafts-
raum Keller mit folgendem Gedichte als dem edelsten
Angebinde ein:

Seit du bei uns eingezogen

Und dein leichtes Haus gebaut,

Schauen wir der Iris Bogen,

Wenn der hellste Himmel blaut.

Sehn die Fülle der Gesichte
Dich im Reigentanz umziehn,
Sehn, wie Knospen, Blüten, Früchte
Rastlos deiner Hand entfliehn.

Heute rauscht ein leises Wehen,
Lausche nicht zu lang, o Mann!
Um Entstehen und Vergehen
Fange nicht zu zählen an!

Wie dir täglich hat gegoren
In der Seele neuer Wein,
Also sollst du neugeboren
Selber jeden Morgen sein!

Und erst spät mag es geschehen,
Dass es fern herüberhallt:
„Seht, auf jenen grünen Höhen
Hat der Meister einst gemalt!

Starken Herzens, stillen Blickes
Teilt er Licht und Schatten aus —
Meister jeglichen Geschickes,
Schloss gelassen er das Haus!"

Zürich am 16. Oktober 1887,
Dienstagsgesellschaft.
Es liegt etwas von der Stimmung des Turmwächters
aus dem zweiten Teile Faust in diesen schönen Strophen.
Der Schreiber dieser Zeilen erinnert sich ganz deut-
lich, wie er im Jahre 1887 bei Gottfried Keller in der
„Meise" sass und wie ihm Gottfried Keller das Bild
Böcklins, das jetzt in der Nationalgalerie ist, die Trauer
der Maria, mit solcher Eindringlichkeit schilderte, dass
es vor ihm zu entstehen schien. H.

ZWEITER JAHRGANG, ERSTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM l6. SEPTEMBER, AUSGABE AM 30. SEPTEMBER NEUNZEHNHUNDERTDREI
VERANTWORTLICH FÜR DIE REDAKTION: BRUNO CASSIRER, BERLIN. DRUCK IN DER OFFIZIN VON W. DRUGULIN, LEIPZIG.
 
Annotationen