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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Neumann, Carl: Anselm Feuerbach und Moritz von Schwind
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0106

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werden. Dann kaufte es der Grossherzog Friedrich
für sich, und so ist später die Karlsruher Galerie auf,
Umwegen zu dieser ihrer grossen Zierde gekommen.
Eben war 1860 die Madonna mit den musizieren-
den Kindern (seit 1 8 8 1 Eigentum der Dresdner
Galerie) in Karlsruhe ausgestellt worden. Sie wurde
nicht begriffen; der Ankauf des Bildes abgelehnt.
Nicht nur in Karlsruhe.

„Was giebt es Rührenderes, Schöneres, Lieb-
licheres als die Mutter mit ihrem Kind? schrieb der
Künstler in jenen Tagen; ich hoffte, mir mit diesem
Bild, das mir aus der Seele gewachsen ist, die Herzen
zu erobern. Was nun? — Sage mir, was soll ich
für eine Sprache reden, wo soll ich den Gedanken
finden, der trifft und zündet? Ich weiss nichts mehr,
ich sehe ins Dunkel. Es ist mir unheimlich zu Mute.
Warum lebe ich eigentlich?"

Gleichwohl hatte Feuerbach Anerbietungen aus
Karlsruhe, die ihm eine Ansiedlung ermöglichen
sollten, freilich anders als er sie wünschte, in Er-
wägung gezogen. In Frankfurt waren ihm zuletzt
zwei Bilder bestellt und abgekauft worden, so dass
er auf diesen Ausblick hin vorübergehend dachte,
dort günstigen Boden zu finden. Schliesslich Weimar.
Dort bohrte, zumal seit das Schillerjubiläum von
185p das Gewissen der Welt in ihren Pflichten
gegen den Genius geschärft zu haben schien, Freund
Scheffel unablässig, um Feuerbach einen Ruf zu
verschaffen. Es war die Zeit der Gründung der
dortigen Kunstschule, an die nachmals Böcklin und
Lenbach geholt worden sind.

Feuerbach wollte in Deutschland bleiben; aber
das Elend der Kunstzustände kannte er durch bitterste
Erfahrung, und diese Erfahrung wiederholte sich
ihm täglich. Er kannte auch die grenzenlose Ver-
lassenheit in Rom. Rom hatte nur den schwer-
wiegenden Vorteil negativer Art: Freiheit von den
Störungen und Nadelstichen der philiströsen All-
täglichkeit. Daher Leichtigkeit, in Stimmung zu
bleiben. In Rom konnte er sich in sein Atelier ein-
schliessen und sagen lassen: ich bin nicht zu Hause.
In einer kleinen deutschen Residenz in Amt und
Stellung,

„Es wird mein schönstes Glück zu nichte!
Dass diese Fülle der Gesichte
Der trockne Schleicher stören muss!"
In dieser quälenden Unschlüssigkeit fuhr Feuer-
bach im Oktober 1 860 von Heidelberg nach Fried-
richshafen am Bodensee, um sich mit Allgeyer, der
damals bei seiner Mutter in Ueberlingen wohnte,
zu besprechen. Alles wurde hin und her überlegt,

besonders auch ein Versuch mit München. Schliess-
lich entschied ein Zufall (wie ich einem Privatbrief
Allgeyers entnehme), dass Feuerbach von Friedrichs-
hafen nach München fuhr. Sein Reisepass entbehrte
der Visierung zur Rückkehr in den Kirchenstaat.
Für alle Möglichkeiten schien es besser, sich diesen
Stempel beim päpstlichen Nuntius in München zu
holen. Somit war die Reise äusserlich motiviert.

Dass es in München ganz andere Dinge gab als
eine Passvisierung mit dem Wappen der zwei ge-
kreuzten Schlüssel, werden die folgenden Briefe
lehren.

Noch will ich bemerken, dass 1858 inMünchen
die grosse Jubiläumskunstausstellung zum Gedächt-
nis der vor 700 Jahren geschehenen Gründung der
Stadt gewesen war. Schwinds Sieben Raben waren
der Mittelpunkt. Daneben sah man Prellers Odyssee-
landschaften, Rethels Hannibalszug, Cornelius' Er-
wartung des jüngsten Gerichts, Mintrops Weih-
nachtsbaum. Alles war voll von der „Deutschen
Kunst".

Am 23. November 1860 in der Nacht fuhr
Feuerbach zu Schiff von Genua nach Rom.

Liebe Mutter!

Du wirst mit Einp.acken fürEmilie* beschäftigt
sein und ich freue mich darüber, dass wenigstens
Eines Deiner Kinder entschlossen ist, während auf
mir noch immer der Dämon der Unentschlossen-
heit ruht.

Ich habe wahrhafte Sehnsucht an die Arbeit zu
kommen. Vorgestern Abend wurde mir allerseits
zugesetzt, den Winter hier zu bleiben.

Professor Schwind, mit dem ich von früherher
ganz auseinander war, wurde ich vorgestellt und er
hat sich den ganzen Abend mit mir auf das herz-
lichste unterhalten. Gestern war ich bei ihm und
ich muss ihm, trotzdem er nicht malen kann, den
Preis geben vor allen Andern. Er ist wirklich der
Genialste, der mir noch vorgekommen.

Spät in der Nacht, nach dem Abendessen, Hess
er die Musiker, welche bei Tafel gespielt hatten,
noch ein Quartett von Haydn machen.

Er findet es schlimm, dass ich bloss vom Ver-
kaufe meiner Sachen leben muss, und meint, es hätte
einen bessern Klang, wenn ein Bild aus München,
als aus Karlsruhe komme.

An Böcklin schreibe ich heute. Piloty war von
exquisiter Freundlichkeit. Der Grossherzog von

* Die Schwester des Malers.

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