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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Lichtwark, Alfred: Der Heidegarten, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0138

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Garten. Die Verbindung dieser breiteren Wege,
auf denen man in Gesellschaft geht, kann durch
schmälere Querwege und ganz schmale Pfade, auf
denen ein Einzelner einzelne Pflanzen besehen mag,
hergestellt werden. Die rhythmische Wirkung der
Gesamtanlage wird durch solche Abstufung der
Wegbreiten nur gewinnen.

Für die Art der Bepflanzung liefert der Bauern-
garten, der die urälteste, vielleicht babylonisch-
ägyptische, sicher griechisch-römische Ueberliefe-
rung auf unsere Tage gebracht hat, das beste Vorbild.
Er kennt das Gebüsch nicht, das in unsern kleinen
Gärten ein so verhängnisvolles Wesen treibt, indem
es durch sein ungebändigtes Wachstum im Hand-
umdrehen die Anlage aus den Fugen bringt. Er
verwendet innerhalb der Hecken keine grossen
Bäume. Aber durch den Verzicht auf billige und
bequeme Massenwirkungen bringt er es fertig, dass
die Anlage sich von Jahr zu Jahr schöner und
kräftiger auswachsen kann, ohne das Mass zu ver-
lieren, während die „naturalistische" Anlage des
kleinen „englischen" Gartens in keinem Augenblick
ihres Daseins Gleichgewicht hat.

Der Grundsatz der alten und immer noch nicht
übertrofFenen Anlage ist, Blumenbeete die Wege
begleiten zu lassen, damit man beim Wandeln den
Blüten nahe ist und den Raum hinter den Beeten
für das Gemüse zu verwenden.

Nehmen wir jedoch an, das Gemüse soll ein
Feld für sich haben, dann handelt es sich jetzt um
die Beschaffung des Pflanzenmaterials, das auf diesem
trockenen Boden gedeiht.

Da die Bewässerung sehr schwierig ist, muss
die Flora der Heide untersucht werden, wie weit
sie Pflanzen von edlem Wuchs bietet, die dem archi-
tektonischen Aufbau des Gartens dienen können
und welche koloristischen Grundstoffe die Blumen
der Heide zur Verfügung stellen.

Was ich hier von unserm Standpunkt aus auf
der Hochfläche und in den Thälern sehen kann,
genügt schon vollständig, um die überraschendsten

formalen und koloristischen Wirkungen aufzubauen.
Wird es mit Umsicht ausgenutzt, so kenne ich keine
moderne deutsche Anlage, die der Schönheit des
Heidegartens gleichkommt.

Für den formalen Aufbau des Gartens liefert
dieser Fleck Heide zwei unsagbar schöne Büsche,
die unsere Gartenkunst noch gar nicht kennt, den
Wacholder und den Besenpfriem.

Der Wacholder ist wohl weitaus das edelste
Gebilde unserer Flora. Wo er wie hier un-
gestört aufwachsen kann, genügt ein Busch, der
cypressenartig Heide und Himmel überschneidet,
um einem weiten Landstrich Charakter zu geben.
Er strebt auf wie ein schlanker Mensch. Man weiss
ja in der Heide oft nicht zu sagen, ob in der Ferne
ein Mensch oder ein Wacholderbusch steht. Wenn
der Wind mit seiner schwanken, zierlichen Form
spielt, ist es, als ob eine Opferflamme sich bewegte.
Auch in der Ruhe hat sein Umriss etwas züngelndes,
das an eine Flamme erinnert. Die kurzen Nadeln
bilden eine dichte, festgeschlossene, dem Blick un-
durchdringliche Oberfläche von sammtartigem Ge-
webe, dunkelgrün mit silbrigem oder meergrünem
Hauch. Die aus Amerika eingeführte Thuja, in der
Erscheinung ihm verwandt, wirkt plump und schwer
neben ihm und ihre Oberfläche hält keinen Ver-
gleich aus. Hätte der Volksmund den schönen
Namen Augentrost nicht schon an eine Blume ver-
geben, der Wacholder müsste ihn haben.

Ist es nicht beschämend, dass unsere Garten-
kunst mit dem an Form und Farbe weitaus schönsten
Busch unserer Heimat nicht das geringste anzu-
fangen weiss ? Man sieht ihn wohl einmal in einem
Gebüsch mit der Thuja zusammen, aber seine Schön-
heit fühlt nur der Bauer, der zwei Wacholder als
Wächter vor seine Thür oder an den Weg pflanzt,
der auf sein Haus führt. Hier erst, wo er vor dem
Zahn des Schafes geschützt ist, offenbart er den
ganzen Adel seiner Form. Auf seinem Standort in
der Heide ist seine Entwicklung von tausend Zu-
fällen abhängig. (SchllMJ in der nächsten Nummer.)
 
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