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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Heilbut, Emil: Aus der achten Ausstellung der Berliner Secession
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0140

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Form zu geben. „II aura du talent", sagt daher auch
ein Franzose von einem Künstler, den er infolge
seiner angestrengten Studien, zu denen die angeborene
Begabung die erste Anregung gab, für fähig hält,
dass er auf dem dornenvollen Wege der Kunst em-
porsteigt. Wir Deutschen bezeichnen mit dem Aus-
druck Talent die Himmelsgabe selbst; in Frankreich
bezeichnet man mit dem Ausdruck die künstlerische
Kultur, die ein Veranlagter erworben hat. Was
Whistler hatte sagen wollen, war mithin nicht, dass
Besnard „aucun talent" habe, denn das würde im
schneidendsten Widerspruch zu den Dingen, wie sie
wirklich lagen, gewesen sein. Er hatte vielmehr aus-
drücken wollen, dass Besnard aucune originallt'e habe.

Das ist richtig: aucune originalite. Er giebt
Nutzanwendungen; keinen Feuerstrom. Er ist ein
Nachfolger, Anempfinder, ist gedankenlos, es jauchzt
nicht in ihm. Er ist allerdings ein grand-seigneur
im Nachempfinden; der nicht mit kleinen Mitteln
arbeitet sondern mit grosser Meisterschaft.

Sehen wir seine Radierungen an, von denen eine
Anzahl, unter ihnen die grössre Hälfte der Serie
,Ja femme" in der Secession ausgestellt ist. Diese
Radierungen zeigen eine sehr grosse Geschicklich-
keit. Der Akt eines sich vorbeugenden jungen
Weibes ist nicht allein bewundernswert modelliert,
er zeigt auch den Seidenglanz der jugendlichen Haut.
Aber alles erscheint doch kühl, breit, akademisch
— und überflüssig. Auf einem andern Blatte zeigt
Besnard eine alte Frau, die in den Wolken liegt:
ihren nackten verschrumpelten Leib hat er meister-
haft — jedoch ganz wie ein Magister, der die Kunst
dociert, dargestellt. Wie bei dem Akte der sich vor-
beugenden Frau, von dem soeben die Rede war,
die eine Hand dargestellt ist, davon kann kaum
Rühmens genug gemacht werden; so richtig ist
die Valeur der Schatten an den Knöcheln; so wunder-
bar jeder Strich hingesetzt; und wie die Finger be-
redsam auseinanderfallen — es giebt nichts, was in
höherem Masse gekonnt wäre. Die Schule der
späten Italiener hat keinen sichreren Meister. Doch
hat man — so wenig wie bei jenen akademischen
Italienern — nie eine ernste Empfindung bei dem
Allen. Besnard gebiert weder eine Welt noch strahlt
er die Welt wieder, er sieht sie nicht mit der grössten
Schärfe, sondern beiläufig, ungefähr. Er spielt mit
den Dingen. Er ist ein Virtuose. Bald giebt er
„quabbeliges" Fleisch, bald lässt er einen Ausblick
auf das Meer und zwar mit so unanfechtbarer Sicher-
heit vor uns erstehen, dass wir in der Radierung
spüren, wie die Färbung des Wassers weisslich grün

ist. Wie er uns nun in dieser Serie „une femme"
auch eine verzweifelte Sünderin zeigt, können wir
nicht umhin an unsern Klinger zu denken, an Klingers
Cyklus „eine Liebe", an Klingers ausdrucksvolles
Zeichnen; und die Unterschiede einiger germanischen
und französischen Künstler treten entgegen.

Annähernd niemals haben wir indessen von
Besnard eine so glückliche Arbeit gesehen wie den
Cyklus der Hochgebirgslandschaften, den er in der
Secession hat. Man begegnet auf diesem Cyklus
keiner Stelle, an der sich das dringende Bedürfnis
geltend macht, der Künstler möchte wärmer em-
pfunden, sich mit mehr Anteil der Darstellung
zugewendet haben. Mit Gelassenheit und Behagen
hat der Künstler auf einem der Bilder blaugrüne
Baumkronen in den Vordergrund gemalt — wie
die „verdure" der Tapisserien —, gelbgrüne Matten
hat er folgen lassen, auf denen durch blaue Schlag-
schatten markante Linien gebildet werden. Auf
einem andern der Bilder hat er mit flüssigem Pinsel-
strich eine Schneelandschaft dargestellt; in feiner
duftiger Modellierung heben sich von ihr zwei
Baumstämme ab. In einer dritten Darstellung sieht
man im Vordergrund mit leichter Hand gemalte
helle Zweige, über ihnen Laub, hinter ihnen blau-
purpurne Felsenferne. In der Höhe durchbrechen
weissliche Wolken das Laubdach.

Der Schwede Zorn ist vielleicht ein etwas ähn-
liches Naturell wie Besnard. Auch ihm wird die
Kunst leicht, auch er bleibt im Oberflächlichen. Er
hat mehr Erdenschwere, Realitätssinn, Plasticität
als Besnard: dafür fehle ihm dann die geistreiche
Vielseitigkeit, die jener Pariser noch immer trotz
seines summarischen Verfahrens hat und die ihm bei
seinen Porträts immernoch erlaubt, der Vielfältigkeit
der Erscheinungen bei aller Flüchtigkeit mit Ver-
ständnis zu folgen. Die Porträts von Zorn sind
etwas leer und untereinander sind sie verdächtig
ähnlich. Er bevorzugt in den Frauenköpfen einen
frischen gesunden regelmässigen Typus, den er mit
grosser Schlagkraft wiedergiebt. Unter den in der
Secession ausgestellten Arbeiten Zorns finden wir
mehrere von diesen uniformen, doch prächtig
radierten Frauenköpfen. Sein Porträt Renans ist
merkwürdig gut in der Zeichnung der Augen. Es
wirkt aber doch wohl etwas illustrativ und ist in
dieser Beschränkung längst nicht so fein als wenn es
etwa Phil May gezeichnet hätte. Bei seinem Porträt
Verlaines fällt die grobe Körperlichkeit auf; das ist
nur der Körper des Gesichts von Verlaine, der in

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