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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0253

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Abgeordnete Singer sprach von einer offiziellen Rich-
tung. Nach meiner Ansicht hätte er besser gesagt:
Höfische Richtung"-. So sprach der konservative Abge-
ordnete. Der Staatssekretär sagte : „Es ist in der Öffent-
lichkeit und diesem Hause so dargestellt worden, als
hätte man überhaupt die Secession von der Beteiligung
an der Ausstellung in St. Louis ausschliessen wollen.
Das ist urkundlich unrichtig. Bei früheren Ausstellungen,
wo auch der Deutschen Kunstgenossenschaft die Ver-
tretung übertragen wurde, war der Grundsatz bestim-
mend, auf die einzelnen Lokalgenossenschaften je nach
der Zahl ihrer Mitglieder den vorhandenen Raum zu
verteilen. Wie ich bereits in der Kommission ausgeführt
habe, verteilte man also den Raum und vermass die Ge-
legenheit nach der Elle. Das war, wie ich glaube — und
darin stimme ich mit den Herren von der Secession über-
ein —, verkehrt. In der Kesslerschen Denkschrift wird
eine angeblich offiziöse Mitteilung der „Weserzeitung"
angeführt — ich habe keine Idee, woher diese Mitteilung
der „Weserzeitung" stammt. — Diese Mitteilung vom
31. Dezember 1903 lautet wie folgt:

Die Bundesstaaten und resp. Kunststädte können nur
nach Massgabe der Zahl ihrer Künstler behandelt
werden. . . . Wenn München 1000 Künstler zählt
und Berlin nur 500, so hat München Anspruch auf
den doppelt so grossen Raum bei Ausstellungen, wo
die deutsche Kunst vertreten sein soll, wie Berlin;
das ist ein unantastbarer und loyaler Standpunkt.
Meine Herren, ich sage ganz offen, diesen Standpunkt
teile ich nicht, das ist die alte Auffassung, dass der Raum
massgebend sein muss für die Verteilung. Ich glaube
aber, nach meiner bescheidenen Kunstauffassung muss
die Güte des Kunstwerks massgebend sein für die Ver-
teilung. Die Kesslersche Denkschrift bemerkt hierzu:
Die Statistik der in einer Stadt bis dahin vermalten
Leinewand müsste entscheiden, wie viele Quadrat-
meter imMuseumihr gebühren. Das wäre der Triumph
dieser neuen, der statistischen Methode bei der Aus-
wahl von Kunstwerken, und das Talent wäre endgültig
an den ihm gebührenden obskuren Platz verwiesen.
Ich kann dies, meine Herrn, mit jedem Wort unter-
schreiben." Der nationalliberale Abgeordnete Graf
Oriola sagte: „Ich bin kein Freund allersecessionistischen
Künstler und Bestrebungen, aber ich will Gerechtigkeit."
„DieEntstehung derSecession war eine Notwendigkeit."
„Niemand, stände er auch noch so hoch im Reich, kann der
Kunst andere Wege zu wandeln weisen, als sie nach ihrer
inneren Entwicklung gehen muss." „Ich trete ein für
den Künstler, dass er sich frei entwickeln kann, frei,
ohne Einengung und Beschränkung durch Behörden oder
Akademiedirektoren. (Hört, hört! links.) Graf Posa-
dowsky hat gesagt, die Künstler sollen gleichmässig be-
handelt werden, und ein jeder der Redner, die bisher
aufgetreten sind, hat Gleichberechtigung verlangt. Mir
will es aber vorkommen, als ob einseitig die Akademie, als
ob einseitig die ältere Kunst bevorzugt wird. Ich habe schon

in der Kommission einen Vorfall zur Sprache gebracht,
dessen Richtigkeit mir von keiner Seite bestritten wor-
den ist. Danach wollte 190 a der deutsche Konsul in
Chicago eine deutsche Kunstausstellung veranstalten; er-
stellte hierzu eine Liste auf und schrieb auch ein paar
Secessionisten auf die Rechnung. Da teilte ihm das
Auswärtige Amt — nach anderer Lesung der preussische
Kultusminister — mit: „Die Leute müssen gestrichen werden
(Hört, hört!), die passen nicht hinein!" „In Süddeufsch-
land ist das Vorgehen gegen die verbündeten Regie-
rungen schwer und bitter empfunden worden. Das war
nicht fein; damit nützt man dem deutschen Reich und
Reichsempfinden nicht, wenn man mit den einzelnen
Staaten und den einzelnen Regierungen so verfährt, wie
das hier geschehen ist. (Sehr richtig! und Sehr gut!)
„Graf Posadowsky hat gesagt, das Messen mit der Elle
sei abgelehnt, jede Genossenschaft könne das Beste und
Passendste zur Auswahl an die Zentraljury schicken.
Wie schön klang das! Ordentlich bezaubernd wirkte
das Wort in der Kommission. Und trotzdem lehnte die
Secession die Beteiligung ab. Warum? Weil sie das
Vertrauen nicht hatte, dass bei einer von der Kunst-
genossenschaft veranstalteten Ausstellung die mo-
derne Kunst zur Geltung kommen würde. . . .
Die worpsweder Kunstgenossenschaft schreibt mir:
Wir sind zur Beteiligung aufgefordert worden, nach-
dem alle anderen Secessionen abgelehnt hatten. In
dem Schreiben hiess es: Es ist folgende Anordnung
getroffen: Braunschweig mit 40Mann 9 laufende Meter,
Hannover mit 60 Mann u laufende Meter. Wir —
so schreiben mir die Künstler — hätten mit i<; Mann
11,1 Meter zu beanspruchen gehabt. (Schallende Heiterkeit.)
Die allmächtige Kunstgenossenschaft hat wieder dem
laufenden Meter zu seinem Rechte verholfen. . . Aus
Allem kann Segen entstehen, wenn die Regierung ein-
sieht, dass der gewählte Weg nicht richtig ist, dass sie
wirklich in Zukunft Gerechtigkeit walten lassen muss
den verschiedenen Richtungen gegenüber. (Zustim-
mung.) . . . Wir wollen nicht, dass nur Eine Richtung
mit Reichsmitteln unterstützt wird. (Lebhafte Zu-
stimmung.) Sollte die Regierung in Zukunft mit der
einseitigen Unterstützung einer Richtung fortfahren, so
werde ich mir überlegen müssen, ob ich die Position zur
Unterstützung der Kunst bewilligen soll. (Sehr wahr!)
... Wir wo\[en freien Wettbewerb für alle Kunstrichtungen."
(Lebhafter Beifall auf allen Seiten des Hauses.) Der
deutschfreisinnige AbgeordneteMüller-Meiningen sagte:
„Es handelt sich nach meiner Überzeugung hier geradezu
um eine imposante Kundgebung des deutschen Parla-
ments für die Freiheit der Kunst, für die freie Ent-
faltung künstlerischer Individualitäten." (Sehr richtig!)
Und: „Ohne dass man auch nur die einzelnen Regie-
rungen fragte, war am 19. August 1903 der Allgemeinen
Deutschen Kunstgenossenschaft der Auftrag gegeben,
die Ausführung der Kunstausstellung in St. Louis wieder
zu übernehmen. Man that dies sogar, obwohl man

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