jeder Accent ist echt, ist aufrichtig, — die Zeich-
nung, wenn sie auch übervoll ist, ist voll von ge-
sunder Beobachtung, sie ist strotzendvoll von Leben,
strotzendvoll von Mark. Nichts ist daran aus-
zusetzen, alles was er giebt ist gut, nur möchte ich
durchfühlen lassen, dass alles bei Menzel etwas zu gut
an und für sich ist. Er mag in dem abwechselnden
Anpacken und Hinstellen von Menschen und Dingen
seinem gemütlichen Vorgänger weit überlegen sein,
als eigentlicher Kompositeur bringt er es nur wenig
weiter als Chodowiecki, der unübertroffene Meister
in Schwarz und Weiss.
Charles Keene, der Menzel bewunderte, könnte
ihm in dieser Hinsicht als Vorbild hingestellt
werden. Freilich nur stückweise, aber hier auch
bestimmt, ist er, — denn seine Durchführung des
Bruchstücks ist ungewöhnlicher als seine Geschickt-
heit in der Mise-en-scene — ein würdiger Nach-
kömmling des Holbein und Vertreter des besten
deutschen Geistes. Ihm mehr als jemand anderem
ist die Oede des modernen Chics völlig fremd ge-
blieben.
Ein Stuhlknopf, ein Soldatenrock, ein Perücken-
schwanz, ein Reiter in Wendung und Verkürzung,
die Grimmigkeit, welche aus einem Augenwinkel
lauern kann, eine Hand, die einen Fächer hält, ein
Schmied, der mit gespanntem Arm am Wetzstein
sein Messer schleift, ein Kerl, der sich schnell den
Rock anzieht, ein Zeitungsleser, ein Raucher, ein
Schläfer, ein Kakadu, eine Katze, ein Elefant, ein
Tiger, ein Kürassier, der sich den Handschuh an-
zieht, ein Mummenschanz, eine Statuengalerie, ein
Harnisch, ein Husar, der aus dem Sattel springt,
ein Manöver, ein Ballsouper, ein Gefecht oder ein
Schlachtfeld, in alledem und in was nicht allem mehr,
weiss er den krassen Ausdruck zu fassen. Sogar in
dem Unanziehenden findet er einen erquicklichen
Kern, aus dem scheinbar Dürren schafft er das
Heroische herbei. Oder ist es nicht bewunderns-
wert, wie Menzel aus dem hölzern klotzigen König
Friedrich eine heldenhafte Figur gemacht hat, wie
er dessen altväterliche Paladine als Typen von
Lebenskraft wiederbelebte, — ist es nicht einzig,
wie er eine ganze Rokoko-Zeit neugestaltete, die
sogar einen muskelvollen Charakter hat. Mit dieser
Fähigkeit das Leben einzublasen, kann er mit un-
erhörter Beharrlichkeit auf das streng Dokumen-
tarische eingehen, und dennoch bei so vielem Durch-
wühlen die Frische eines Croquis behalten. Ein
bezwungener Ungestüm hat seine Arbeit beherrscht,
und selten hat eine Beobachtungsgabe mehr als die
seinige das Schneidende des Sarkasmus an eine so
unverdächtige Bonhommie geknüpft.' Wenn man
dennoch dem genialen Zeichner vorwerfen wollte,
dass er bei dem scharfen Spüren nach dem Prä-
gnanten, ebenso wie bei dem gütigen sich Vertiefen
ins Unansehnliche, doch die Grösse der still vor
sich hin atmenden Menschen und Dinge nicht ge-
fühlt hat, so liefe man Gefahr — wie ich meine —
ungefähr sich fünf Pfoten an ein Schaf zu wünschen;
denn es wird doch gerecht sein, von dem Lustspiel-
dichter keine tragische Kraft und von dem Geschicht-
schreiber nicht den Rhythmus der Lyrik zu ver-
langen.*
* Diese Zeilen sind einem Menzelaufsatz entnommen, der einen Teil
eines Buches bildet, das unter dem Titel „Streifzüge eines holländischen
Malers" von Jan Veth demnächst erscheinen wird.
t6: Oh
258
nung, wenn sie auch übervoll ist, ist voll von ge-
sunder Beobachtung, sie ist strotzendvoll von Leben,
strotzendvoll von Mark. Nichts ist daran aus-
zusetzen, alles was er giebt ist gut, nur möchte ich
durchfühlen lassen, dass alles bei Menzel etwas zu gut
an und für sich ist. Er mag in dem abwechselnden
Anpacken und Hinstellen von Menschen und Dingen
seinem gemütlichen Vorgänger weit überlegen sein,
als eigentlicher Kompositeur bringt er es nur wenig
weiter als Chodowiecki, der unübertroffene Meister
in Schwarz und Weiss.
Charles Keene, der Menzel bewunderte, könnte
ihm in dieser Hinsicht als Vorbild hingestellt
werden. Freilich nur stückweise, aber hier auch
bestimmt, ist er, — denn seine Durchführung des
Bruchstücks ist ungewöhnlicher als seine Geschickt-
heit in der Mise-en-scene — ein würdiger Nach-
kömmling des Holbein und Vertreter des besten
deutschen Geistes. Ihm mehr als jemand anderem
ist die Oede des modernen Chics völlig fremd ge-
blieben.
Ein Stuhlknopf, ein Soldatenrock, ein Perücken-
schwanz, ein Reiter in Wendung und Verkürzung,
die Grimmigkeit, welche aus einem Augenwinkel
lauern kann, eine Hand, die einen Fächer hält, ein
Schmied, der mit gespanntem Arm am Wetzstein
sein Messer schleift, ein Kerl, der sich schnell den
Rock anzieht, ein Zeitungsleser, ein Raucher, ein
Schläfer, ein Kakadu, eine Katze, ein Elefant, ein
Tiger, ein Kürassier, der sich den Handschuh an-
zieht, ein Mummenschanz, eine Statuengalerie, ein
Harnisch, ein Husar, der aus dem Sattel springt,
ein Manöver, ein Ballsouper, ein Gefecht oder ein
Schlachtfeld, in alledem und in was nicht allem mehr,
weiss er den krassen Ausdruck zu fassen. Sogar in
dem Unanziehenden findet er einen erquicklichen
Kern, aus dem scheinbar Dürren schafft er das
Heroische herbei. Oder ist es nicht bewunderns-
wert, wie Menzel aus dem hölzern klotzigen König
Friedrich eine heldenhafte Figur gemacht hat, wie
er dessen altväterliche Paladine als Typen von
Lebenskraft wiederbelebte, — ist es nicht einzig,
wie er eine ganze Rokoko-Zeit neugestaltete, die
sogar einen muskelvollen Charakter hat. Mit dieser
Fähigkeit das Leben einzublasen, kann er mit un-
erhörter Beharrlichkeit auf das streng Dokumen-
tarische eingehen, und dennoch bei so vielem Durch-
wühlen die Frische eines Croquis behalten. Ein
bezwungener Ungestüm hat seine Arbeit beherrscht,
und selten hat eine Beobachtungsgabe mehr als die
seinige das Schneidende des Sarkasmus an eine so
unverdächtige Bonhommie geknüpft.' Wenn man
dennoch dem genialen Zeichner vorwerfen wollte,
dass er bei dem scharfen Spüren nach dem Prä-
gnanten, ebenso wie bei dem gütigen sich Vertiefen
ins Unansehnliche, doch die Grösse der still vor
sich hin atmenden Menschen und Dinge nicht ge-
fühlt hat, so liefe man Gefahr — wie ich meine —
ungefähr sich fünf Pfoten an ein Schaf zu wünschen;
denn es wird doch gerecht sein, von dem Lustspiel-
dichter keine tragische Kraft und von dem Geschicht-
schreiber nicht den Rhythmus der Lyrik zu ver-
langen.*
* Diese Zeilen sind einem Menzelaufsatz entnommen, der einen Teil
eines Buches bildet, das unter dem Titel „Streifzüge eines holländischen
Malers" von Jan Veth demnächst erscheinen wird.
t6: Oh
258