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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Veth, Jan: Eine deutsche Madonna
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0354

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Das Antlitz dieser sanften Mutter des Erbarmens
trägt Augen wie Perlen, von weithin schauendem
Vertrauen, deren Blick klar ist wie das Geläute
silberner Glöcklein, die aus einem friedlichen Zauber-
land rufen. Die Nase ist gerade, so wie Unschuld
und Gerechtigkeit gerade sind; der Mund ist wie
eine Blütenknospe himmlischer Freude.

Sie ist nicht die thronende Kirchenfürstin mit
dem Ueberwältigenden ihrer fast beängstigenden
Pracht, noch die grandiose Mater Dolorosa, alles
Weltenwehe stolz zusammenfassend in ihren gött-
lichen Schmerz, — sie ist nicht die Königin, nicht
die Mutter des Gekreuzigten, nicht die wunderbare
Jungfrau und nicht die Muse geistiger Extasen, —
sie ist nur allein — so leicht sich hebend wie eine
Lilie, so mild wie Morgentau, so blütenweiss wie
der Mai, so blutrein wie ein Lamm, so süss wie
lieblicher Waldveilchen-Duft — die tröstend zu uns
kommende liebe Frau selbst.

*

BeiwinterlicherNachmittagsbeleuchtunghuscht,
während ich davor stehe, ein Bündel Sonnen-
strahlen schrägüber die kleine Statue; und in dem
verlassenen Seitenraum vergesse ich das Kunst-
museum, vergesse ich die Skulptur rings umher,
vergesse ich ganz das Stoffliche. Die in goldenen
Glanz getauchte Erscheinung berauscht mich, halb
betäubt ergebe ich mich dem stürmestillenden Ge-
heimnis dieser blonden Züge und ich spreche vor
mich hin:

O minnigliche Sphinx, breite deine Hülle weiter
aus, auch über uns Ermatteten: deinen sicheren
Mantel des Mitleidens und der Gnade. Sprenge
deine Heiligkeit wie freundlichen Tau auf den Brand
unserer harrenden Augen. Lass deine beglückende
Sanftmut die schlichten Falten entlang bis zum Saum
deines goldenen Kleides herabtropfen auf diese Erde,
wo wir Armen knieend liegen vor deinem gebene-
deiten Blick. . . .

Aber der schräge Sonnenstreif hat sich bereits
etwas weiter auf einen heiligen Martinus verzogen,
und ich sehe wieder die Statue, die Holz-Statue
stofflich vor mir, und ich überdenke, wie ein ein-
fältiger Mann dies gemacht hat, ein altdeutscher
Mann, dessen Schule wir nur vermuten, dessen Name
sogar uns verborgen blieb. Eiteles Bemühen — so
seufze ich — der allem nachspürenden Kunstwissen-
schaft, die soviel Missverstandenes aufgeklärt, so

viel Dunkles ausgegraben, soviel Ueberraschendes
ans Tageslicht gebracht hat, aber die auf die
Nachfrage, wer der Künstler war, der dieses kind-
liche Bild geschaffen hat, jede Antwort schuldig ge-
blieben ist.

Und beinahe dennoch ist der Nebel, hinter dem
die Entstehung eines solchen Werkes verdunstet,
uns lieb, denn es fällt schwer, sich hinter dem Geist
dieser Kunst eine einzelne mit sicherem Namen be-
stimmbare Persönlichkeit zu denken. Eine gar breite
Welle von fast unbewusstem Geistesleben eines
ganzen Stammes scheint sich in dieser lieblichen
Erscheinung verkörpert zu haben, und es ist, als ob
wir aus einer solchen Maria das Innerlichste des
deutschen Gemütes selbst uns zuwinken fühlten.

Nicht wie die kunstvollen Italiener aus derselben
Periode, die wir die prächtigen Meister ohnegleichen
rühmen, und die, jeder nach seiner hohen Eigen-
tümlichkeit oder seinem edlen Vorzug, eine Mutter
Gottes mit Vornehmheit oder Grazie, mit erhabenem
Stolz oder auch wohl mitinnigemSinnen ausstatteten,
arbeitete hier der stille Seher, der selbstvergessen
sein Heiligstes aus harmloser Güte allein gestaltet
hat. Aber mehr denn jene unabsetzbaren Fürsten
der späteren Bildhauerkunst wendet sich dieser ehr-
erbietige Puppenschnitzer an das Abgeschlossenste
unseres bebenden Innenlebens, wo süsse Kinder-
träume sich an dem Entspriessen weisser Blumen,
an dem Kosen vom Feldgeläute, an dem Jubel der
Lerche, an dem Flimmern von Gottes eigenem
blauen Himmel weiden.

In seltenen Träumen nur begrüssen uns Er-
scheinungen von Frauen, deren grundloser Blick,
wie aus einem heimlichen Verlangen hervorgerufen,
und deren schweigende Innigkeit uns einer seligen
Wonne teilhaftig werden lässt, die als die eines ver-
lorenen Paradieses von Unschuld und Vertraulichkeit
und Seelenspiegelung erkannt wird, wo man in einer
tröstenden Gebärde, in balsambringendem Berühren,
in einem lieblichen Winken die Sphären ungestört
rauschen hört, die aus lauter Harmonien eines un-
ergründlichen Chorals bestehen.

Hat, wenn in Wahrheit dieses kunstlose Bild
das Werk eines einzigen fleischlichen Menschen sein
soll, der vergessene ravensberger Bildschnitzer einen
solchen himmlischen Traum festhalten dürfen, als
er diese wundersame Madonna schuf?

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