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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Pauli, Gustav: Lenbach
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0356

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So viel ist gewiss, als Bildnismaler gehört
Lenbach der Unsterblichkeit. Und doch — schon
hier stockt man — mischt sich in diesen Ruhm
ein Tröpfchen Ungerechtigkeit gegen Lenbaeh
selbst. Er hat in jungen Jahren Gemälde geschaffen,
die garnichts vom Bildnis hatten, und die nicht
seine schlechtesten waren, vielmehr die Erstlinge
seiner Meisterschaft. Es sind ein paar Bilder, die
nur im alleräusserlichsten Betracht mit der Genre-
malerei ihrer Zeit etwas gemein haben, Bilder von
einer ausserordentlichen ganz persönlichen Kraft und
Frische. Das beste von ihnen ist vielleicht der
ruhende Hirtenknabe der Schackgalerie, Aber an
diese Bilder denkt man nicht mehr, wenn von
Lenbach heute die Rede ist. Man ist so gedanken-
los und ungerecht, sie zu vergessen als ob es harm-
lose gemalte Anekdoten wären wie die andern auch,
die wir im Orkus versinken sahen.

Der grosse Lenbach ist nun einmal der Bildnis-
maler. Dabei war der Weg, der ihn zum Ruhme
führte, ein gefährlicher. Er ging an Gräbern vor-
bei, an den Gräbern der grossen Toten. Hat es
wohl je einen verwegeneren und verführerischeren
Beschwörer gegeben als Lenbach?. — Man rühmt
seine Kopien, die ihn ihm Auftrage Schacks
nach Italien und Spanien führten. Sie sind wirk-
lich ausgezeichnet, ja einzig in ihrer Art. Wir
kennen wohl noch andere Kopien, die so schön
sind, dass sie ihren Vorbildern den Rang streitig
machen. Sie wurden von grossen Talenten zweiten
Ranges gemalt, von einem Giulio Romano, einem
Cesare da Sesto, einem Baidung, die im engen
Anschluss an ihre grösseren Meister arbeiteten.

Es giebt andere berühmte Kopien, die in ihrer
Ungenauigkeit noch bewundernswürdiger sind,
solche, in denen Persönlichkeiten ersten Ranges ein
geliebtes Vorbild auf ihre Art umdeuten und sich
zu eigen machen, freie Bearbeitungen, wie sie
ein Dürer, ein Rembrandt hinterlassen haben. Aber
dass eine starke Persönlichkeit, die Eigenes zu
sagen hatte, so tief in das Dunkel der Vergangen-
heit hinabtauchte, dass sie ihrer selbst zu vergessen
schien, das war noch nicht dagewesen. Lenbach
hat die Bilder eines Rubens, eines Velazquez und
Tizian mit den Augen der Liebe angesehen, er hat
sie recht eigentlich durchschaut; sie waren ihm
das Medium, durch das er in die innerste Seele
ihrer Schöpfer spähte. Aber er sah und liebte gleich-
zeitig auch das Aeusserlichste an ihnen, die edle
Patina, die der Lauf der Jahrhunderte ihnen ver-
liehen hatte. Er sah sie auch mit den Augen des

Antiquars, des wählerischen Feinschmeckers an.
Und aus dieser doppelten Wissenschaft heraus be-
schwor er den Geist der grossen Alten und schuf
jene Bilder, für die das Wort Kopie zu arm ist, die
alles enthalten, was wir an den edlen Vermächt-
nissen grosser Kunstzeiten heute lieben.

So berauscht vom Zauber der Vergangenheit
sah Lenbach in die Gegenwart hinein. Hatte er
Träume, die nach Gestaltung verlangten? Liebte
er an seiner Umgebung, in seiner Zeit irgend
etwas, ein Gebiet, das er als Künstler sich zu eigen
machen musste? Die Antwort ist schwer zu geben.
Fast scheint es, als habe er seine Zeit verachtet.
Wo er konnte, ist er ihr entflohen. Nur eines
scheint ihn interessiert zu haben, der Charakter
der Menschen, ihr Charakter, der zeitloser ist als
ihre äussere Erscheinung. Er selbst war eine viel-
gewandte, scharf beobachtende Persönlichkeit und
so konnte er in vielen andern Persönlichkeiten
lesen wie in aufgeschlagenen Büchern. Die Ge-
sichter waren ihm keine Masken. Er sah durch
sie hindurch in die Hirne und Herzen, wie er die
Werke eines Tizian durchschaut hatte. Sein gutes
Glück brachte ihn bald mit den bedeutendsten
Menschen seiner Zeit in Berührung. Er hat sie
alle gemalt, die Fürsten, Staatsmänner, die Gelehrten
und Theologen, die schönen Damen und schönen
Weiber. Noch jüngst lasen wir in der Zeitung
die glänzende Reihe ihrer Namen. Er hat sie ge-
malt, wie ein Magier eine Vision bannt — in
Dunst und Rauch. Ist es paradox, wenn man sagt,
die äussere Erscheinung der Menschen sei ihm
Nebensache gewesen? — Was war ihm der seidene
Glanz der Haut, das farbenreiche Spiel von Licht
und Schatten, das liebevoll das unbedeutendste
Menschengesicht umwittert, was war ihm die
rosige Frische der Jugend? — Was war ihm alle
Fülle und Harmonie der Farben? — Er hat nur
Geister gemalt, nur Ausdruck und Charakter.
Aber das hat er freilich verstanden wie wenige
vor ihm und keiner nach ihm. Das Wesen grosser
Männer hat er kühn und stark erfasst, in kurzen
Zügen bildlich gedeutet und mit dem Stempel seiner
Persönlichkeit geprägt der Nachwelt überliefert.
So wusste er Bismarck, den alten Kaiser, den Papst,
Moltke, Döllinger und viele andere mit seinem
eigenen Wesen zu verketten. Unsere Enkel werden
diese Männer mit den Augen Lenbachs sehen. Für
die Darstellung der Frauen hatte er eine allgemeinere
Formel bereit. Von wenigen Ausnahmen abge-
sehen scheinen sie ihn künstlerisch nur gefesselt

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