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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Heilbut, Emil: Das Shakespeare-Denkmal in Weimar: ein Dialog
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0359

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ist. Was soll nun, dass Sie Otto Lessing vor-
werfen, er hätte nichts Shakespeare „Kongeniales"
hervorbringen können!
B: Mein Verehrter. Trennen wir. Erstens gilt es,
zu untersuchen, wie tief gerade Otto Lessing
steht; zweitens kommt die Erscheinung Shake-
speares im Allgemeinen daran. Otto Lessing hat
bei uns eine Bildsäule des Roland — verbrochen
lassen sie mich diesen „slang" brauchen, — die
am Ausgang der Siegesallee steht und wie eine
Bestätigung des Sprüchworts Ende gut, alles gut
oder umgekehrt wirkt. Dieser Klotz zeigt in
Riesengrösse Plumpheit und Trivialität. So sehr,
dass es keinen Pfahlbürger von Berlin giebt, der
über dieses Denkmal nicht spottet. Ferner hat
Otto Lessing den Brunnen auf dem Lützowplatz
geschaffen. Ich lese so zerstreut und mich inter-
essieren die Verhandlungen nicht übermächtig,
daher weiss ich mich nicht zu erinnern, in wel-
cher der verschiedenen Körperschaften die Rede
davon war, dass fünfundfünfzigtausend Mark
jährlich für — das Wasser aufgebracht werden
müssen, das über die Steine dieses Lessingschen
Brunnens rieselt. Fünfundfünfzigtausend Mark
jährlich. Wenn ich denke, was für einen solchen
Betrag an Kunstwerken hätte gekauft werden
können und man kauft Wasser dafür. Es ist mir
zu langweilig, es nachzusehen, mir deucht aber,
dass in diesen Verhandlungen auch darüber eine
Diskussion entstand, von welcher Seite diese
Summe gezahlt werden müsste, von der Stadt
oder vom Ministerium. Wenn es das Ministerium
für die geistlichen Angelegenheiten, den Unter-
richt und die schönen Künste ist, das den jähr-
lichen Betrag für den Wasserverb rauch am Lützow-
platz zahlen soll, — wenn das Wasser 5 5 000 Mark
Kunstverdrängung bewirkt, — dann werden Sie
begreifen, dass mein Ingrimm gegen diesen Bild-
hauer steigt, der uns so teuer wird.

Und nun Shakespeare im Allgemeinen oder im
Speziellen. Sie wissen, wir haben von Shakespeares
äusserer Erscheinung weit geringere Vorstellungen
als von demAeussern der meisten anderen grossen
Dichter. Es ist vielleicht keinem Dichter gegen-
über so schwergemacht, das Antlitz, wenn es
porträthaft sein soll, festzustellen. Wir haben
von Dantes Kopf Vorstellungen, wir haben von
Goethes Kopf Vorstellungen und wir haben von
Shakespeares Kopf nur vage Vorstellungen. Wir
sind über seine Erscheinung im Ungewissen;
wenn er porträtiert worden ist, so sind es keine

grossen Künstler, auch keine mittleren gewesen,
die ihm gegenübergestanden haben,sondern lokale
Darsteller. Und doch, so gross ist der Eindruck
des, wie man glaubt und hofft, Ursprünglichen,
vom Zauber des Sachlichen, Historischen Um-
sponnenen, dass ich Ihnen versichere, als ich in
der National Portrait Gallery vor eine verwitterte
Leinwand kam, auf der Shakespeares Züge, nicht
einmal denen ähnlich, die man meistens als Shake-
speares Züge sieht, vor mich traten, dass ich da
einen Schauer fühlte, dass Shakespeare mir hinter
dieser schlechten und unbeholfenen Leinwand
zu stehen schien und dass ich das Bild mit einem
viel grösseren Interesse betrachtete als die Meister-
werke der Reynolds und Gainsborough, die in
anderen Sälen dieses Museums hingen und die
Persönlichkeiten darstellten, welche Shakespeare
gegenüber nichtig waren. Es war ein Eindruck
in der Art von jenen, die durch den Anblick des
Tintenfasses eines grossen Mannes oder von
Goethes Lehnstuhl erzeugt werden. Kunst trug zu
diesem Eindruck nicht bei und dieses Reliquien-
hafte lässt sich nicht übertragen.

Da nun bei dem Standbild der Shakespeare-
Gesellschaft mit dem Mittelgute der Künstler
zu rechnen war, so hätte sich möglicherweise
eine Lösung empfohlen wie sie gegenwärtig bei
dem Mozart-Denkmal in Dresden versucht worden
ist: von allem Porträthaften hatte man bei dem
Mozart abgesehen und nur einigen sich im Tanz-
schritt bewegenden Frauengestalten war die Auf-
gabe zugewiesen, unsere Vorstellung von Mozart
anmutig einzuhegen. Mehr kann vielleicht nicht
geschehen. Eine Gedenktafel ist vielleicht eben-
so nützlich und würdiger. Was mich betrifft,
so werde ich durch die Lektüre einer Seite Shake-
speare mehr in Stimmung versetzt als durch den
Anblick des Shakespeares von Otto Lessing, der
so gequält wie ein ungewandter Schauspieler auf
einem Steine sitzt und eine Rose betrachtet hat.
Mir scheint, es ist eine Spielerei gewesen, eine
solche Produktion eines mittelmässigen Künstlers
ins Leben zu rufen, es war eine Art Puppenaus-
staffierungsunternehmen. Ein solcher Shake-
speare scheint mir tiefstehend wie Panorama- und
Panoptikum-Angelegenheiten. Es thut mir weh,
dass ich eine ernsthafte Gesellschaft von Ge-
lehrten und feinen Geistern vor einem solchen
Denkmal sich versammeln sehe . . .
A: Sie werden aber doch nicht viele Menschen, die
Ihnen beistimmen, finden. H.

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