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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Heilbut, Emil: Watts (gest.)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0454

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Bläue, die gewiss über die Grenze der Natur hin-
ausgegangen ist. Man sieht in der Bläue dieser
Augen das Ueberschwengliche und den Enthusias-
mus eines Historienmalers, mit dem uns kaum noch
ein gemeinsamer Gedanke verknüpft — und man
sagt sich: wie seltsam; welch ein künstlerischer
Mann ist Watts, dessen blaue Augen, weit entfernt,
antidiluvianisch zu wirken, koloristisch herausge-
bracht sind. Er malte auch etwa das Bild eines
jungen Mädchens, ein typisches junges englisches
Mädchen, dessen Ausgangspunkt ein Porträt ge-
meinhin war, das ihm aber ins Allgemeine glitt.
Dies idealisierte Bild war so verschieden von der
Masse ähnlicher Hervorbringungen wie ein frühes
Bild von John EverettMillais von dem Farbendruck
einer Weihnachtsnummer des Graphic. Watts hatte
diesem Porträt, das mir vorschwebt, den feinsten
Reiz in der Art gegeben, wie das Gesicht dieses
Mädchens sich von einer braunroten Backsteinmauer
abhob.

In der National Portrait Gallery hängen viele
von Watts geschenkte Bildnisse: Carlyle, Manning,
John Stuart Mill, Rossetti, Browning, George Mere-
dith etc. Er hat in diesen Porträts Anteil an allem, was
in der Menschheit an guten und edlen Keimen ist.
Was die künstlerische Form betrifft, so zeigt sich,
dass diesem Bildnismaler absoluteste Aehnlichkeit
das Erfordernis war, dass aber eine Würde und ein
Stil, die in ihm ruhten, Veranlassung gaben, dass
mehr als blosse Aehnlichkeit erzielt wurde. In
diesen Porträts ist Hingabe wie Einheitlichkeit.

Sie erleben eine gefährliche Probe, denn sie
hängen im selben Haus mit Bildnissen, die von
Fürsten der Porträtmalerei wie Gainsborough und
Reynolds hergestellt worden sind. Natürlich stehen
sie hinter ihnen zurück. Aber etwas Lyrisches
bleibt.

Als das vielleicht schönste unter seinen Bild-
nissen erscheint mir das einer Lady, im Profil wahr-
genommen, nur in wenigen Tönen, in einer Ueber-
setzung gemalt. Mit einem entsagungsvollen
Ausdruck in den höchst aristokratischen Zügen hebt
sie sich von einem Fels- und Landschaftshintergrund,
der an den der Mona Lisa denken lässt, ab.

Unter seinen nicht porträthaften Arbeiten hat
mich lange nicht die Erinnerung an ein ziemlich
kleines Bild losgelassen, das er „the rain it raineth
every day" nannte (nach Shakespeares Narrenlied
im „König Lear"). Man sah eine Dame in ihrem
Zimmer, etwa im Genre der Richtung des Aesthe-

ticismus, auf den Ellenbogen gestützt, sehnsüchtig
am Fenster. „In Sehnsucht, in Sehnsucht leb' ich",
wie es in Jacobsens Mogens heisst.

Auch ein zartsinniger Landschaftsmaler war
Watts. Hier ging sein Streben manchmal ins
Tuiner-hafte, ja Blake-hafte, Grosse resp. Prophe-
tische. Wenn den Arbeiten dieser Art, trotz eines
feinen koleristischen Reizes, das Ziel versagt ge-
blieben ist, so finden wir Watts ganz zu Hause in
traumhaften und doch sehr wahren kleinen Land-
schaftsschilderungen von der Insel Whight.

Watts selber legte diesen Landschaftsschilder-
ungen kein Gewicht bei. Er widmete allen seinen
Anteil seinen grossen Idealschöpfungen, von denen
es sehr viele giebt: Eva nach dem Sündenfall, Fata
Morgana, Gerichtshof des Todes etc. An den
Bildern Tod und Liebe, Liebe und Leben, seinen
Lieblingsschöpfungen, hat er, mit der steten Neigung
des Verbesserns, stets wieder und wieder gemalt.

Er war ein erstaunlicher Arbeiter, stand im
Morgengrauen auf, arbeitete vom Tagesanbruch
an. Er war dabei eine nicht robuste, eine zarte
Erscheinung, ein wunderschön anzusehender Mann
im hohen Alter. Nur in zwei Monaten, im Früh-
jahr lebte er in London, die ganze übrige Zeit
des Jahres auf dem Lande. Er ist siebenundachtzig
Jahre alt geworden und war bis zuletzt thätig.

In seinem londoner Hause sah es, von der
Galerie abgesehen, die sachentsprechend einen etwas
zurückhaltenden und nicht intimenEindruck machte,
wundervoll aus. Hier hatte sich über eine ursprüng-
lich morrismässig strenge Einrichtung etwas Frauen-
haftes gebreitet.

Eine reizende Szene aus dem Familienleben
von Watts erlebte ich einst. Ich hatte im Garten
von Watts seinen dort stehenden Entwurf einer
Reiterstatue gesehen, nämlich einen Jüngling, der,
sich auf einem galoppierenden Rosse aufrichtend, die
Hand vor das Auge hält, wie um die Sonne von
sich abzulenken, ein Werk, das er damals „physical
energy" nannte. (Später hat es den Namen Cecil
Rhodes erhalten.) Ich drückte Watts meine Be-
wunderung aus und geriet, trotz eines sehr zu
wünschen lassenden Englisch, gewiss in einen
grossen Enthusiasmus, denn mitten in meinem
Sprechen lief der Künstler davon: „ich muss meine
Frau rufen", rief er, „sie soll auch Ihr Lob hören".
Der Eindruck vollkommener Glückseligkeit, den
das ganze Leben des entzückenden Künstlers macht,
wurde durch diese Worte besiegelt. H

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