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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Kessler, Harry: Van de Veldes Tafelsilber
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0457

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durch die fein berechneten Rundungen und Profile
ihrer Stücke. Das Ornament« mit seinen bestimm-
teren Wirkungen ist für sie fast nur Folie zu dem
zauberhaften Schimmer ihrer Flächen.

Unser Silber ist nicht mehr geschmiedet sondern
gepresst, durch Maschinen in Schablonen hinein-
gedrückt. Die Politur findet auf dem platt ge-
quetschten Metall keinen Halt; sie lässt das Licht
blank und glatt wie an Nickel abgleiten. Das
Ornament wirkt matt oder roh. Seitdem fehlen
die Voraussetzungen eines Silberstils: der milde
Glanz der kunstvoll behandelten Oberfläche und
die feine Nüancierung feiner Ornamente. Charakter-
los nimmt das Maschinensilber, dem kein Weg ge-
wiesen ist, jede Form und Facon an, vom billigen
Hochzeitsgeschenk für arme Verwandte bis zu den
ungeheuerlich pompösen Tafelaufsätzen mit Palmen-
bäumen, Hirtinnen und Kamelen, die um 1880
beim europäischen Bourgeois den Tisch zierten und
denen jede Beziehung zum Material, jeder Stil, in
einer selbst bei Negerfürsten unerhörten Weise fehlte.

Eine Reaktion hat seit einigen Jahren eingesetzt;
allerdings bisher fast nur in England. Ashbee und
die birminghamer Gilde haben den Silberglanz
wiedergefunden. Ihre einfachen, viereckigen und
runden Formen wirken durch das Material. Sie wer-
den durch den Glanz schön. Aber sie selbst bleiben
passiv. Sie werden sozusagen nur geschmückt.

Die Formen aktiv zu machen, sie wieder so zu
machen, dass durch sie das kunstvoll behandelte
Silber noch subtiler und reicher glänzt, das ist dann
ein weiteres Ziel. Dieses verfolgt van de Velde.

Aber die reiche Ziselierung des Louis XV, diese
Fülle von Handarbeit, wiederspricht unsrer Zeit.
Deshalb geht van de Velde den andren Weg, den der
alten Engländer, aber bestrebt ihre Methode zu Ende
zu denken. Er sucht dem Gerät Flächen zu geben, die
den Glanz verschieden hell und tief in einem kunst-
voll berechneten Wechsel spiegeln; Hell und Dunkel
sollen an ihnen wie in Rhythmen spielen. Das
Ornament kommt hinzu nur um diesen Grundtakt
zu unterstützen, durch schwärzere Schatten und
hellere Lichter. Die Form des Geräts und sein
Ornament sind Stufen zu demselben Ziel: die Seele
des Silbers, die der Hammer erweckt hat, lebendig
und wie in Versen reden zu lassen.

Deshalb sind Ornament und Form hier orga-
nisch eins. Die Flächenbewegung kulminiert im
Ornament wie der Rhythmus des Verses auf dem
stärksten Ton oder im Reim. Das Ornament ent-
steht aus der Flächenbewegung. Es ist zum Gerät

nicht hinzuerfunden, sondern aus ihm heraus-
entwickelt. Es ist kein einzelnes für sich bestehen-
des Motiv, wie die Fruchtkränze oder Eierstäbe des
Louis XVL, sondern ein Teil der unendlichen Melo-
die, die das Licht an diesem Silberstück singen soll.

Wo die Flächenbewegung allein schon den
Silberglanz in genügend klare Rhythmen bricht,
kann deshalb das Ornament fehlen, ohne dass
van de Veldes Stil dadurch in seinem Wesen verändert
wird. Im Gegenteil; je mehr er die Wirkung der
Flächenbewegung auf das Licht beherrschen lernt,
umsomehr kann er des Ornaments entraten, enträt er
wirklich des Ornaments, wie beidemTheeservice hier,
und bei dem Theebrett, auf dem nur eine einzige
Linie den GlanzefFekt gegen die Griffe zu unterstützt.

Deshalb kann er auch das Gerät genau der be-
quemsten Form für den Gebrauch anpassen, weil
er nicht von irgendwelchem Ornament abhängt,
sondern bloss leise Beugungen und Verschiebungen
der Flächen braucht, die für Hand und Mund nicht
zu merken sind. Seine Bestecke liegen genau im
Gleichgewicht in der Hand, was sie auffallend
leicht macht und ebenso angenehm wie selten ist.
Und ihr Griff ist zugleich ein kleines Meisterwerk
der Anpassung an die Finger, ebenso wie sein
Dessertlöffel an den Mund. Man empfindet beim
Essen mit diesen Bestecken eine Art von sinnlichem
Reiz und Vergnügen, wie wenn ein dünnes, ge-
schliffenes Glas die Lippen berührt.

Diese so folgerichtig aus dem Silber entwickelte
Formgestaltung durch die Fläche und das Hell-
dunkel hängt natürlich nicht ab von van de Veldes
Linien. Sie ist eine Norm für jede Zeit und Mode.
Aber van de Veldes Linienführung passt genau in sie
hinein. Denn das Wesen dieses Silberstiles ist Belebung
und das van de Veldescher Linien, dass sie leben.

Sie leben, weil sie wie die gothischen eine Be-
wegung wiedergeben, eine Kraft, die erwacht,
emporschnellt, gehemmt wird, gegen andere Kräfte
in der Spannung bleibt: ihr Sujet ist prinzipiell
immer eine Kraftkurve, wie das Sujet anderer Orna-
mentik, der barocken etwa, Pflanzen oder Menschen.
— Und sie leben, auch noch weil sie modern sind,
d. h. Beziehungen haben zu dem Leben rings um
sie herum durch die Verwandtschaft ihres Charakters
mit dem langen, eleganten Zug der Linien, die jetzt
überall merkwürdig ähnlich hervordringen: nicht
bloss in der Eisenkonstruktion, in den mächtigen
Hängebrücken, in Maschinen, Rennyachten, Auto -
mobilen, sondern auch im intimen Leben, im Rock,
im Schnitt des Fracks, im schneidergemachten

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