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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Gronau, Georg: Siena und seine Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0469

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täuscht worden sein: das war aber dann durch die
eigene Schuld. Dass von Duccio nichts gezeigt
werden könnte, das sich mit dem Domaltarbild
vergleichen Hesse, von Simone Martini oder den
Lorenzetti nichts vom Range ihrer Fresken, das
konnte man vorher wissen. Unter einigen hundert
Bildern musste das "Mittelgut, die übliche Markt-
ware vorwiegen, die man im mittelalterlichen Siena
ebenso gut für den Hausbedarf herzustellen wusste,
wie im heutigen Siena Triptychen und Cassone-
tafeln für die Sammler. In der Akademiesammlung,
in den Kirchen kann man sehen, was Siena im besten
Falle geleistet hat.

Aber das Ganze: diese Prachträume mit den
tiefen Fenstern, an deren malerischem Schmuck
drei Jahrhunderte gearbeitet haben (und leider ist
auch das neunzehnte in Konkurrenz getreten), welch'
eine Umgebung für Paramente und kirchliche
Kleinodien, Holzstatuen und Mobiliar! Wie gern
wanderte der Blick von den Wänden oder Decken
zu den Schätzen unten und wieder zurück.

Da war ein Raum, die alte Kapelle, mit den
Fresken von Taddeo Bartoli und dem Altarbilde
Sodomas. In der Mitte eine grosse Vitrine, elektrisch
von oben erhellt. Hier glänzt und schimmert es
von Silber, Gold und Edelgestein, nicht barbarisch
durch den Materialwert imponierend, sondern von
Künstlerhand zum Edelwerk gefertigt. Immer neue
Formen fand man für die jeweilige Aufgabe: hier
ein Tempelbau mit zierlichen Säulchen, gothischen
Türmchen und Wasserspeiern daran, farbig am Unter-
bau durch Emailbilder belebt, dort silberne Engel
einen Kristallsarg tragend, der zur Aufnahme einer
Reliquie bestimmt ist; zierlich getriebene Reliefs
erzählen Wundergeschichten; dann wieder sind die
anmutigen, immer neuen Verschlingungen des Fili-
grans über einen Silberbau gelegt. Und in diesem
Mikrokosmus spiegelt sich so deutlich die Ent-
wicklung der grossen Plastik wieder, hier Gothik
in reinster Strenge, dort Eindringen der Renaissance-
form und endlich deren kühne Freiheit.

Historie und Kunstfreude wirken hier oft ge-
meinsam. Wer möchte die goldene Rose, die Pius IL
seiner Vaterstadt geschenkt hat, ohne Bewegung
betrachten, gedenkt man des klugen und feinsinnigen
Schriftstellers Aeneas Sylvius Piccolomini ? Und doch
ist es nicht nur ein Apell an den historischen Sinn:
ein feines Goldbäumchen, dünne Rosenblätter und
Blüten, mitdem zierlichstenGriffinFrührenaissance-
Ornamentik darunter, wohl dass man die Rose in
Prozession dem Volk zeigen konnte; und nun hängt

irgendwo an einem Zweig ein lichtblauer Edelstein,
ganz willkürlich, die köstlichste Blüte abgehoben
vom matten Gold. Und ein andrer Papst aus sieneser
Geschlecht, Alexander VII. Chigi, auch er ein Mann
voller Kultur, stiftete für eine Kapelle des Doms
dort jene reichen Gerätschaften für die Messe; in
lauter gewählten Formen, schon im Stil der reifsten
Renaissance, alle Stücke aus dem edlen Material
des Bergkristalls (dem, beiläufig bemerkt, das
Kunsthandwerk der vergangenen Jahrhunderte so
viel ausgezeichnete Stücke abgewann und das heute,
scheint es, so ganz vernachlässigt ist), mit einfachen
Einfassungen in Gold und Email translucide.

Diese Abteilung der Ausstellung bietet dem,
der Freude hat an alter Kunstübung, vielleicht
grösseren Genuss als die Bildersäle. Denn, wie oben
angedeutet, hier ist das Mittelgut zu stark vertreten:
gewiss wichtig für den Forscher, der seine Kenntnis
einer bestimmten Schule auf einem möglichst grossen
Material aufbauen will, aber völlig gleichgültig
für jeden andern. Immerhin, ein Stück wie z. B.
das Madonnenbild des Giovanni di Paolo, mit den
entzückenden Engelknaben, deren Häupter mit
Kornblumenkränzen geschmückt sind, wird durch
seine Schlichtheit und Anmut jeden erfreuen. Hier
erscheint die übliche Feinmalerei um noch einen
Grad gesteigert und eine fast beispiellose Qualität
der Erhaltung lässt die reine Temperatechnik aufs
klarste verfolgen.

Im Ganzen wird die Ausstellung hier nur das
Bild verstärken, das man ohnehin immer von sieneser
Malerei mitnehmen wird: dass sie gewaltig und er-
haben einsetzt, um in ziemlich öder Manier lang-
sam zu verflachen, mag auch (im Quattrocento)
der eine und andere Erfreuliches geleistet haben.
Vor allem besteht die Schule die Probe nicht, die
über die Meisterschaft eines Volks, wie des Indi-
viduums entscheidet; das Einzelwerk, in der Kirche
oder im Privatraum gesehen, erfreut, fesselt, prägt
sich ein; die Mehrzahl und gar die Masse ermüdet
und macht teilnahmlos, ja direkt ungerecht. Das
unterscheidet Siena von Florenz, wie es van Dyck
von Rembrandt unterscheidet.

Wohl aber bleibt der Gesamteindruck einer
Kunst, die frommen Empfindens voll war, von der
höchsten technischen Schulung, fast unfehlbar im
dekorativen Geschmack.

Durch Sodoma kam das Renaissanceempfinden
der grossen Zeit nach Siena. Er selbst war hoch-
begabt, doch nicht ganz echt, daher er auch in
der Schätzung auf die Dauer sich nicht neben den

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