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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Heilbut, Emil: Die Sammlung Linde in Lübeck, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0308

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fohlen wir uns veranlasst, zu sagen, er hat die Reihe
der grossen Maler fortgeführt, er folgte in der
Kette; wir staunen, wie sehr er die Weise der klassi-
schen Maler fortsetzt. Wenn in den Schriften des
französischen Romanciers der Eindruck zwischen
den Zeilen wächst und wuchert und unwidersteh-
lich wird, dass Manet Revolution bedeutet hätte,
so sehen wir — die Kreise, aus denen wir hervor-
gegangen sind, inmitten welcher wir stehen — in
Manet längst hauptsächlich das ihn mit den Alten
Verbindende. Er erscheint uns nicht neu, er er-
scheint uns gut. Manet erscheint uns selbstverständ-
lich. Seine Kunstpraxis ist in unser Blut überge-
gangen.

Von neuem werden solche Empfindungen rege
vor den drei eleganten Bildern Manets in der Lin-
deschen Sammlung: zwei Reiterbildnissen und einem
Selbstporträt.

Vor der „Reiterin" ist die überhaupt erste Emp-
findung, die man hat: sie hat einen roten Fleck auf
der Wange, den man in ganz derselben Weise auf
zwei Bildern von alten Meistern gefunden hatte.

Dieser rote Fleck auf der Wange von Manets
Reiterin ist himmlisch; er giebt dem Kolorit die
Würze eines Höhepunkts; er bringt den Eindruck
des Fleisches zum Aeussersten; er lässt die Wange
mildgefärbt und doch sehr lebendig erscheinen.
Und er findet sich genau so und mit dem gleichen
Resultat auf dem Arnolfini von Lucca von van Eyck
in der National Gallery in London und auf dem
Bildnis eines vornehmen alten Herrn von Velazquez
in der dresdner Galerie.

Die Darstellung der Reiterin mit dem Blond
der Haare, dem Schwarz des Huts und des Kleides
und dem wundervoll gefundenen mittleren Blau
des Hemdkragens, das zwischen den schwarzen
Tönen und dem frischen Fleisch vermittelt, ist herr-
lich. Und mit welchem Vergnügen weilt man auf
dem lebensvollen Teint, mit der bezeichneten roten
Stelle, und auf dem flockigen weichen Schatten des
schwedischen Handschuhs, der die kleine Hand um-
schliesst, die die Gerte hält, auf der Komposition,
welche erkennen lässt, dass die Dame im Schritt
reitet und auf dem Tone links, von dem sich das
tiefdurikle Pferd abhebt.

Der Wald hinter der Reiterin hat vielleicht eine
grössere Frische als sie uns auf Gemälden des Velaz-
quez entgegentritt. Wie das Licht durch das Laub
quirlt — wozu noch das Geopferte in den Reiter-
figuren tritt —, das ist vielleicht wahrer als das
Landschaftliche in Velazquezschen Bildern. Doch

sagen wir hier vielleicht: Denn wir stellen uns
nicht genau genug vor, wie ehemals ein Bild von
Velazquez aussah.

Auffallend ist, wie die Reiterin sich deutlich von
dem Hintergrunde abhebt. Das Prinzip der „tranche
de vie" — bei dessen Einhaltung ja das Bildnis im
Bildenichtmehr Werthaben solltealsdieumgebenden
Teile — scheint von Manet hier im Stiche gelassen
worden zu sein, als hätte er eine Regung gefühlt
ausserordentlich konservativ sich zu verhalten. Doch
ist der Hintergrund im Sonnenlichte hell wie eine
andere Art von Schweigen im Walde. Das Licht
hat aus den Bäumen den Körper gezogen. Die
galoppierenden Reiter sehen wir undeutlich durch
dies vibrierende Licht und ihre Gespräche selbst
scheinen vom Lichte verschlungen worden zu sein.
Die Schatten fliegen, die ihre Pferde werfen, der
Staub schimmert, den sie auf dem grauroten Wege
aufwirbeln, und hinter den Stämmen der Bäume
blitzt hie und da Licht vor. Da ist der Wald denn
wie eine fata morgana im Lichte und hat etwas von
Gobelinabgeschiedenheit — trotz seiner Erdwirk-
lichkeit. Es ist klar, dass das Bild der Dame, die
in einem andern Lichte ist und die in einem
schwarzen Kleide reitet, sich vordrängt, und ihre Er-
scheinung ein Porträt im ehemaligen Sinne wird,
während ihre Umgebung als „Hintergrund" zurück-
bleibt. Manet hat in dieser Arbeit die Vorteile,
welche die ältere Malerei daraus zog, dass ihre Bild-
nisse weniger Ausschnitte aus der Natur alsnurBikU
nisse sein wollten, mit einer vollkommenen Natür-
lichkeit der umgebenden Teile verbunden.

Doch ist das nicht charakteristisch für Manets
Bildnisse überhaupt. Es ist nur ein Charakteristikum
gerade dieses einen Porträts. Will man etwas be-
merken, wodurch die ganze Welt der Manetschen
Bilder charakterisiert wird, so kann man zum Bei-
spiel sagen: alle Manetschen Bilder haben schönes
Kolorit. Denn das ist das Merkwürdige in diesem
Künstler: wie in ihm Kolorit und Natur zusammen-
flössen. Das ist die Grazie, die diesem glänzenden
Künstler zu Teil geworden ist.

Die dargestellte Dame war eine Mademoiselle
Marie Lefebure. Das geistvolle Auge fällt auf, sie
ist von grosser Schönheit bei sich bereits der Fülle
nähernden Gesichtsformen. Sie ist im Alter von
etwa dreissig Jahren dargestellt.

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Der „Reiter" fliesst in die Darstellung, die ihm
gewidmet ist, mehr hinein als die „Reiterin" in die

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