Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 6.1908

DOI issue:
Heft 6
DOI article:
Lovis Corinth
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4705#0251

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
LOV1S COR1NTH, BILDNIS DER FRAU M.

anfangen und immer etwas künstlerisch Wertvolles
zustande bringen. Niemals freilich ein vollkommenes
Meisterwerk. Er vermöchte es, weil er in einer
Atelieratmosphäre lebt, weil ihm das Handwerk an
sich Freude macht.

Und das in einer Zeit, die so wenig Sinn für
lebendige Handwerkstradition hat! Solche Un-
bekümmertheit, die die Kunst für ein schönes,
wenn auch sehr ernst zu nehmendes Spiel hält, in-
mitten unserer formlosen, zugleich dem Eklektizis-
mus und dem Revolutionären zugewandten Zu-
ständen! Die bedeutendste Anlage kann da zur
vollen Reife nicht kommen. Innerhalb einer leben-
dig grossen Konvention, in einer Malerschule wie
der mimischen, da wäre Corinths Talent so recht am
Platze. Heute, als Mitglied der Berliner Sezession, ist

er mehr Phänomen und wun-
derliche Erscheinung, als es
seine Qualitäten verdienen.
Inmitten der Tendenz und
unter lauter Pfadrindern muss-
te seine vollblütige und dreist
sich behauptende Geniesser-
natur zum enfant terrible der
Berliner Gesellschaft werden,
musste seine ausserordent-
liche Begabung mehr zur Dis-
kussion reizen und mehr
Ärgernis erregen, als es der
künstlerischen Würde gut
sein kann.

Corinth ist, wie man sieht,
nichts weniger als ein Impres-
sionist; wenn man dieses
Wort in dem Sinne gebraucht,
dass es den Zustand des Be-
troffenwerdens vor der Natur,
das innere, urweltliche Er-
leben des Wirklichkeitbildes
bezeichnet. Der Impressionist
ist der geborene Philosoph,
weil er vor denErscheinungen
der Welt erstaunt; Corinth
aber sieht in der Natur zuerst
immer nur Motive für seinen
leistungsfähigen Pinsel. Dar-
aus ergeben sich nun mancher-
lei Folgen. Zuerst wirkt die-
ses Verhältnis zurück auf die
Fähigkeit der Komposition.
Ein Impressionist (das Wort
immer dem seelischen Sinne nach gebraucht) hat in
seinem Augenerlebnis gleich auch die wesentlichen
Kompositions- und Raumgesetze. Denn das Gesetz-
liche im Zufälligen wahrzunehmen: das ist ja Impres-
sion. Was ihn vor der Natur packt, ist eben das Raum-
hafte, Rhythmische. Liebermann erlebt den Raum;
das macht ihn zu einem so bewunderungswürdigen
Raumkünstler. Und damit auch zum Kompositions-
künstler. Corinth dagegen muss schulgemäss kom-
ponieren. Und das geht natürlich nicht ohne Eklek-
tizismus und Akademismus ab. Gerade in der
Komposition ist Corinth denn auch schwach. Das
Raumhafte gelingt ihm selten, weder in der Tiefe
noch in der Fläche. Trotz grosser und geistreicher
Kühnheiten, die Körper im Rahmen zu plazieren,
wird selten nur jener Eindruck räumlicher Not-

236

fc
 
Annotationen