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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 54.1903-1904

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Hagen, Luise: Allerlei Schnurarbeiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7291#0350

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Allerlei Schnurarbeiten.

Studien darüber anstellen, wie die Anbringung solcher
Beschläge folgerichtig aus der Notwendigkeit abge-
leitet werden kann, die Fugen des polzes zu über-
brücken. In die schwarzlackierte Mittelrosette ist eine
Seidenschnur mit rosa Quasten eiugeschlungen. Die
Seitenquasten sind ebenfalls rosa, mit Weiß überlegt.

Daß die Notwendigkeit der Verschmelzung des
Festen mit dem Beweglichen auch von den Koreanern
empfunden wird, geht aus der Serie der vorgeführten
Quasten hervor. Bald fucht man diese Festigkeit
durch Flechten und Verknotungen der Schnur zu er-
reichen, dann wieder werden feste Zierkörperchen
eingefügt, z. B. ein Messingbügel in die Schnurquaste
(Abb. 625), ein grüner Iadeschmetterling (Abb. 629),
eine weiße durchbrochene Iadekapsel (Abb. 627).

In Europa ist die Kunst der Schnurarbeiten
im Laufe der Jahrhunderte ihren eigenen Weg ge-
gangen, der überall bestimmte Niederschläge der
Zeitstimmungen und des Zeitempfindens aufweist,
bis ins erste Drittel des jst- Jahrhunderts hinein.
Man kann die Geschichte der Schnur- und Quasten- !
arbeit verfolgen vom romanischen Bischofsstab bis
zum Blindholzmöbel des ausgehenden Barock, vielleicht
sogar bis in die Tage des seooucl empire hinein,
von dem einige der Jüngsten unter den Franzosen
sich schon zeitlich weit genug entfernt fühlen, um
gewisse Schönheitswerte in ihm entdecken zu können.
Früh schon zeigt die deutsche Schnurarbeit, namentlich
da, wo die Arbeit des Tapezierers noch starke Ab-
hängigkeit von der zünftigen Sattlerei aufweist, die
Neigung, übersponnene polzformeu in das Bereich
der Schnurarbeiten hineinzuziehen. Eine klare Tei-
lung in Bortenarbeit und Fransenarbeit wird durch-
geführt. Das Bewußtsein für den übertragenen
Ausdruck des schweren, gewichtreichen Ausklingens
vollgriffiger Gewebe oder wuchtiger Polster iin Fran-
sen- oder Bortenornament bleibt vorhanden, solange
bestimmte Überlieferungen aus der handwerklichen
Zeit sich zu halten vermögein

Will man verloren gegangene Kulturwerte zu-
rückerobern, will man jenen Pessimismus bekämpfen,
der an der alten Zeit nur Gutes, an der neuen Zeit
nur Böses entdecken möchte, so ist bei Vergleichung
älterer und moderner Schnurarbeiten zweierlei ins
Auge zu fassen: wir selbst stehen unserm eigenen
Neuesten zu nahe, um ihm schon in jeder Richtung
gerecht werden zu können, und unsere Kulturströ-
mungen sind zu mannigfaltig, um bei den einzelnen
jene Sammlung des ganzen Geistes- und Seelenlebens
zuzulassen, die für ornamentale Kunst zum mindesten
ebenso unerläßlich ist wie für die inonumentale. Wenn
die Schnurarbeiten weltfremder Völker oder unserer
eigenen Vorfahren unser eigenes Empfindungsleben

620. Javanisches Batik. ff/,» der wirkt. Gr.)

lebhafter berühren als das, was wir selber schaffen,
so hat die Einheitlichkeit der Eindrücke ihrer Schöpfer
zweifellos diese stärkere Ausdrucksfähigkeit bedingt.

Am ein Tharakter zu werden, muß man, nach
Thomas Earlyle, viel sehen, viel leiden und viel
studieren. Neuerdings ist man geneigt, unsere Schulen,
die man der einseitigen Verstandesentwicklung be-
schuldigt, für die Schäden unseres Kunstlebens ver-
antwortlich zu machen. Man kann aber sehr wohl
den Spieß umdrehen und sagen: Die Schule hat die
seichte Romanphrase der Tageszeitung und der
Pintertreppenliteratur zum Gemeingut gemacht und
dadurch unsere Geschmackskultur zerstört. And auch
die Leidensschcu der Gegenwart, der krankhafte Wider-
wille gegen das leiseste Ungemach, gegen Anstren-
gung und gegen strenge Selbstzucht macht die moderne
Grnamentik gehaltlos. Die Koreaner und unsere
eigenen Vorfahren sind nicht willenskrank, wie wir,
weil sie nicht leidensscheu sind. Trotzdem wäre es
Atavismus, sich künstlich in überwundene Kultur-
stadien zurückschrauben zu wollen. Das Studium
des Überlieferten kann uns nur nützen, wenn wir
es treiben, um daraus die einzig richtige Erkenntnis
zu gewinnen: im Ornament ist der Sinn für Glie-
derung und Abmessung, für den Ausdruck der richtigen
Schwere, für Zusammenhang mit dem Mittelpunkt,
für Anpassung an die Umgebung unendlich viel
wichtiger als phantastische Linienführung.

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