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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 15.1935

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Heft 2 (Februar 1935)
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Koelitz, Hanna: "Zur Entwicklung der Landschaftsmalerei": vom Goldgrundbild zur Freilichtmalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.28171#0031

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mittclbar vor eincm liegt, so ist immer der Boden, auf
dem man steht, das wichtigc. Bei nahen pflanzen, die
nicht allzu dicht sind, fällt auch zunächst dcr braune Loden
auf, aus dem sie herauswachsen, — aus dem sie sich damit
zuglcich entferncn. Erst in einigem Abstand wird der
Rasen lückenlos grün. In einer größeren Ferne schieben
sich die Luftschichten zwischen da» Auge und die „Lokal-
farbe" der Gegenstände: Alles bekommt einen bläulichen
Schimmer. Blau ist Ubcrhaupt die Farbe der Ferne: blau
wirkt, bei Farbversuchen, stets zurücklicgender als ;. L.
grün — gan; besonders zurückliegender als rot, das nach
vorn ;u kommen scheint. Auch die romantischc „blaue
Blumc" — die nicht ebenso ;. B. eine rote Blume sein
könnte, ist nichts als cinc „versinnlichte" Ferne und Un-
wirklichkeit.

wicdcr breitet sich, zusammen mit dcm Tieferrücken des
Horizonts, das Braun von untcn her aus: Das Zerfallen in
drci Schichtcn wird noch als ;u unräumlich empfunden:
denn dic verschiedcncn Farben isolieren in einem gewiffen
Nlaß die cinzelnen Schichten. So wird nun der Mittel-
grund weniger grün und der Hintergrund weniger blau.
Glcichzcitig mit der allmählichen Zerstörung der Lokal-
farbc geht cine entgegengesetztc Entwicklung: Ie brauner
— oder grauer die Farben werden, um so wichtiger wird
das Licht. Eine ähnliche Beobachtung ist bei jeder Däm-
merung ;u machen: Die Farben werden grau und braun,
und gleichzeitig gewinnt ein auftauchendes Licht eine strah-
lende Hclligkcit, die es bei Tag niemals haben könnte.
So ist auch hier dcr Verzicht zugleich ein Gewinn: Das
Hell-dunkel ist nur aus Rosten der Farbe möglich. Mit
der Dämpfung der Farben steht noch eine andere Ent-
wicklung im Zusammenhang: Bei den frühen Dildern las-
sen dic zarten blauen Töne, und die verhältnismäßig ge-
ringen Helligkeitsunterschiede den Hintergrund, obwohl
er cbenso klar gemalt ist wie der Vordcrgrund, im ersten
Augenblick verschwommen erscheinen. wenn nun das ganze
Bild gleichmäßig braun gemalt wird, muß dieses Fern-
sein durch etrpas anderes als die blaue Farbe ;um Aus-
druck kommen: Nun wird die Ferne wirklich verschwom-
men gemalt, ohne feste Umrisse. Gleichzeitig wcrden aber
wichtige Dinge: Stadt, Schiffe — aus dem Vordergrund
heraus in den Horizont gerückt: Er bekommt dadurch
einen besonderen Akzent, den er in keiner andern Zeit
hat. So wird die weite mit allen denkbaren Mitteln be-
tont. Die Malerei Rembrandts oder Llaude Lorrains
bedeutet ein Äußerstes an Raumdarstcllung. Das ganze
1S- Iahrhundert^ soweit es nicht dem Rlassizismus ;u-
gehört, variiert - die im Barock aufgestellten Raummög-
lichkeiten. -Dann setzt wiedcr cin RLckschlag ein: Diesmat
nicht durch den Rlassisismus, der im wesentlichen,(;. B.
Ingres) ein künstliches Zurückgreifen auf Farbe und Form
der Renaiffance ;u erzwingen sucht, mit der bei so gewalt-
samen Versuchen häufigen schematischen Leere, sondern
durch die nachfolgende Zeit, die die barocken Traditionen
wieder aufnimmt- um-sie weiter ;u verändern. Auch da
ist in der allgemeinen Entwicklung der Rlassizismus
ein isolierter Versuch, auf Vergangenes zurückzugreifen.

Die überbetonung des Raüms wird wieder äufgegeben:
Der Horizont wird höher gtrückt, die Aufmerksamkeit
mehr auf den Vordcrgrund gerichtet, das Licht durch eine
neue Farbigkeit ersetzt, dic sich dadurch wesentlich von der
früheren Farbrgkeit unterschejdct, daß nun statt des Farb-
kontrastes der Farbzusammeghang und die Farbvalcur
-dargestellt wird. wälirend in der Renäiffance die Farbe
mögljchst rein grmalt wurde, und im Barock möglichst
gebrochen, um bA Lichtwirkung willen, wird jetzt die
Farbe möglichst mtensiv gemalt — und 'jdie Farbintensität
etwas andercs als die Farbreinheit. Kie bedeutet einp
ue Farbeübvechupg, Heine Mrübung durch braun oder
- wie im Barsck. sondrrn cinc Auflosung in dic vcr-
densteU' FarbychNWH.' FaEvVÄstismEÄÄd
die Entdeckung/ daß das Grön grüner wird, -weun
1. »s in brauy-gvM MHst-grün, gelb-grün zerlegt, be,
die.DM?«»/Mtz.wichtigste Entdeckung des
l.- Sshrhunderts, ohne Me Mcher Delaeroip noch Lorst

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noch der Impressionismus möglich ist. Reine frühere Zeit
hat diese Art dcr Farbigkeit gekannt. Leonardo hat sie
;war in der Natur bcobachtet, abcr für die Malerei ver-
botcn: da sie die „schönc Farbe" zerstöre. Damit war dic
rcine Farbe gemeint, das schönc pigment. Immer nur
hatte man die Farbe getrübt oder gebrochen, aber nie sie
so vielfältig abgcändcrt. Diese Malerei, dcr es auf dic
größte Lebendigkeit der Farbe ankommt, sucht bei der
Landschaftsdarstellung die Augenblicke aus, in denen dic
Landschaft am lebhaftesten gefärbt erscheint: Anstelle dcs
gesammelten Lichts mit seinem starken Hell-dunkelak;ent
tritt das diffusc Licht, das durch Dunst oder wolkenfil-
ter farbig ist. Dicse Farbigkcit kann man selber häufig
feststellen: Man bctrachtc eine Straße mit rotem odcr
gelbem Reklameschild bei scharfer Sonne und bei dunsti-
gcr Helligkeit, dic von einer gan; dünnen wolkenschicht
verursacht wird: Das Rot leuchtet bcim wolkenschleier
viel intensiver. Die starke offene Helligkeit zcrstört ebenso
dic Farbe wie es die starke Dämmerung tut. Daher ist
in dem dunstigen Venedig von jeher eine viel farbigerc
Malerei möglich als in dem klaren Florcn;, das einc der
„Hochburgen" der plastischen Malerei ist. Daher ist in
dem besondcrs klaren Alpengebiet eine Malerei überhaupt
so gut wie unmöglich. Denn das geblendete Auge hat
nicht die Empfindlichkeit für differenzierte und nuan-
cierte Farbwirkungen. Bei diffusem Licht verschwindet
der starke Schattcn und der Schatten überhaupt: Schon
dadurch werden die Dinge weniger plastisch. — Der Dunst
läßt aus den Schlagschatten 2ltmosphäre — im Sinn der
bildenden Runst — werden. Dcr Ampressionismus ist dic
letzte Ronsequen; dieser Malerei — das „plsiu sir" die
äußerste Möglichkcit, die Landschaft „farbig" ;u malen.

Damit im Zusannnenhang steht eine zweite Entwicklung:
während Gotik, Renaiffance und Barock fast ausschließ-
lich eine Malerei aus dem Ropf und mit dem Rücken ;ur
Natur kannten, eine Malerei im Atelicr und unter Zu-
hilscnahme von Studien, kcnnt das 10. Iahrhundert im
mer ausschließlicher einc Malerei vor der lTlatur und
nach der Natur. Diesc 2lrt Malerei ist nicht, wie nran
häufig sagen hört, eine Verfallserscheinüng und neben
der früheren Malerei minderwertig — sie cntspringt auch
nicht etwa der geringeren Einbildungskraft der modernen
Maler, sondern sie HLngt unmittelbar mit der neuen Far-
bigkeit des 10. Iahrhunderts zusammen.

Die gotische Goldgrundmalxrci hatte als farbiges pro-
blem ein möglichst intensives Gegeneinandersetzen leuch-
tender Farben, die sich mit dem metallischen Blitzen des
Goldgrunds messen mußten. Dieses problem findet sich
nirgends auch nur angedeutet in der Natur, es ist im
Gegenteil bewußt außcrnatürlich und „über"natürlich. Auch
die gotischc Frgur sollte im -Ausdruck moglichst weltent-
rückt sein, in der Haltung möglichst schwerelos wirken.
Ein Modell hätte ein Hemmnis bedeutet, denn es hättc
die Loslösung von der wirklichkeit ünmöglich gemacht.
Ein Malen nach der Natur wäre sinnlos in einer Zeit,
die die vfatur „sündig" nanntr und sie überwinden wollte.

Die Farbigkeit der Renaiffance mit ihrer perspektivi-
schen Abstufung von vorn 'üäch hinten, von braun über

grün ;u blau-bedeutet grob gesagt ein Farben-

schema, das ;war beobachtet werdcn kann und beobachtet
worden ist, das aber nu» immer und immer gleichmäßig
angewendet werden kann. Hier bei der ersten Landschafts-
malerei ist der Zusammenhang mit der Natur deutlich, doch
handelt es sich um eine schematisicrte Naturbeobachtung,
um ein Abstrahiere» von allem Niöglichcn: vom Helldun-
kel, Hebcl, von dcm Flimmern dcr Luft bei starker Son-
ncnbestrahlung. Es wird, wir inrmer in der Renaissance,
der Adealfall einer schön ünd ausgcglichen beleuchteteu
Landschaft dargestcllt. Ein Malen nach der Natur konnte
diesen Idealfall vielleicht eiNmal im Iahr erfaffe», und
. auch dann nicht gan;. Njcht umsonst warnt Lconardä-.Mp;
den violetten Schatten der Natur. Denn auch die einfache
plastischr Rundung der Dorpec, dre Verwendung der ->Lo-
kalfarbe" und die Lrübung dcr „schönen" Farbe mit
schwat; ist wenig natürlich. wie Michelangelo rs äblchnt,



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