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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 15.1935

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Heft 9 (September 1935)
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Frantzen, Wilhelm: Volkskunst und Jugend
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https://doi.org/10.11588/diglit.28171#0211

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A>ilhelm ßranhen-Hannooer

Aolkskunsl unö Zugenö

ie im Dünstlerhause ;u Hannover von dcr lAS.-
Rulturgemeinl'e und dem Berliner Heimatwcrk
veranstaltetc Ausstellung „Deutsche Volkskunst
und bäucrlichcs Handwerk" hat das Intereffe
weitcster Lreise geweckt und den Sinn dcs Großstädters
für die darin gezeigten, längst tot geglaubten Dinge neu
belebt. Jhr Hauptzwcck, für notleidende schöpferischc
Volksgenosscn idecll und wirtschaftlich ;u werben, dürfte
stchcrlich crfüllt worden sein. Die Ausstellung hat insbc>
sondere dic Bcachtung ;ahlrcicher Schulen gefunden und
viele Lehrer, namcntlich die fachlich interessierten Lunst-
cr;iehcr und wcrklehrer, ;u cinem Besuch mit ihrcn
Llaffcn veranlaßt. Demnach muß der Ausstellung, abge-
schen von ihrer mehr allgemcinen kultur- und wirtschafts-
politischcn Bcdcutung, auch cin wichtiger er;ieherischcr
Sondcrwert ;ugekommen sein. worin bestanden nun die
tatsächlich dargebotenen „Schulweisheiten";

Die Ausstellung bot ;unächst einmal eine gute Gelegen-
heit, das wesen dcr Zweckform in anschaulicher weise
;u untersuchcn. wir konnten die Abhängigkeit einer Form
von ihrer Zweckbestimmung an Hand der verschiedensten
Gegenstände nachweisen und auf ihren wert hin beurteilen.
So boten unsere niedersächsischen Melkschcmel, die bis
dahin den meisten Schülern da draußcn auf den weiden
kaum aufgcfallen waren, ein gerade;u klassischcs Beispiel.
Auf ihre reinc Erscheinung hin gesehcn, wurden sie
durchweg als plump, klobig und als unschön empfunden.
Dies ablchnende Urteil ändert sich erst, als die Frage
nach dem Zweck diescr „häßlichen" Form aufgeworsen
wurde. Damit war unsere Lritik mit einem Male auf
cine gän;lich andere wertungsebene verschoben. Also: dic
drci Deine sind nach unten keulenförmig verdickt worden,
ein;ig und allein damit durch die so entstandene Schwer-
punktvcrlagerung bei dem häufigen platzwechsel der Sche-
mel von selbst „auf scinc Beine fällt", und damit er des
wciteren in dem weichen wiesenboden und dem noch
weicheren Stalldung nicht einsackt. Diese formkritische
Erkenntnis, die in grundwichtige und vielen Menschen
völlig unklare Lulturfragen der Gegenwart eingreift,

natürlich auch Formen, dic „ent;ückend elegant" aussehen,
die als solche aber lediglich aus ihrer Zweckbestimmung
heraus cntstanden sind und bei deren Erschaffung kcin
Mensch die „ent;ückende Elegan;" ins Auge gefaßt hat.
Man denke nur an Stricknadeln und an Besenstiele. Das
eindeutigste Bcispiel, das in dieser Ausstellung aus bcgreif-
lichcn Gründen nicht ge;eigt wurde, wäre ;weifellos die
Maschine. Sic will nicht nur den wirtschaftlichen Effekt,
sie ist meistens auch selbst rin Er;eugnis rein wirtschaft-
lichen Denkens und der von ihr abhängigen physikalisch-
mathematischen Berechnung. Rein Mensch kümmert sich
beim Dau einer Maschine um Seele, Gefühl, Schönhcit
oder Runst. Läuft sie lange, läuft sie gut und läuft sic
billig; Das ist der witz! Daß wir.sic gelegentlich auch
-ffchön" oder „häßlich" finden, ist für die sachliche Bc-
urteilung nebensächlich. Auch der hcutc so viel bewundertc
Stromlinienwagen ist nicht aus künstlerischen, sondern
ein;ig und allein aus wirtschaftlichen Gründen so „schnit-
tig" gestaltet wordcn. wie kommt es aber nun, daß wir
ihn doch als „schöncr" empfinden als den alten Bcn;wagen
von Anno Da;umal? wir spüren ;weifellos einc höherc
Übereinstimmung ;wischen ihm und der Erfüllungsweisc
seiner Aufgabc, dic in der größtmöglichen Übcrwindung
des Luftwiderstandes besteht. Diese Empfindung und
diese Erkenntnis haben etwas Beglückendes an sich und
verführen uns dann mehr voreilig und oberflächlich als
richtig ;u Ausrufen wie: „Das ist ja fabelhaft! Einfach
wundervoll! Das ist elegant! Hcrrlich! Schönü" Daß dcr
Begriff des Schönen hier im allgemeinsten Sinnc gc-
braucht und damit aus dem engeren Bereichc
der Runst als dem des Rünstlerisch-auch
Gewollten herausgenommen wird, liegt klar auf der
Hand. Schän in jenem Sinne kann schließlich alles sein:
ein Bild, cin Haus, ein Auto, eine Landschaft, ein Som-
merabend, ein Glas Grog bei kaltem wetter und schließ-
lich auch eine be;ahlte Rechnung!

Die Ausstellung zeigte nur sehr wenig Gebrauchsgegen-
stände, die aus einer reinen Zweckform bestanden. Das
leuchtete uns durchaus ein; denn dieZweckform ist

reizte uns dann ohne weiteres ;um Aufsuchen ähnlicher ja kcinedwegs Ausdrück-d er a n Blu t und Bo-

Beispiele, die auch überall gefunden wurden und die
Allgemeingültigkeit unserer Entdeckung bestätigten. Die
;um Gcsetz erhobene Forderung lautete jetzt: man muß
bei der sachlichen Beurteilung eines Gegenstandes
von der Absicht scines Herstellers ausgehen und von Vieser
Absicht aus den wert der Sache noch einmal nachdenkend
überprüfen. Der wert eines Gebrauchsgegett-
standes liegt in seiner vj!ützlichkeit Dnd
damit auf wirtschaftlicher Ebene, aber nicht
in seiner Schönheit und damit auch nicht im Bereiche der
bildendcn Runst. Diese Feststellung schließt jedoch die
Betrachtung einer Zweckform unter dem Gesichtswinkel
des Schönen keinesw.egs aus, wie ja auch der Handwerker,
wenn er ;. B. zwei wirtschaftlich gleich gute Lösungen für
eine Aufgabe gefunden hat, sich bei der endgültigcn Ent-
scheidung von seinem künstlerischen Empfinden leiten
laffen und dänn die ,ffchönere" Sache ausführen wixd.

den g^bundenen deutschcn Seele, sie kann in
ihrer Art so wie bei uns auch überall in Amerika und
Asien entstanden sein und äuch jederzeit noch entstehen,
: falls die wirtschaftlichen Bedürfniffe dort die gleichen
sind. Es war ja-sogar bezeichnend für die Begriffs-
verwirrung vieler hcutc zumeist abgedankter Zeitgenoffen,
daß sie mit geschraubter Dialektik die im Grunde uralte,
nur neu aufpoiierte Zweckform zur Runstform der Inter-
nationale zu stempeln und damit die elementarsten Dingc
und wertmaßstäbe auf drn Ropf zu stellen versuchten.
Man dettke nur an gewiffe „moderne ' Stadtbilder von
Berlin, Tokio und Moskau. Sie mögcn vielleicht als
reine Zwecksormen in wirtschaftlicher Hinsicht gelungen
sein. Aber was haben sie mit den deutschen Domen, den
russisch-byzantinischeü Rirchen und den japanischen Lem-
peln zu tun, die als Zweckbauten auch ihre Djenste gelei-
stet haben, in denen aber darüber hinaus noch ein jeweils

Aber diese Beträchtungsweise trifft nicht das wesentlicht Einmaliges, nämlich Dölkisch-Bestimmtes, steckt: Die

des betreffenden Gcgenstandes: sie ist nicht sachlich, son- Ausstellung, in der wir uns befinden, wsllteja

. dern persönlich, insofern nls sie von dem vrrschieden- gerade di« Bindung des Handwrrks an Blut

artigen Empfindungs- «üd Vorstellungsleben des MenscheN und Boden, ihren in der R unst gesünde-

abyängt. An unserem Kalle. die meisteu von uns mögen nen Ausdru ck und das Bauerntum, dem wir

zwar die derbett Formen nichr, abcr es gibt auch einige ja alle cntstammen, aIs den Urquell allett künst-

unter uns, die gerade an dem Derhen, wuchtigcn, Hand- l e r i s ch cu Hchaffens nachweisea. Die Fraffe lautet

. festen ein Gefallen f.ndMzHeede würdett jedochDr»». Ms- worin Lesteht ttutt da- Völkisch-EwNwlAe
)rem diesbezüglr

WS! M-rin Lestcht Mtt datz MMsch.MchMM
-- «ns herum aufgebauten Gebrauchsgcgenstände- der
 
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