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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 15.1935

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Heft 9 (September 1935)
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Frantzen, Wilhelm: Volkskunst und Jugend
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https://doi.org/10.11588/diglit.28171#0212

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jcwcils übcr dic Zwcckform ausbrcitct und fcrncr in dcn
Motivcn, die dcr ^andwerkcr fiir ihrc Gcstaltunc, vcr<
wcndet hat. Und solchc xccschmückten Gcbrauchsciccicnstandc
fanden wir dcnn auch in weitaus übcrwiecicndcr Zal)I.

Abcr auch hicr war zunachst wiedcr dic Fragc, ob nichr
auch allgemeinc Bcziehuncicn, zunächst ohnc Rückstcht auf
das Völkischc zwischcn dcr dcm Gcbrauchsgecicnftandc
eigcncn Zwcckform und dcr darubcr gclccitcn Schmuckform
bestehcn. wir mußtcn stc bejahcn. Dcnn an zahlrcichen
zufälliei hcrausxscciriffcncn 2>cispiclen — unscr Mclk>
schemel kam als rcinc Zwcckform diesmal nicht mchr in
Betracht — crkannten wir, daß stch dic Schmuckform aus
dcn funktioncllen Gcgebcnhcitcn dcr stcts zugrundc lic>
gcnden Zwcckform ergibt. Es war köstlich ;u sehcn, wic
bcispielsweife bci den Rrügen immer wiedcr dic dcr bcfsc-
ren Greifbarkcit wegcn gcschaffcnc Einschnürung dcs
«Kalscs, fowie dcr oberc und dcr untcrc Rreis durch glcich-
laufendc Strcifen betont und dann weitcrc Eigcntümlich-
keitcn dcr Zwcckform, dic Düllc, dcr ^cnkcl und dic dickstc
Stcllc dcs Rumpfcs, ausgeschmückt wurden. Zwar warcn
die meistcn Gcgenstände nur mit wenigen mcist einfarbigcn
Strichen versehen; aber diese saßen dann auch auf dcm
rechtcn Fleck. Und ihrc Bcdeutung? Sic gabcn dem
Gcgcnstand, dcr fonst „kahl und nüchtcrn"
ausgcschcn hätte, cin freundliches, cin
gewollt schönes Gesicht. wir beobachteten wci-
tcrhin, wie stch diese Schmuckform wiedcrum in sich selbst
bcrcichertc und vcrfcinertc, ohnc dcn großcn Zusammcn-
hang mit der leytlich zugrundc liegenden Zwecksorm ;u
verlieren. Geschah dics aber doch cinmal — und bci
manchen werkstattcrzeugnifsen war das leider der Fall!

— so empfindcn wir das sofort als häßlich und als eine
Annäherung an den Ritsch. In diesem Zusammenhang
dachtcn wir an dic getarnten wagen und Geschütze der
Reichswehr, bei dcnen es — diesmal allcrdings aus be»
sondcrcn Gründcn! — tatsächlich darauf ankommt, jhre
Zwcckform durch cinc darüber gelegte formwidersprechende
Bcmalung optisch zu zerstören. In bezüg auf die zuneh.
mcndc Verfeinerung der Schmuckform äber fielen «ns d'ie
hochentwickelten kunsthandwerklichen Erzeugnifse der Gotik
und dev Rokoko ein. -

wir erkannten also, daß bei der Le- -trachten vielmehr
urteilung eines Gebrauchsgegenftandcs ziehung»' und
neben dem w i rt s ch aft l ichen auch noch ein
befondercr künstlerischer Beu rteilungs.

Maßstab notwendig ist. Dieser wcrtet zunächst die
Einheit der Schmuckform in stch und dann den Grad
ihrer feweiligen Verfeinerung. Danach laffen stch also gute
und schlrchte, sowie niedrig und hochentwickelte Leistungen
gan; allgemein unterscheidcn. Durch Stichproben stellten
wtr fest, daß unsere Urteile stch fast immrr deckten, so
daß wir also auch hier cin in hohcm Maße objektiv ent-
wickeltes Empfindungsvermögcn in uns voraussetzen
dürfen.

So kamen wir denn allmählich zum Rcrn der Sache.
wir beobachteten beispielsweise, daß die niedersächstsche
und hessische Reramik beide in sich einheitlich gestaktet
und in bezug auf die Verfeinerung ihrer Form hoch ent-
wickelt stnd)-daß sie sich üntereinander aber dennoch unter-
scheiden. DieMedersächsischen Töpfer ziehen u. a. hclle
und kalte, mchr grau-blau-grünliche Farben vor, während
dir hessischrft Uppfer duükle und warme, mehr rote und
btaune Farben verwenden. Ähnliche Unterfchiede laffen
skch vielfach feststrllen. Hier muß also eine besöndere ge-
yeimnisvölle Vörliebc der Menschcn vorliegen, die wir
üns nicht aüder» äls duIch hic Einflüffe von „Blut und
Boden" erkkären könneff. Und was für Stammesgrenzen
Lnnerhalb Deütschlands gilt, das wird auch wohl für ganze
Völkck M RWen GÄtigkeit besitzen. Einr kurze Er-
: Lun^ tn ihrer GrsaMtheit und

tzten »nll entscheldrndrn wertung

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Einbcitlichkcit und Entwicklungshökc, abcr die gleich ein-
hcitlichcn und glcich kochcntwickcltcn wcrkc Griincwalds
ii,id dcs früliercn Dürcr licgrn uns nähcr und sagen uns
mchr. Sic sind cbcn Dlnt von unscrcm Blut und von
dcm glcichcn Lcbcnsrhythmus durchpulst. Undwasfürdic
hohc Runst gilt, das gilt auch für das Runsthandwcrk und
auch für das wcsentlich schlichtcrc, bäuerliche Schaffen
als Ausgangsstufc unscrcr gcsamtcn völkischcn Rultur.

Auch das Studium dcr Motivc, die der Handwerker
bci dcr Ausschmückung dcr Gcgcnständc bcnutzt hat, ver-
mittcltc uns wcrtvollc Aufschlüffc. Auch hicr ein zwar
landschaftlich bcdingtes Vielcrlci, abcr ein völkisch den-
noch übergcordnctcs Ganzcs! Es spricht für die Tiefe sei-
ncs Lebcnsgefühls und seiner weltanschauung, wenn dcr
bäuerlichc ^andwcrkcr auch hcute noch mehr als die
mcistcn städtischcn Runstgcwerbler auf uralte kultischc
Symbolc zurückgrcift und die Gcstirnc, Lcbcnsbäumc,
Früchtc, pflanzcn und Tierc in stcts wechselnden, im Grundc
abcr doch gleichbleibendcn Formen gestaltet. Ein gan;
neucr Ausblick öffnete stch damit für unseren Runstunter-
richt, nämlich das bewußte Studium dieser kultischcn
Srmbolik. Es ist zweifelhaft, ob unscre städtischen ^and-
werkcr hcute noch die ursprüngliche Bedeutung der von
ihncn bcnutzten „Grnamcnte" kennen. Aber daß sie sie doch
noch im wcscntlichen vcrwenden, und daß auch wir uns
noch in sic hincinzudenken vcrmögen, spricht für den
tiefcn Zaubcr, dcr in diescn Dingcn und letztlich in unse-
rem eigcnen wesen steckt, und der heutr in dem Haken.-
kreu; seine höchstc und sinnvolle wiederauferstrhung fi«.
det. Daß auch hier dic Völker und Raffen sich fcheide«
und in ihrem künstlerischen Gchaffen zu jkweil» «inmüligen
Srmbolen gelangen, ist gewiß.

Und nun ;u uns selbst und unserer Gchularbeitl
Inhalt der Ausstrllung bot den Schülrrn viete Ver.
gleichsmöglichkeiten mit d«n etgrnen Arbeiten- Luch sie
versuchen, ihren natürlichen Gcstaltungstrieb, der bei pech« '
1er pflege bis zur prima hinauf kräftig *nt»Är und an-
steigende Leistungen erzielt,^urch "
dellieren, freie» und angrwandt«« Schafft, M
Sie btlden dabei wrder etwas mechSWjsch <ch. n
sieren sie blind und disztpitnlo» ft»

Hungsidee.dre

keit d» vrganischen>lvach«tum» merftW/DEM» W-MZ
reichen, was ihre natürlichr Lrast Miäßt, dt« «b« i«
disziplinirrtrr wetse zu pflegen, zu siärkrn «nd A e»W
wickeln. Ls ist die Regel, d^ dabei «epgebnjsse
kommen, die denen der AussteLung tm Sttl durcheveg
gleichen- wenn sich auch erwachsene ivauern und j
liche Städter in vielem, namenttich in jhrer k '
Lebensverwurzelung, unterscheidrn, so muß ^
irgendwir ein Gemeinsamr» vorhandrn seitk
Beweis sür diese Behauptung anzutreten »ird bte Avs-
gabc einer in abschbarer Zeit stattfindenden Ausstellung^
scin. Gelingt diefer Beweis, dann haben wir aber «uchZ
die herrliche Gewißheit, daß der lebrndigr StroM rchtür
völkischer Gestaltungskraft immer noch rauscht Mid »«»
seiner dunklen Diefc tatsächlich üu». Licht- WkObL

sreit wcrden kann. Und wenn auch die Freude ^lwieud
am eigcnen Bildncrn durch die später aus' '
russintereffen und sonstigen Aeigungen des
gcschwächt wird, dann bleibt uns immer noch d.^
rrfreuliche Genuytuung, daß die sungen Mensche« vo«
ihren eigenen übungen her doch wenigstens ein sachliche»
Verftänbnis für das wesen der bildendcn Runst mit in»
Leben nehmen und alles Minderwertige metden. Damit
würde dann auch der Ritsch von unten her erledigt, elnc
natürliche Auslese der schaffenden Rräfte vorgenommcn






Entnömmen aus ber Gauzeitfchrift Süd.
hannoverEraunschweig: „Niedersächsischcr

- Lrzicher", Hest 7,
 
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