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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 15.1935

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Heft 2 (Februar 1935)
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Kornmann, Egon: Vom Wesen der Volkskunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.28171#0042

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dr. Egon Kornmann

Aom ZVesen öer Äolkskunst

^ M m einc Destimmuiicl des Bcc;riffcs Volkskunst
haben stch schon viclc Forschcr bcmUht. Es zcigt
> stch dabci, wic schwicrig dcr Begriff cindcuticl
festzulcgcn ist. wir dcnkcn hcutc bci dicscm °Mort
vorwiegend an das alte bäucrliche Schaffcn, wic cs — mcist
aus dcm 15. und bccsinncndcn is. Iahrhundcrt erhaltcn —
jn unscrcn Heimatmusccn uns cntccecscntritt. was dicscr
Volkskunst ihren bcsondcrcn Lharaktcr c,ibt, ist dcr Um-
stand, daß wir ste;u csroßcn Tcilcn als cin L a i c n s ch a f-
fcn betrachtcn. Dcr Bcgrifs „Laic" (von Isos — Volk)
bcdcutct aber dabci nicht Unvermögcn, Dilcttantismus,
sondcrn er bcdcutct, daß diescs Schafscn nicht als Spczia-
listentum isolicrt, sondcrn daß es das bildncrischc Vcr-
mögcn und damit dcn Rulturbcsitz cincs ganzcn Lcbcns-
kreises darstcllt.

was wciter dcm Bcgrifs Dolkskunst heutc scinen bc-
sondercn Rlang gibt, das ist, daß er uns einc Schnsucht
vcrkörpert. Dic Schnsucht, aus der Lebcnsentfrcmdung und
Isolierung dcr Runst;u cinem volksvcrbundencn Ausdruck
dcr Form ;u kommen. Solchc Volks- und Lcbcnsvcrbun-
dcnheit hattc die altc Volkskunst, darum ist dcr Bcgriss
hcute wic ;u cincni programm der Erncuerung geworden.
In dem wort stnd ;wei Dcile cnthalten, die erst ; usam -
m c n seinen Sinn crfUllcn: Volk und Runst. Den lTlamen
Volks-Runst verdient nur ein Schasfen, das wirklich volks-
vcrbundcn ist, — aber auch nur ein Schafsen, das wirklich
;u Runst gediehen ist. Unter dicsen beidcn Gestchtspunk-
ten sci hier der Begriff erörtert. '

Bctrachten wir gleich einige Deispiele, bei denen der
Sinn des crsten Deilcs deutlich werdcn kann. wenn in
sruhcrcn Zeitcn ein Dauernknecht im wintcr stch ein
Dchsenjoch, eincn wetzsteinkumps oder einen Garbenbin-
der schnitztc, dann begnügte er sich nicht damit, solchein
Gcrät nur dic reine Zwecksorm ;u gcben, sondern brim
Lildcn dcr Nutzform regtc stch dic formende phan.
tasic. Und in der Schwingung, die er dcm Gchsenjoch
gab, wic in dem gckerbten Rand, mit dem er ste begleitend
hcrvorhsb, in dem eingeschnittenen Hcrz, dcr Blume, dem
Rreu;, in diescr gcstaltenden Durchbildung der Form
crschuf sich die bildnecische phantasie ihren Ausdruck. Da-
mit erhob sich dieses bäuerliche Gerät in den Bereich der
Runst; es ivurde, übcr den Nutzwert hinaus, ein Denkmal
der geistigen Rultur scincs Erzeugers. Und als solches
künstlerisches Denkmal ist es uns heute ein lebendiger Rul-
turbesttz, mag seine vluybarkeit für unsere heutige Art der
Feldarbeit auch längst nicht mehr in Betracht kommen.

wie der Baucr sein Gerät bildcte, ohne dieses Hand-
wcrk zum Spezialistentum ausgebildct ;u haben, so ver-
stand es Vie Bauerntochter, ihrcr Dracht die feftliche Er-
höhung ;u geben, indcni sic Haube und Schürzc, Brustlatz
und Handschuhe mit feincr v^adelarbeit durchbildcte. wohl
erfand str Meist nicht selbst das Muster, sondern ste uber-
nahm diese Formideen aus der Überlieferung. Aber diese
Überlicferung war lebcndig. Und so wurde ihre Arbeit
keine tote Ropie, sondern jeder Stich ;eugte vom cigenen
Empfinden für das, was gearbeitct und manchmal auch
weitergebildet würdc. was so im bäuerlichcn Lcbenskreis
entstand, war dadprch gekennzeichnet, daß es Hausfleiß
war, echtes Laienkiinstlertum, an drm jeder nach dem Maß
seiner Rrästc ^tcilhabeü konnte. Ein Deil.dieses Schaffcns
ist dadurch gekennzeichnet, daß es nicht Rückbildung städti-
scher Runst war — nicht sogenanntes „gesunkenes Rultur-
gut" — sondern origin abe F r ü h k un st, die selbstän-
dig aus bäuerlichem Boden crwachsen war, vor allem in
Gegenden, dir stsitzth'cher Rültür fernlagen, wie etwa in den
itordlschen -Gebirgslsndern. Dieser „originale" Hausfkeiß
ist gewiffermaßen der innerste Rcrn der eigentlichen
VölkskMst, rn BLrdHMKMegriff stch am reinsten erfüllt.

^WWchließt stch das handwerklich spezialisierte bäueAiche
Schafscn dcr Zimmcrlciitc. Stcllmawcr. ^ümicdc usw. an,

von dcm auch cin Tcil jcnc originalcn Frühsormcn wcitcr-
führt, cin andcrer sich mehr an dic Stilformcn der Zeit
anschlicsst, sic ins primitivc zurückbildcnd. Immcr aber
stand auch das ziinftigc bäucrlichc Handwcrk in sciner
Formprägung dcm Laicnwcrk so nahc, daß scinc Form-
wcrtc dcncn, dic damit umgingen, vcrständlich blicbcn.
Sprachcn stc doch kcine wcscntlich höhcrc Sprachc, als dic
stc sclbst bcherrschtcn. So blicbcn auch die künstlerischen
Formcn dcs bäucrlichcn Handwcrkcs in vollcm Sinne
volksvcrbundcn.

wir können dicsc Tatsachc dcr Volksvcrbundcnheit dcs
Formschafscns noch über dcn bäuerlichcn Lebcnskreis aus-
dchncn weit in dcn Dcreich des bürgcrlichen Lebens hinein
— und damit dcn Bcgriff dcr Volkskunst erweitern zum '
Bcgriff dcr Hcimatkunst.

Das einsachc WÄinhaus dcr Landstadt. im 18. Iahrhun-
dcrt wic das Gcrät, das scine Bcwohner benutzten, war
zwar kcin Laienschaffen mehr, sondcrn zünftigc „Stil".
Runst. Abcr allc dicse Formen, vom Haus angefangen
(das nicht dcr akademischc Architckt von der hohen Schule
in paris, sondcrn ein Bauhandwerkcr baute) über bie
Döpserei, den hölzcrnen und metallencn Hausrat bis zum
Beschlag der Haustür, alle diese Formbildungen waren
Erzeugniffe eines bodenständigen Handwerkes, das dem
bürgerlichen Leben so eng verflochten war, daß seinc Fsr« (
mensprache noch weitgehenden widerhall in den Seelen
seiner Verbraucher finden konnte. Der Schrank »der das

Rupfcrschaff, das zur Hochzcit beim Gevattrr ' .^

bestellt und deffen beziehungsrricher Schmuck m»d
schriftung eingehend crörtcrt wurdr, sie trugen »dne ^
fel feinem Brsiyer ctwas von dem Srleben ins
der Mristrr beim Bilden drr Form felbst empfti
So schufen auch die Handiverksmeistrr, v»r
Rleinstadt, aus drm Volk und für da» Volk^h
lichen Lrbrnskrrises; fo war «uch diese»
volksverdundene Hcimatkunst. Und rvenn «in
Vladel stch rinmal »n das Gebiet sigürlicher
wagte, so konnte «in fo köstliches Stück rntstehenF
Görlitzer Teppich, der seine prrdigt gan; i« dee
sprache des Volkes gab.

Zum wescn der Volkskunst gehört aber auch dit S
lung des zweiten Wort-Teiles: daß jenes wirklich '
verbundenc Lormschaffcn auch wirklich Runs t
ist. Daß die Formkräfte der bildnerischen phantckß
Volkcs sich wahr crfüllen konnten, daß sie nicht in db
gegangen stnd. Vlichts kann diesen Unterschied
wahrheit und Irregang deutlicher machen, als wena
uns vergegcnwärtigen, was aus der Heimatkunst de» s
und beginnenden 19. Iahrhunderts, in der zwciteist
des io. Iahrhundert gewocden ist- ? ! /

Nehmen wir als Beispicl wiedcr einen Handwerker,
etwa einen Schmied der achtziger Iahre, dcr mit ehrlicher
Begcistcrung auf der Gewerbeschule „der Vätcr Hausrat"
studierte, der technisch so gedicgen zu arbeiten verstand,
daß cr aus dcr Gcwerbeausstellung die stlberne Mrdaille
crhiclt. warum stnd scinc Gittcr und srine Beschläge uns
nicht Hcimatkunst geworden wic dic Arbeitrn vo«
loo, ja noch von 50 Iahren vorherr

Und was ist aus dem Hausfleiß gewordenr Bildnerische
Rräfte waren auch dann noch am werk, wcnn ein Dauern-
knecht in seinen Feierstunden eine Flasche Mit Siegellack
bestrich und Spiegelstückchen hineindrückte, um eine „VafeK"
als Geschenk zu machen; oder wenn er init großer Hin-
gebung um ein Bild aus der Soldatenzeit einen Rahmen
aus Tannenzapfenschuppen klebte, wenn er den Garten mit
häßlichen Einfqffungen „schün machen" wollte usw. Und
wje hat jn bürigerlichen Rreisen der bildnerische Trieb sich
tzcradezu ausgetobt in den sögenannten „Liebhaberkünsten",
der Brandinalerei, der Vladelarbeit usw. Dieses Arbeiten
der ländlichen wie, der dUrgerlichen Rreife war wohl wirk-
 
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