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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 15.1935

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Heft 6 (Juni 1935)
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Veith, Ella: Unsere Heimatstadt
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Pluquet, H.: Wir bauen ein Marionettentheater
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https://doi.org/10.11588/diglit.28171#0142

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Da bis ;ur nächsten Zeichenstunde wohl manches in Ver»
yeffcnheit geraten wäre, gab ich als Hausaufgabc: „Er-
innerungen an unsercn Gang durch die Altstadt". Bei dcr
Einlieferung der Arbciten zeigte es sich, daß Stadtmaucr
und Turm am häufigstcn gcwählt worden waren; Gaffcn
und Gicbelhäuser warcn auch des öfteren vorhanden, da-
gcgcn hatte das Schloß keinc Gegenlicbe gefunden.

An der darauffolgendcn woche benutzte ich die beiden
Zeichcnstunden wiederum ;u einem Gang in dic Altstadt,
und ;war mußten uns ;wei Schülerinncn an das obcrc
Tor, „Arheiliger Tor" genannt, führen. Hier er;ählte ich
den Rindcrn von Landgraf Gcorg I. und seinm Bcstrc.
ben, die Stadt ;u verschönern und auszubaucn. Da die
wohnungcn in der Stadt nicht mehr ausreichten, wurdc
vor dem Dore mit dcm Lau einer Vorstadt, der sog. „alten
Vorstadt", begonnciu 2m Gegcnsatz ;u dcn engcn winke-
ligen Gaffen wurden hier ;wci breite gerade Straßen
angelegt, behagliche wohnhäuser, alle nach einem einheit-
lichcn Grundriß ausgeführt, ;u beiden Seitcn in gleichen
Abständen nebcneinander errichtet. Die schön gcschwunge-
nen Giebel waren dcr Straße zugekchrt und die Häuser
jeweils durch Torbogcn, die die Einfuhr landwirtschaft-
licher Ladungcn m dic Höfe erlaubten, gctrcnnt. Auch
ein frcier Platz, Ballonplatz genannt, auf dem das ;ur da-
maligen Zeit sehr bcliebte Ballspicl ausgcübt wcrden
konnte, war nicht vergeffen. 2n dicse altc Vorstadt, dic
fast unvcrändert crhalten ist, führte ich jetzt die Rlaffc,
und eine eifrigc Besichtigung der einzclnen iKäuser setztc

ein. Bcsonders die charaktcristischen Formen der Giebel
und Torbogen wurdcn gründlichst beobachtct, hatte ich doch
dic Schülerinncn darauf aufmcrksam gemacht, daß dieses-
mal einc Zeichnung dicscr Vorstadtstraßc» angefertigt wer-
den solltc.

Nach der Besichtigung dicscr Ende dcs )d. 2ahrhunderts
entstandencn Gtraßcn führtc uns der Rückwcg durch die
jctzige Alepandcrstraße, welchc nach Beendigung des zojäh-
rigcn 'Lriegs angclcgt wordcn ist, um dic Vcrbindung
zwischen Schloß und alter Vorstadt herzustcllen. Sie führtc
hintcr dcr Stadtmaucr durch Dbstgärten und wurdc des-
halb „Birngartcn" gcnannt. Auch hicr wurden die Häu-
ser nach cincm vorgeschriebcncn Muster gebaut, und den
Erbaucrn wurden vielcrlci Erleichtcrungcn zutcil: billiges
Baumaterial, Lefrciung von Stcucrn und Abgaben für
cinige 2ahre, von Einquartierung und wachtstehen. Un-
willkürlich zogcn wir eincn Verglcich mit den Verhält-
niffen dcr 2etzt;cit.

2n den Zcichenstunden dcr folgcnden wochen wurden
die gchabtcn Eindrückc zeichncrisch fcstgelegt. Als Ab-
schluß und ;ur Vcrtiefung des bci diesen Führungen Ge«
schauten und Gchörtcn zcigtc ich im Lichtbild eine Stadt-
ansicht von Mcrian, alte Zeichnungen vom Schloß, Ballon-
platz und dcn Vorstadthäuscrn. Dabci fiel mir auf, wie
rasch die Mädchen sich in den Zcichnungen zurechtfanden und
wie gcnau sic den Standpunkt dcs bctreffenden Zeichners
angebcn konntcn.


Pluquet-^endsburg

Wlr baum eln Wrionettentheater

er Bau von Marionetten im Zeichen- und Runst-
unterricht ist von jehcr ein beliebtes Arbeits-
gebiet gewesen. Die Gründe werdc ich weiter
unten angeben. Das erste Marionettentheater
sah ich vor vielen 2ahren in der Berliner Runstschule.
wir steckten damals in Examensnöten und hatten wenig
Sinn für das, was abseits vom wege lag. So kam es, daß
die schönen Marionetten mich damals nicht so sehr inter-
essierten. 2n späterer Zeit sah ich um so häufiger Faden-
und Handpuppen, von Schülern und Schülerinnen herge-
stellt. So reifte allmählich der Entschluß, im eigenen
Unterricht ein „großes" Marionettentheater ;u bauen.

2ch war mic von vornherein darüber klar, daß die Ar-
beit sehr groß und auch nicht leicht sein würde, denn es
sollte eine wirklich eindrucksvolle Sache werden. Die Vor-
bedingungen, untcr denen dic Arbeit vor sich gehen sollte,
mußten geprüft werden.

Dic Rlaffe, eine Untcrprima, künstlerisch wcnig vsrbe-
lastet, sctzte sich ;usammen aus 7 Mädeln und 3 2ungen.
Man hatte ;war bisher im Zeichenunterricht mitgemacht,
aber das Ergebms befriedigte nicht sehr. llbrigens war
die Rlaffe in der Arbeit zuverlässig und ;äh. Sie war eine
Gemeinschaft. 2n längerer Vorbesprechung wurde nun der
Arbeitsplan entwickelt und das programm festgelegt.

Das Theaterspielen an der Schule ist Tradition. Zu Mor-
genfeiern und FesteN gibt es kleine und großc Spiele, gibt
es wiedergaben von klrinen Szrnen ohne Rostüme und
Schauspiele in größerem Rahmen mit Bühne, Rulissen,
Rostümen usw. So war es nicht schwer, dic Schulleitung
für diese neue und noch unxrprobte Art eines Theater-
stückes ;u gewinnen. Unser Plan mußte ja auch finanziert
werden.

Bevor mit der Arbeit begonnen wird, muß ein Stück
vorliege». Es war bald gcfunden, h. h. nicht in fertigem
Zustand. 2m Deutschuntereicht dramatisierte die U 1 das
berstymte MLrchen van Hauff „Das kalte Herz". 2eder
bearbeitet mchrrre Hzench als Hausaufsatz. Dir zusam-
s- ----- >

menfaffende und abschlteßende
einrm Schüler gemacht, wir
des Stückes nicht getäuscht. I
Gcister erscheinen. Lustige, «
liche Begebenheiten saffen grra
Marionettenbühne besonders

werkräume mtt den für Hol:
gen, Nähmaschinen usw. sind i»

Ohne diese Linrichtungen wäre
einwandfreie Ausführung der s
wcsen.

Der eigentlichen praktischen Arbeit gingen

würfe für Röpfe, Rostüme, Bühnenbilder «n . ,

sür den inneren Bau der Marionette selbst. Darüber
herrschtc eine etwas unklare Vorstellung. wir hatten e»
aber bald heraus, wie man aus Holzstäben tin Gerüst
bauen konntc, dcffen Bewcglichkeit ungefähr der des mensch-
lichen Rörpers und scincr Gliedmaßen entsprach. Die
praxis zeigte, daß wir richtig gebaut hatten. Diese Ar-
bciten iibernahmen, da es sich vorwiegend um Hol^rbei-
tcn handelte, die 2ungen. Die Mädel schneiderten nach
vorher aufgczeichneten Schnittmustern die Röstüme. Vor-
hcr hatte jeder einen Ropf, b;w. mehrere Röpfe model-
licrt. 2ch glaube, daß das hier angewandte Verfahren
wenigstens in Fachkreiscn allgemein bekannt ist. Dte Her-
stcllung eincs massiven Ropfes ist m. E. leichter und
besser, als wenn Papier über die Tonform geklebt wird.
Mecbanisch zerkleinertes Zeitungspapier, Sägemehl und
Roggenmehl, in richtigen Mengen gemischt, ergeben eine
gutc, nicht all;u schwere Modelliermaffe. Viele technifche
Verbefferungen sind im Läufe der Arbeitszeit erkannt und
angewandt worden. Arme und Deine der Figur wurden
nicht mehr aus Holzstäben gefertigt, sondern au» Stoff
genäht und mit Holzwolle gefüttert. Die anfangs etwas
steifen Figuren wurden durch richtige Gewichtsverteilung
und durch Einfügung von mehr Gelenken (z. B. Hüftge-
lenk) bcweglicher und lebendiger. Besondere prrücken
wurden gefertigt. Die Bearbeitung der Hände und Füße'


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