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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 7.1872

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Nekrologe: Mctor Müller,

182

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dem Fenster gegenüber, wo das Mondschembild zu aitein
Ueberflusse von der Mittagssonne beschienen ward, wäh-
rend verschiedene Fabrikarbeiten im Portrailfache die
schönsten Plätze in den besten Sälen einnahmen, Dafür
aber erkannte manche gewichtige Stimme ohne Rückhalt an,
daß die „Walbnymphe", wenigstens was Malerei an-
iange, ein Meisterwerk ersten Ranges sei.

Victor Müller lebte bis ,;u seiner Uebersiedelung
nach München im Jahre 1864 iu Frankfurt in größter
Zurückgezogenheit. Aus jener Zeit stammt auch ein lerder
unvollendet gebliebenes großes Gemälde, das in malc-
nscher Hinsicht ganz außerordentliche Borzüge zeigt. Ter
Künstler nannte es dcn „bestraften Ehebruch . Der
Mann, nackt und mit der Todeswunde in der Brnst, halb
aus dem Bette auf den Boden geglitten, die Frau, eben-
salls nackt, sich in die Kisseu bergend. Es ist ein Bud
»icht bloß von großer malerischer, sondern auch von tief-
sittlicher Wirkuug. Außerdem entstanden in Frankfurt
noch ein großes Deckengemälde, „die Musen und Gra-
jien", „Hero nnd Leander", eine Anzahl von Bild-
nissen u. s. w.

Auch in München lebte der Künstler nur serner
Kunst und seinen Freunden, namentlich aber seit seiner
dor drei Jahren erfolgten Vermählung ganz feiner Fa-
niilie, welche sich bald um eiu Töchterchen vermehrte. Waren
seine cyklischen Gemälde aus dem Leben Hartmuth s von
Kronenberg für das Bibliothekzimmer des gleichnamigcn
Schlosies nur Wenigen zugänglich gewesen, so wurde
Victor Müller durch scinen „Hamlet auf dem Kirchhofe ,
ben er auf die große internationale Kunstausstellung in
München vom Jahre 1869 gegeben, in desto weiteren
Kreisen bekannt.

Victor Müller wurde von Vielen als ein halber
Franzose betrachtet, weil er in Paris die Augen offen
gehalten u»d Gutes vom Schlechten zu unterscheiden ge-
lernt hatte. Wer aber seinen Hamlet sah und ihn dann
noch einen Franzosen schilt, der hat keinen Begriff von
Müller's Künstlernatur. Man kann ohne Uebertreibung
sagen, daß keiner unsrer ersten Tragöden ^ Pn"^e"
innerstes Wesen richtiger erfaßt und sicherer gezeichnet hat
als Victor Müller. Der uns hier gegönute Raum gestattet
nicht, seine Auffassung bis in's Einzelne zu verfolgeii; es
niag deshalb die Andeutung genügen, daß Victor Mnller
in seinem Hamlet besonders den Priuzen betonte, den das
an seinem Vater verübte Berbrechen aus dem wohligeu
Behagen eines sorgenlosen Lebens emporriß, nm ihin,
dem Denker, den Rachestahl in die Hand zu drücken. Die
grvße blutige Aufgabe tritt überwältigend an den 3nng-
lmg heran, der sich dadurch auf das peinlichste berührt
fühlt und zu ihrer Lösung nur durch seines hingemor-
deten Vaters persönliches Eingreifen gelrieben wird. Vn
Wittenberg lebte es sich so lustig, und nun dieses entsetz-
liche Hereinragen der Geisterwelt in ein bisher so sonniges
Dasein! Müller wählte den Moment, in welchcm Hamlet
am Grabe Uorik's sitzend und dessen Schädel lässig m dcr
Hand haltend auf den herannahenden Leichenzug Ophelia s
aufmerksam wird und sich demselben unwillig zuwendet.
iKaht doch eine neue Qual! Nach des Dichters Worten
Zeigt des Prinzen Gestalt etwas Vornehmes und Behäbi-
ges zugleich, in Antlitz, Haltung und Kleidung. Iu der
Farbe ist, dem ideellen Stoffe entsprechend, etwas Geister-
haftes, Geheininißvolles, Grauenerweckendes. Dabei ist
die Landschaft mit ihrem fahlen Grau, welches kaum die

Grenze von Meer und Himmel unterscheiden läßt, zu
seinen handelnden Persouen (denn auch Horatio und der
Todtengräber fehlen nichl) in einer Weise in Beziehung
gesetzt, daß sie ihrerseits ebenso beim Ausdrucke des Ge-
dankens mitspricht. Nicht minder bedentend, ja viel-
leicht noch bedeutender ist die koloristische Wirkung der
„zwei Mohren", eines Bildes, oder richtiger gesagt, eiuer
Studie, deren hoher Werth namentlich auch darin liegt,
daß sie sich ganz unbefangen gibt. Etwas später als
der „Hamlet" entstand dessen Seitenstück „Ophelia am
Bache". Mau thut dem Künstler wohl nicht Unrecht,
wenn man diese Arbeit, welche in der Erscheinung der
Heldin nicht ohne einen Anflug von Geziertheit ist, um
ein namhaftes ticfer stellt als den „Hanilet". Müller
hatte seinen Shakspeare mit einer Ausdauer und mit
einem Fond von eigenem Geiste studirt, die beim Ge-
spräche über den unsterblichen Briten wahrhaft über-
raschten, aber eigentbümlicher Weise that er gerade bei
der Darstellung jenes Charakters, über den er so geist-
voll zu sprechen wußte, wenigstens nach meiner indivi-
duellen Meinung einen entschiedencn Fehlgriff.

Ein Manu, der mit solcher Gewissenhaftigkeit zu
Werke geht, wie B. Müller, muß unter allen Umständen
langsamer schaffen, als die Welt in seinem und ihrem
Znteresse wünscken mag. So kam es denn, daß die größe-
ren Arbciten Müller's nur in verhältnißmäßig größeren
Zwischeiiräumen auf einander folgten. Sein lctztes Bild :
„stiomeo und Julia", von dem erst kürzlich die Rede war,
ist ein in Bezug auf Farbe geradezu wunderbares Werk,
voll Adel des Gedankens, vollvon tiefer und doch milder
Farbenglut. Müller steckte sich das schwerste Ziel, wel-
ches ein Kunstwerk zu erstrebeu vermag, indem er durch
Zeichnung und Farbe gemcinsam und zugleich zu
charaktcrisiren versuchte, nicht in der Getrenntheit beider
Momente, so daß er etwa einer blos formellen Charakte-
risirung nur äußcrlich eine feine Tönung hinzufügte, oder
umgekehrt, wie z. B. Hans Makart, ciner feinen Ton-
stinimung im Allgemeinen einige mehr oder minder ver-
stäudliche Gestalten unterlegte, sondern in der Weise, daß
sich der ideelle Gedanke in beiden Momente» der Dar-
stellung, d. h. in Zeichnung und Farbe, verständlich aus-
spricht, so daß diese sich völlig in Harmonie zu einander
befinden. Daß Müller dieses Ziel niit vollem Bewußt-
sein anstrebte, das zeigen alle seine Arbeiten, wenn es
auch selbstvcrständlich ist, daß er demselben nicht in
jeder derselben gleich nahe kani. Obwohl ein grund-
sätzlicher und, mau darf wohl hinzufügen, cin geistreicher
Gegner der alten Weise, schätzte V. Müller den Gedanken
viel zu hoch, um ihm nicht trotzdem den Ehrenplatz ein-
zuräumen, und das mit Recht, denn ohne ihn kann es
kein wahres Kunstwerk geben. Aber sobald es dann galt,
diesem Gedanken sichtbaren Ausdruck zu geben, da be-
mühte er sich vor Allem, die Außenwelt nicht durch die
Brille akademischer Konvenieuz, nicht mit dem durch vor-
gefaßte Meinungen verbildeten Auge zu sehen, sondern
mit jener natürlichcn Unbefangenheit, welche von Hand.
werksregeln nichts weiß. Es war sein Streben den
ganz individuellcn Charakter der Natur ebenso unn'iittel-
bar wiederzugebcn. Darum vermied er bei aller Ge-
dankenfülle das Gesuchte und sehte seine Handlung mit
der größten Einfachheit in Scene, hütete sich aber dabei
vor dem Anscheine, als sei seine Auordnung eine bloß
zufällige und ganz kunstlose. Uebrigens enthielt sich
 
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