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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 7.1872

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199 Korrespondenzen. 200

und mit eiuem kuustverstäudigeu Publikum, da kann mau
sich die Mühe ersparen und eiufach konstatiren, daß die
Bethätigung einer eigenartigen Begabung in ihnen ihrem
Werthe nach so absolut in gar keinem Verhältnisse zu der
mit ihrer Hülse verübten Versündigung am heiligen Geiste
der Kunst steht, daß sie nur in der Pathologie des mo-
dernen Empfindungslebens eiue Stelle zu beansprucheu
haben.

Zwischen Schwind und Makart traten zwei unserer
Berliner Koloristen in die Schranken. Karl Becker
stellte ein ziemlich großes Bild als „Bianca Capello und
Buonaventura" aus. Leider kann ich beim besten Willen
nicht sagen, daß ich dariu die interessanten und anziehen-
den Eigenschaften des Küustlers aufgefunden hätte. Die
schöne verführerische Giftmischerin ist ein psychologisches
Problem; und wenn auch Becker nie tief in die innersten
Falten der Seele eingedrungen ist, so hat er doch so
mannichfache treffende Typen geschaffen und so tüchtige
— namentlich weibliche — Kopfstudien verschiedenster
Art geliefert, daß er nicht an einem so simpeln „hübschcn
Gesicht" bei diesem Vorwurf hätte hängen zu bleiben
brauchen. Jhr Galan ist ein unbedeutender Fant.

Auch in einem andern für ihn wichtigen Punkte hat
sich Becker sehr verschlechtert oder — ich will sagen — in
diesem Bilde gehen lassen: in der Stoffbehandlung.
Seinen Falten nachzurechnen war immer unmöglich, aber
die Willkür war von eiuer sehr feinen Beobachtung des
Eindrucks und von dem Sinn für Wahrheit geleitet. Jn
diesem Bilde geht die Nonchalance zu weit. Man ver-
liert den Stoff aus den Augen, es bleiben nur die
Farbeuflecke. Freilich ist in der Behandlung der Farben
Manches überraschend kühn intendirt und trefflich geluu-
gen, wie beispielsweise die Zusammenstimmung der drei
grundverschiedenen Nuancen des Roth in der männ-
lichen Tracht.

Eine andere Nachlässigkeit, die mir bisher nvch nie
bei Becker aufgefallen ist, verunziert den Hintergrund
des Bildes. Von den beiden Hauptfiguren abgesehen ist
Alles nur ganz flüchtig behandelt. Die Undeutlichkeit der
llmrisse u. s. w. soll aber dabei für alles Uebrige ein-
treten. Die im Hintergrunde sichtbaren Mönche z. B.
rücken in einen Plan, dessen Entfernung aus den zusam-
mengerechneten Factoren ihrer Größe, ihrer Farben-
intensität und ihrer Unklarheit durchaus nicht bestimmt
werden kann. So kann ich nicht anders als gestehen,
daß ich mit einem Gefühl wachsender Nichtbefriedignng
von dem Bilde geschieden bin.

Die beiden ausgestellten Bilder Jul. Schrader's
dagegeu gewannen zusehends, je mehr man sie betrachtete.
Jch berichte zunächst von seinem lebensgroßen Kniestück
eines jungen Mädchens. Schrader ist in Bezug auf das
poetische Arrangement seiner Porträts, in Bezug auf die
Komposition derselben als Bilder vielleicht der be-

deutendste unserer Berliner Künstler. Er weiß seine
Figuren in eine Umgebung zu setzen, in der sie wie die
Perle im Golde hervorglänzen, gehoben — nie überstrahlt
oder bei Seite gedrückt — durch das Beiwerk, so reich
es auch sein mag. Jn dieser Beziehung war auch diese
seiue neueste Leistung wieder bewunderungswürdig: eine
duftige Blüthe im Moment ihrer schönsten Entfaltung-
Die Färbung hielt sich wieder in dem schon mehrfach in
jüngster Zeit von ihm beliebtem hellen Silbergrau, das
zwar eiu wenig kühl, aber sehr klangvoll und srisch ist.
Die Figur nun angehend, so schmeichelte sich —im besten
Wortverstande —, wie gesagt, das Bild immer mehr ein,
doch blieb ein gewisser Punkt bestehen, an dem das tief-
gehende Jnteresse eine Art von Hemmung fand: selbst
für ein so junges Mädchen, das halb und mehr als halb
noch Kind ist, erschien der Kopf zu geschlechtslos, und
auch die Hände hätten wohl dürfen schöner sein. Trotz-
dem war die Freude an dem malerischen Ganzen rein
und voll.

Nicht ganz so erfreulich wollte sich das Verhältniß
zu dem größeren Bilde Schrader's aus der von ihm
jetzt viel kultivirten Gattung des historischen Genre's ge-
stalten. Es stellt den neunzehnjährigen Shakespeare, wegen
Wildfrevels vor dem Friedensrichter Sir Thomas Lucy
of Charlecote in Stratford-on-Avon, vor.

Die zwar wohl nicht apokryphe, aber jedenfalls
etwas dunkle Geschichte von dem jugendlichen wildernden
Dichter will mir als Motiv nicht recht glücklich scheinen;
sie gehört gar zu sehr dem unfruchtbaren Gebiete der
Anekdotenmalerei an, welche letztere den doppelseitigen
Fehler hat, die harmlose Freude an der Darstelluug einer
bestimmten Situation, an dem malerischen und psycho-
logischen und sittenbildlichen Werthe eines Bildinhaltes
durch den pomphaften Anspruch einer ganz individuellen
Theilnahme an den geschichtlichen Persöulichkeiten— meist
doch von hoher Bedeutung — zu vereiteln, und die Per-
sonen wiederum gewöhnlich in einer Weise uns vor Augen
zu führen, die nichts weniger als geeignet ist, ihre glän-
zenden und hauptsächlichen Eigenschaften in's rechte Licht
zu setzen, d. h. also von ihnen ein angemessenes und wür-
diges Bild zu gewähren. Es müssen dabei zur Korrekmr
des Sichtbaren eine solche Masse von nicht bildmäßigen
und nicht bildmöglichen Momenten als durch das Wissen
des Beschauers hinzugebracht vorausgesetzt werden, daß
des nicht Gemalten beinahe mehr und Wichtigeres ist,
als des Gemalten, und der einfache Eindruck des Dar-
gestellten künstlich fast in sein Gegentheil umgewandelt
werden muß, um dem Gegenstande gerecht zu werden.

Wenn ich z. B. an Knaus' Tyroler Strolche vor
ihrem Seelsorger denke und mir vorstelle — was ja
leicht sein könnte—, daß durch einiges angemessenes Bei-
werk diese Uebelthäter speciell als Wilddiebe gekennzeich-
net wären, so ist unzweifelhaft ein solches Bild, selbst
 
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