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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 8.1873

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Guttenberg, G.: Der Salon von 1872, [6]
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267

Der Salon von 1872. VI.

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nackle Figur des jungen Helden ist prächtig modellirt und
zeigt Kraft der Glieder und jugendliche Weichheit der
Muskelu in glücklicher Vereinigung. Ein ernstes und ver-
ständiges Studium der Antike läßt sich in diesem Körper
nicht verkennen; die Stellung der Figur, die Komposition
ist nach allen Seiten harmonisch und könnte kaum günstiger
gedacht werden.

Um seiner Statue ein gediegeneres Aussehen zu geben,
hat Mercis sie mit einer dünnen gelbbräunlichen Sance
übergossen, wodurch sie den Timbre der alten im Lanfe der
Jahrhunderte an der Luft oder in der Erde vergilbten
Marmorstatuen erhielt. Derlei Mittelchen sind überhaupt
unter den französischen und italienischen Künstlern sehr
gebräuchlich, meiner Ansicht nach aber nicht nachahmens-
werth. Mercis hatte ferner eine ebenfalls gute Bronzebüste
„Delila" ausgestellt, welche bereits die grüne Patina eines
Iahrtausends au sich trägt.

Ernst Lonis Barrias debütirte mit einer Marmor-
gruppe: „Im ssrmsnt äs Lxnrtnsus". Die überlebens-
große Gruppe ist nur sn tnvs betrachtet von gutem Esfekt.
Ernste künstlerische Auffassung, gediegene Ausführung,
Sicherheit und Geschick in der Behandlung des Materiales
finden wkr in der Figur des sterbenden Vaters. Der Alte
ringt nicht mit dem Tode, er erwartet ihn, er gehört ihm
bereits an, es sind nur die letzten schwachen Lebensgeister,
welche ans dem brechenden Auge hervorleuchten; das
Antlitz ist nicht verzerrt, die Züge sind nur schlasf und
tragen die Spuren der Leiden, die der Körper erlitten,
lassen aber zugleich die Festigkeit erkennen, mit welcher die-
selben ertragen wurden. Aus dem Körper ist alle Kraft
gewichen, schlaff hängen die Arme herunter, das Hanpt
sinkt herab auf das Haupt des Sohnes, die Füße stützen
den schweren Leib nicht mehr, und widerstandslos würde
derselbe zusammenfallen, wären die Bande nicht, welche
ihn an den Baum fesseln; nur die eine Hand scheint noch
sähig, in einem letzten Krampfc die Hand des Sohnes,
die in derselben ruht, zu drücken. Der junge Spartacus
steht neben dem Sterbenden, hält in der Rechten einen
Dolch und blickt mit wild finsterer Miene, welche verkündet,
daß aller Schmerz sich in Racheschwüre verwandelt hat,
vor sich hin. Leider ist der Körper des Jungen zu schwäch-
lich und naturgetreu — das wahre Abbild eines im starken
Wachsen begrisfenen Bengels, bei welchem die Muskeln
nicht gleichen Schritt mit den Knochen halten können —
gerathen; wäre derselbe dem Körper des Alten in Bezug
auf Schönheitssinn ebenbürtig und damit zugleich ein
äußerst wirksamer Gegensatz zu diesem, so könnte man die
Gruppe ein vollendetes und treffliches Kunstwerk neunen.
Eine kleine Bronzegruppe „lm k?ortuns st l'I.mour" —
Fortuna rollt auf ihrer Kugel, Amor ist ihr nachgeflogen
und faßt sie beim Schopf — ist genrehaft, mit Humor
aufgefaßt und sauber ausgeführt.

Hippolyte Moulin, Schüler von Barye, hat eine

„Llors Vtetorin" sehr wirkungsvoll komponirt und in
Gyps ausgeführt. Ein Schleier verdeckt das Antlitz der
Victoria, eine vielfaltige Hülle gleitet vom Kopfe herab
über die ganze Gestalt, läßt jedoch in seinen Contouren
den Aufbau des Körpers verfolgen; die linke Hand der
Gestalt hält eine Sense, die rechte einen Todtenkopf, auf
welchem ein Siegesgenius thront. Jch hätte dieses Werk
unter die „Tendenz"-Gruppe einreihen sollen, aber die
reife künstlerische Anschauung, welche die Komposition be-
kundet, der gute Einfluß der Antike, welcher sich in der
Behandlung des Gewandes, in der Gliederung und dem
Aufbau der Gestalt erkennen ließ, veranlaßt mich demselben
seinen Platz hier einzuräumen.

Captier wählte sich die Feuerprobe des Mucius
Scaevola zum Vorwurfe. Er gab dem Römer eine robuste
markige Gestalt; überlebensgroß steht er da, den rechten
Fuß vorgespreizt, die rechte Hand mit einer halben Wen-
dung des Körpers nach links in die Flamme eines
Opferbeckens haltend. Die linke Hand krallt sich krampf-
haft in die Hüfte ein; der aufwärts gerichtete Blick
spricht mehr von verbissenem Grimme als von ver-
bissenem Schmerze. Den Beschauer läßt das steinerne
Feuer kalt, um so mehr als die Hand des Römers noch
keine Brandblasen trägt. Die Figur ist kraftvoll, aber
ihre Stellung, die Kompositionslinie, nicht ganz glücklich.

George Clsre, Schüler von Rude, fand sich mit
einer kleinen Marmorgruppe auf bronzenem Sockel
^ ein: „Hsrsuls stoulknnt Is lion äs Nsmss". Obwohl
der Künstler eine zweite Medaille erhielt, halte ich die
^ Komposition für verunglückt. Hercules und sein Löwe
bilden eine dicht zusammengewachsene, förmlich aufeinander
breitgedrückteMasse,aus welcher man umsomehrSchwierig-
keit hat, die Glieder des Thieres von denen des Menschen
auseinander zu finden, als der Künstler einen Marmor
von stumpfer, dunkelgrauer Farbe zu seiner Gruppe ge-
wählt hat; ist man mit einiger Geduld dahin gelangt,
den Hercules von der Bestie zu unterscheiden, so muß man
anerkennen, daß er kräftige Glieder, gut ausgebildete
Sehuen uud Muskeln hat; was den Löwen anbelangt, so
ist Lerselbe bereits breitgedrückt wie ein Frosch und streckt
alle Viere von sich. Das Bewundernswertheste ist jeden-
falls, das sich der Künstler selbst in seiner Gruppe zurecht-
gefunden hat, und dieß mag die Iury auch zu ihrer An-
erkennung bewogen haben.

Adolphe L. V. Geoffroy's (Schüler seines Baters)
Gypsgruppe: „I-s tnlliis st sou pstit", ein alter Faun,
der seinen Kleinen schaukelt und ihm eine Feige reicht,
erinnert durch treffliche, humorvolle Charakterisirung und
gute Komposition an die köstlichen Faungestalten, welche
uns von der griechischen Antike überliefert wurden. Der
Holländer Ferdinand Leenhoff fordert mit seinem
„6usrrisr :iu rspos" (Marmorstatue) zu einem Vergleiche
mit der Antike heraus, welche, wie sich denken läßt, für ihn
 
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