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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 8.1873

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Guttenberg, G.: Der Salon von 1872, [6]
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269

Der Salon von 1872. VI.

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durchaus nichtgünstig ausfällt, wenn er auch das „Ruhen"
seines Kriegcrs in Stelluug und Gemüthsausdruck sehr
treffend zur Darstellung gebracht hat; dieser Krieger kann
wirklich nichts Vernünftigeres thun als ruhen, denn
bei seinen schwachen Armen und Beinen würde er bald
zu Brei zermalmt sein, wenn es ihm einfiele, etwa mit
dem borghesischen Fechter oder einem der Athleten im
Louvre Händel anzufangen. Emile Höbert hat in seinem
„Oruols" ein sehr schön komponirtes Basrelief geliefert,
es stellt den Eingang in eine Art Gruft oder Höhle dar,
in welche ein Iüngling, sein Gesicht mit den Händen ver-
hüllend, eintritt; die Ausführung ist rein und sorgfältig.
Mit Charles Petre, welcher eiue der Antike abgelauschte
weibliche Statue aus Bronze: „Ibm souros" (der Stadt
Metz gehörig), ausgestellt, und mit Ludovic Durand,
welcher einen gut musculirten grinsenden „Histrio" in
dcn Salon geschickt hatte, kann ich den Uebergang zur
nächsten Gruppe bewerkstelligen.

Jn diese zweite Gruppe meiner Eintheilung zähle
ich eine Reihe von jungen Künstlern, denen ebenfalls die
Antike als Jdeal vorschwebt, welche dieselbe aber nur ver-
ständnißlos kopireu vder auch glauben, wenn sie ähnliche
Motive, womöglich ein Pendant zu einer antiken Figur
wählen, auf kürzestem Wege zum Ruhme eines Phidias
oder Praxiteles zu gelangen. Es genügt wohl, das Vor-
handensein dieser Sekte zu konstatiren und durch einige
Beispiele zu bekräftigen; Namen will ich für dießmal nicht
nennen. „Lutuut ü toutuiuk" nennt sich eine Gyps-
statue, bei welcher unverkennbar die „Knöchelspielerin"
zu Gevalter gestanden hat; das Kind spielt nur mit
einer Muschel anstatt mit den Knöcheln. Nicht viel weiter
hergeholt ist eine „ llsuns Ms", welche ebenfalls am Boden
kauert nnd eine Schuecke auf eincm Blatt kriecheu läßt.
Aus derAntike zusammengeklaubt, nur mit einem originalen
affektirten Kopfe versehen, ist ein knieender Junge, welcher
mit einem Frosche spielt, den er beim Hinterfuß zieht.
Eine interessante Figur ist jedoch ein neuer Sohn der
Niobe, wclcher im Salon aufgetaucht ist; da die verdrehte
Gestalt den Verdacht weit von sich weist, als sei in ihr eine
Nachbildung oder Ergänzung einer der Figuren des
Skopas beabsichtigt, so scheint es ein von letzterem ver-
gessener Sohn zu sein, der nun von dem französischen
Künstler nachgeholt wurde.

Jene Künstler, welche mit ihren Werken nicht nur
eine rein künstlerische Wirkung erzielen, sondern auch eine
Politische oder religiöse Jdee damit verbinden wollten, oder
welche eine nicht ganz naheliegende Allegorie zur Dar-
stellung brachten, habeichmirerlaubt, unterderBezeichnnng
Sentenz- und Tendenz-Künstler zusammenzufassen; eine
kurze allgemeine Charakterisirung wird auch hier eine
raschere Revue über die einzelnen Künstler ermöglichen.
Der Stil ist bei den Vertretern dieser Gruppe nicht von
so hervorragender Wichtigkeit; es handelt stch nicht um

: den Cultus der Form, sonderu um den Cultus der Idee;
deßhalb wird der Form mitunter sogar Gewalt angethan,
wenn die Jdee dadurch um so lebhafter zum Ausdrucke
gebracht werden kann. Talent und Genie sindet man
wohl bei manchen Bertretern dieser Gruppe, doch sind dieß
nicht die bezeichnenden und maßgebenden Eigenschaften;
letztere sind vielmehr Geistreichthnm und Gefühl — außer-
ordentliche schätzbare Eigenschaften für Künstler, aber nicht
die wichtigsten. Die Arbeiten sind meist, aber nicht immer,
mit Sorgfalt uud gewiffenhaftem Fleiße ausgeführt. Jch
nenne: Frädsric Auguste Bartholdi; dieser hat eine
Brouzegruppe auf verziertem Marmorsockel ausgeführt:
„Oa MÄlsäiotion äö I'I.l8aes". Ein sterbender nackter
Krieger liegt der Länge der Gruppe nach auf dem Boden,
richtet sich mit dem einen Arme empor und hält in der
anderen Hand ein zerbrochenes Schwert. Ein altes Weib
hinter ihm mit häßlichem Gesichte hält die Hand fluchend
ausgestreckt; ein Kind klammert sich an das Kleid dieses
Weibes. In den rothen Marmorsockel sind die Worte ein-
gegraben: „ip Oambstts, lss iplsaoien^ rsoollnaissunrs".
Es ist Leben und Bewegung in der Gruppe, dennoch wirkt
sie auf den Beschauer unangenehm durch harte Linien und
durch die widrigen Züge der Hauptsigur. Louis Max
Bourgeois: „li/a Cusrrs" ein Kind, das Hirn gespalten,
liegt auf dem Boden. Paul Cabet: „Nil Iiuit-osnt-
8oixantk-st-onr:6",Gypsstatue, eiue Frauengestalt,Trauer
und Rache in den Zügen rc. Unter den Werken der
kirchlichen Kunst thaten sich die drei nachstehenden durch
schöne Komposition und geschickte Ausführung hervor: ein
Christus, in Marmor ausgeführt, von sehr würdiger Auf-
fassung von Marquet de Basselot; eine „Natsr-Osi",
Erzstatue von Etienne Montagny, empfindungsvoll in
derKomposition, und eineMarmorgruppe vonLeharivel-
Durocher: „Notrs-Os.ms äs Lon-Ksoours", für die
Kirche Saint-Pierre in Montrouge bestimmt, welche eben-
falls recht glücklich im Entwurfe wie in der Durchführung
ist. Emanuel Fremiet verwerthet in seiner Knnst zugleich
seine archäologischen Studien, er hat einen „Mann aus
der Steinzeit" auf einem Fuße tanzend und mit einem
Eberkopfe unter dem Arme dargestellt und schrieb erläuternd
darunter: „Nomms äs l'ÜAS äs la pisrrs, rsovll8tituä
8ur äss krsAmsllt8 Iiumuiii^ äs I'äpoixus; 1s orsus st
1k8 srmsmsuts sout oopiä8 8ur äs8 objsts äs I'spoc;uk".
Kann man mehr verlangen von der Kunst?

Die Pionniere des neuen Stils erkennen die Antike
nicht minder als die anderen Künstler an, manche der-
selben studiren sie auch niit großem Fleiße, aber sie be-
trachtenes als nutz-und erfolgloseMühe, ihr nachzustreben,
da sie doch nicht wieder erreicht werden könne. Dafür sind
sie von der Ueberzeugung durchdrungen, daß die Bild-
hauerkunst nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch
eine Znkunft haben müsse, und von dem Wunsche be-
scelt, diese Zukunft anzubahnen. Man findet ein ähn-
 
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