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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 18.1883

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Wittmer, Gustav: Denkmal Johann Winckelmanns, [2]: eine ungekrönte Preisschrift Johann Gottfried Herders aus dem Jahre 1778
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https://doi.org/10.11588/diglit.5806#0065

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Denkmal Johann Winckelmanns.

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ließ also die Arbeit einem anderen und trieb sein
Werk. Wie hätte er eine vollständige Geschichte
schreiben können? Wie ist eine Geschichte der Kunst,
die gsnz und wahr und vollständig sei, möglich? Wer
könnte sie anders schreiben als die ewigen Genien
und Schutzengel der Kunst Griechenlands, Aegyptens,
Etruriens und der übrigen Kunstvölker, wenn sie im

Himmel unsichtbar Akademie halten. —-HLtte

Winckelmann auf solchem Wege anfangen wollen; seine
Geschichte der Kunst läge wo alles Ungebohrne liegt".

Herder ist, wie man sieht, im höchsten Grad ge-
recht gegen Winckelmann, indem er auf seine Jntention,
auf sein Wollen eingeht, aber gerade diese seine Ge-
rechtigkeit macht ihn auch nicht blind gegen seine Fehl-
griffe. So wendet er sich in seinen weiteren Aus-
führungen gegen Winckelmanns Annahme, als hätten
die Griechen alles nur aus sich selbst genommen. Und
hier offenbart sich schon der tiefe welthistorische Blick
Herders, welcher uns eine weite Perspektive bis zu den
Völkern des alten Orients eröffnet. Es erscheint kaum
glaublich, daß es nach Herder bis auf die neuere Zeit
herab Verteidiger der Annahme geben konnte, die
Griechen seien reine Autodidakten gewesen.

„Jedes Volk, so fährt Herder sort, kann sich eine
Sprache erfinden; hat sich aber desshalb auch jedes die
seinige erfunden? Waltet hier nicht der Familien-
Geschlechter-Völkerzusammenhang, das natürlichste Band
in der Welt, ob? Jedes Volk kann sich seine Götter er-
finden; hat es sich dieselbe deßhalb erfunden? Und wenn
schon nach Herodots Zeugniß (das hier nur als Muth-
maassung des ältesten Geschichtsschreibers gelten mag,
der die Sache mindstens näher als wir, kannte) —
wenn nach ihm die meisten Götter der Griechen Aegpp-
tisch waren oder mit Aeghptischen eine Ähnlichkeit
hatten; woher diese, als aus einem gemeinschaftlichen
Ursprung und Vaterlande? Und konnten Götter, woher
es auch sei, nach Griechenland kommen ohne Begriff
der Bilder und Gestalten, unter denen sie verehrt
wurden, da ja eben das Bild den Abgott schuf und
vesthielt? Mithin knnpft schon der Stammes- und
Religionszusammenhang auch die Begriffe der Kunst
weiter an: denn aus ihrem Boden waren die Griechen
noch nicht gewachsen, sie winken selbst, insonderheit
ihrer Kultur, auf Asien und Aegypten. Diese hatten
Abgötterei, Kunst und Baukunst, da Griechenland noch
in Barbarei lag: und bekams etwas aus diesen Ländern,
so muste es solches in Hiillen und Vehikeln, die dort
bräuchlich und heilig waren, erhalten.-—

„Wie die Menschen in Geschlechtern, so werden
auch die Bölker durch Land und Zeit und Gegend,
durch Lehre und Unterweisung gebunden, und dies Land
ist die gemeinste, bekannteste, ächte Natur, nicht die
Erfindung jeder Sache, die längst erfunden ist und

gerade vor uns stehet, aus sich selbst. Wenn wir deu
wenigen Nachrichten der Griechen trauen, so flogen die
ältesten Bildhauer der Griechen, eben weil ihrer noch
so wenig waren, weit umher, arbeiteten in Samos und
Kreta, Olympia und Athen und ließen Denkmahle der
Kunst nach; wer wollte nun mit Len Ländern Grenze
setzen, worinn noch Barbarei lag und es ihnen un-
möglich finden, sich in die Nähe hinzustehlen, wo
Vorbilder ihrer Kunst in Lehre und alter Übung da-
standen? War ihnen Asien und Aegypten für Wissen-
schaft und Götterlehre, Einrichtung und Rcgierung
nicht verschlossen, wie's so viele Reisende damals zeigen;
warum sollts denn für den Mechanismus einer Bild-
säule verschloßen gewesen sein? was ist geheimer,
Götterlehre, Weisheit und das Jnnere einer Landes-
regierung, oder Kunst und Werkstätte und Mechanis-

mus? —-Es wäre nicht Griechische Klugheit,

sondern etwa Scythische Dummheit gewesen, Asiaten
und Aegyptern so nah zu seyn und die Hand vors
Gesicht zu halten, als ob diese mit Kunst und Vor-

bilde nicht auf der Welt wären.-"

Sehr fein sind endlich die Bemerkungen Herders
über die Kunst der Aegypter, und hohen Schwung
nimmt seine Sprache an, da er des tragischen Endes
gedenkt, das Winckelmann beschieden war, und er von
der Betrachtung dieses seltenen Mannes und seiner
Werke Abschied nimmt. „Ruhe sanft! Du liegest ohne
Denkmal und dies Blatt kann nicht hingehn, es dir
dort, wo du ruhest, zu werden; aber Deine Schriften
sind Denkmal und Dein Geist wolle noch lange über

uns und Jtalien schweben!-—"

„Und sodann wünscheich, schreibt Herder am Schluß,
daß der Geist Winckelmanns, dieser griechische Dämon,
der über ihn gekommen war und mit ihm entflohen
ist, sich auf einen Künstler senke, der Winckelmanns
Theorie zur That mache und seine Jdeen mit Fleisch
und Blut in Werken des Sonnenstrahls oder des
Marmors vermähle und belebe. Alle Untersuchungen
der Alterthumssorscher bahnen nur Weg dem Genie,
das durch Zauberkrüfte der Medea dies Alterthum
wieder erweckt und darstellt. Die gefühlvollste Theorie
des Schönen, auch mit Einfalt, Würde und Kraft der
Alten vorgetragen, wie sie Winckelmann vortrug, ist
nur Wink auf den, der kommen soll, den neuen Rafael
und Angelo der Dentschen, der uns Griechische Men-
schen und griechische Kunst schaffe. Das war der
Punkt, von dem Winckelmann ausging und auf den
er alle seine Kenntniß des Alterthums hinführte. Ob
der Punkt möglich? und bald zu hoffen sei, entscheide
ich nicht, aber wenigstens soll Künstler, Alterthums-
forscher, Regent und Philosoph, Erzieher der Menschen
und Literator niit Winckelmanns Würde, Geist nnd
Eifer danach streben." G. Wittmcr.
 
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