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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 18.1883

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https://doi.org/10.11588/diglit.5806#0273

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541

Kunstlitteratur.

542

anordliungen, wie sie die Kirche zn Methler, das
Mnnster zu Herford und der Dvm zu Paderborn
anßcr vielen anderen aufweiscn. Jm Dvm zu Minden
hat sodann die frnhgotische Epoche eine der groß-
räuniigsten Anlagen dieser Art hingestellt.

Hessen tritt erst mit der beginnenden Gotik, wie
es scheint, in diese Bewegung ein, aber es bringt gleich
einen Ban crsten Ranges in der edel strengen Elisabeth-
Kirche zn Marburg hervor. Von ihr gehen sofort
niehrere ähnliche Kirchen aus, und der wichtigsten unter
diesen ist die vorliegende Veröffentlichung gewidmet.
Direkte Einwirknngen dcS Marburger Vorbildes sehen
wir namentlich in den polygonen Abschlüssen der Krcuz-
arme, den Rundpseilern mit ihren vier Diensten und
dem einfachcn Charaklcr der Fvrmensprache. Dagegen
ist hier nur ein Turm vorhanden und die Doppelreihe
der Fenster bei geringerer Höhe des Ganzen in eine
einfache Reihe umgewandelt, wobei außerdem die Maß-
werke das Gepräge des bcreits fortgeschrittenen Stiles
des 14. Jahrhunderts zeigen. Unbedeutendere Ab-
weichungen, wie sie namentlich in der Anlage und
Ausbildung der ziemlich nüchtern behandelten und un-
genügend abgeschlossenen Strebepfeiler vorliegen, diirfen
hier übergangen werdcn.

Obwohl schon im Jahre 1286 Landgraf Heinrich ch
den Grundstein zu diesem der Maria gewidmeten Bau
legte, schritt das Werk doch so langsam vor, daß man
es im wesentlichen als eine Schöpfnng des 14. Jahr-
hunderts bezeichnen darf. Jn der That wurdc erst
1353 der Hochaltar eingeweiht, knrz nachher dann der
Turmbau vollendet. Der originellste nnd küustlerisch
wertvollste Teil der Anlage ist die Marienkapelle'
welcher kleine Polygonbau in sehr eigentümlicher' Weise
dcm südlichen Querflügel angefügt worden ist. (Etwas
Ähnliches schon früher an der Kathedrale zu Soissons.)
Hatte man sich beim Bau der Kirche im wesentlichen
auf große Einfachheit der Formgebung beschränkt, so
bildete man die Kapelle zu einem wahren Schmuck-
kästchen aus, in tvelchem sich die zicrlichen Formen
der zweiten Hälfte des 14. Jahrhnnderts an dem
rcichen geblendeten Maßwerk der Wände, den feiner
durchgebildeten Strebepfeilern, dem eleganten Portal
und dem schönen steinernen Wandaltar aufs glänzendste
offenbarten. Letzterer ist namentlich auch dadurch be-
merkenswert, daß seine Platte auf drei allerdings stark
zerstörten Figuren — wie es scheint dem Meister und
seinen Geselken — rnhte.

Nach Vollendnng diescs Teiles erfnhr die künst-
lerische Thätigkeit einen längeren Stillstand, dagegen
trafen manche Schicksalsschläge den Bau, der dadnrch
wesentliche Einbuße und Umgestaltung erlitt. Zuerst
wnrde die Kirche von eineni verheerenden Brande, der
im Jahre 1476 die Stadt betraf, stark mitgenommen,

wvbei der Dachreiter auf dem Chore und die sämt-
lichen Dächer zerstört wurden. Die Not der Stadt
war sv groß, daß die Kirche zwei Jahre lang ohne
Dach blieb und durch Regen und Schnee großen
Schaden an den Gewölben erlitt. Erst 1481 wurde
dnrch eine allgemeine Landeskollekte die Herstellnng
kräftigcr gefvrdert. Jm Jahre 1527 wurde dic Stadt
protestantisch und in der Liebsrauenkirche hörte der
kathotische Gvttesdienst anf. Jm Jahre 1607 schlug
der Blitz in den Turm, der vollständig abbrannte, aber
wahrscheinlich mit spitzem Helm wieder hergestellt wurde,
da Merians Topographie ihn also zeigt. Wann der
jctzt vorhandene barocke Turmhclm entstanden ist, scheint
nicht bekannt zu sein.

Dem historischen Text folgt eine reich illustrirte
Baubeschreibung, welche in klarer sachlicher Weise cr-
schöpfende Auskunft über die Kirche und die Marien-
kapelle bietet. Dem Text sind alle wichtigeren Einzel-
formen, die Pfeiler samt ihren Sockeln und Kapitälen,
die Kragsteine, Wanddienste und Baldachine, endlich
der elegante Religuienschrein des Chores, und die reich
geschnitzten Balkenköpfe der ehemaligen Empore, letztere
inschriftlich als Werke dcs Philipp Soldan vom
Jahre 1529 bezeugt, in kräftig ausgesührten, charak-
teristisch gezeichneten Holzschnitten eingesügt. Dazu
kommen anf zehn von Ritter und Riegel verständnis-
voll gestochenen Tafeln alle erforderlichen architektoni-
schen Ausnahmen, Grundriß, Aufrisse und Durchschnitte
der Kirche, der Kapelle und ihres schönen Altars, ferner
zwei perspektivische Ansichten von Westen und von
Osten, eine Bignette mit der Ansicht der Stadt und
eine Abbildung des alten Siegels derselben. Die Heraus-
geber haben bei der Darstellung der Kirche überall den
Helm des Turmes und das Dach der Kapelle so her-
gestellt, wie dieselben ursprünglich gewesen sein mögen.
Konsequenterweise hätten sie dann auch den ehemali-
gen Dachreiter des Chores ergänzen und dem Dach
des Langhauses seine ursprüngliche Form zurückgeben
müssen. Mit solchen Umänderungen kommt man aber
anf eine abschüssige Bahn, und es wäre dahcr ratsamer
gewesen, wenigstens auf einem Blatte, und zwar nm
besten anf der perspektivischen Ansicht der Kirche, den
UtzPen Zustand derselben genau vorzuführen. Einer
solchen Fordernng, die jedenfalls der historischen Treue
vollkommen entspricht, wird man sich bei derartigen
Arbeiten nicht wohl entziehen dürfen.

Die vorliegende, durch Gediegenheit der Aus-
führung und Schönheit der Ausstaitung hervorragende
Monographie giebt sich als Fortsetzung des Werkes:
„Mittelalterliche Baudenkmäler in Knrhessen". Seit
dem Abschluß des ersten Bandes haben sich jene ent-
scheidenden Begebenheiten vollzogen, welche aus dem
alten Kurhessen einen preußischen Regierungsbezirk
 
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