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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 18.1883

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Rosenberg, Adolf: Der Pariser Salon, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5806#0340

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Der Pariser Salon.

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frvntation in der Morgue" von Albert Broautö,
einem Schüler von Lehnmnn, welcher die lineare Korrekt-
heit seines Lehrers anf die Ereigniffe des tüglichen
Lebens mit kaltem Raffinement überträgt. Wie ver-
bissen steht der Arbeiter da, welcher seine Geliebte
ermordet hat, die völlig entkleidet, aber von ihrem
Flitterstaat umgeben, auf dem Tische des Obduktions-
hauses liegt! Und dazu die Staffage der Gerichts-
personen und Ärzte, welche den Verlauf dieser Kon-
srontation mit Spannung beobachten! Es ist leicht
begreiflich, daß solche Darstellungen, welche in Deutsch-
land Argernis oder doch wenigstens Abscheu erregen
würden, in Paris, wo der Boden durch die Litteratur
und mehr noch durch die Publizistik des Tages dazu
auf das beste vorbereitet ist, das lebhafteste Jnteresse
in allen Schichten der Bevölkerung hervorrufen. Es be-
darf eines gewaltigen Hammerschlages, um französische
Nerven zu erschüttern. Sie zu verstimmen, ist seit
Jahren zum erstenmale dem eben genannten Roche-
grosse mit seiner brutalen „Andromache" gelungen.

Wo die Halbwelt sich so schamlvs unter der still-
schweigenden Konnivenz der Autoritäten in das vffent-
liche Leben, in die Kreise der guten Gesellschaft drängt,
wie in Paris, ist es nicht zu verwundern, daß selbst
die ehrbarste Frau einmal, von unwiderstehlicher Neu-
gierde getrieben, einen Zipsel des Schleiers aufhebt,
welcher Lieses Treiben sonst ihren Blicken verbirgt.
Und deshalb dars sich die pikante und galante Jllustra-
tion des Demimondelebens im Salon ungestraft breit
machen. Bis zu welchem Grade, das zeigt Girons riesige
Leinwand: „Die beiden Schwestern", auf ver in lebens-
großen Figuren das Getümmel von Wagen, Reitern
und Fußgängern dargestellt ist, welches sich jeden Nach-
mittag bei der Rückkehr der Eguipagen aus dem Bois
de Boulogne entwickelt. Eine Dame der Halbwelt in
elegantester Frllhjahrstoilette führt gerave in der
gemieteten Kalesche vorüber, als ihr die rechtschaffene
Schwester begegnet, die der Gefallenen die Rechte mit
einer Gebärde tiefster Berachtung entgegenstreckt. Die
auf bloßem Schein beruhende Existenz einer solchen
Dame hat der Belgier Jan van Beers, der elegante
Salonmaler mit dem glatten, die Wirklichkeit bis zur
Täuschung abschreibenden-Pinsel, sehr witzig auf einem
Bilde: „Die Rückkehr vom großen Preise" persiflirt, in-
dem er den Kutscher der in der Viktoriachaise sitzenden
Dame nur bis zum Kinn mitgeteilt hal, weil diese
häufig wechselnden Mietskutscher nicht zur Physiogno-
mie des Gefährts gehören. Eine dieser Damen, welche
sich nach dem Diner, eine Cigarrette rauchend, wollüstig
auf einem Pantherfelle dehnt, bildet das Pendant zu
jenem Bilde. Eine solche üsur äu iuu1 hat auch
Gustave Pinel, lebensgroß und mit verführerischen
Reizen ausgestattet, in der eleganten Toilette einer

Zriinäo äaiuo geuialt, aus eiuem Treppenpodeste stehend,
wie sie ihre Handschuhe zunestelt. Ganz in schwarze
Stoffe gekleidet, mit einem Beilchcnstrauß geschmückt,
hebt sich diese Bioletta von einem lichten, ungemein
zart gestimmten Hintergrund ab. Bonnat braucht sich
dieses Schülers nicht zu schämen. Diese üsur äu lual
kann es in technischer Hinsicht sehr wohl mit Bonnats
vornehmem Porträt einer Dame in ganzer Figur
ausnehmen, deren dunkelblaue Samtrobe ihre Reflexe
auf den mit wunderbarer Delikatesse modellirten Kopf
wirst. Aus dem schwarzen Haare leuchtet ein Halb-
mond von Brillanten hervor, welcher den seltsamen
Reiz der distinguirten Erscheinung noch erhöht. Man
kann freilich auch diesem Werke Bonnats den Vorwurf
machen, daß der Hintergrund zu schwarz gehalten ist
und daß derselbe seine dunkeln Schatten zum Nach-
teile der Gesamtwirkung und vor allem zur Beein-
trächtigung der Wahrheit auf die Lokalfarben wirst.
Aber man kann doch auch auf der anderen Seite kein
anderes Porträt der Ausstellung namhaft machen,
welches diesem ebenbürtig wäre, weder Dubufe's un-
gemein lebendige, wahrhaft sprühende kleine Juliette, noch
Clairins Madame Krauß, noch das Damenbitdnis
vonCot, noch Maignans „ZweiSchwestern", welche,
hinter einer Balkonbrüstung gruppirt, ganz licht und
unbestimmt in den Formen, als Gobelinsmalerei be-
hanvelt siitd, am allerwcnigsten Carolus Durans
Dame in rotem Kleide, die mit wenig Geschmack
und Eleganz vor einen roteu Hintergrund placirt ist.
Dieser Maler hat sich seit einigcr Zeit bekanntlich
auch der religivsen Malerei gewidmet. Die groben
koloristischen Effekte, welche er dabei anwendet, werden
für venezianisch ansgerufen; aber sie sind ebenso roh,
wie die Formengebung seiner Gestalten gemein ist.
Die „Vision" dieses Jahres ist eine Art Versuchung
des heil. Antonius. Vor dem knieenden Einsiedler hat
sich der Gekreuzigte Plötzlich in ein junges nacktes Weib
verwandelt, welches mit ausgebreileten Armen, Blumen
streuend, seinem Opfer entgegenschwebt. Die langen
roten Haare der Versucherin bilden die Folie für den
weißen Leib, und in dem Gegensatze des Fleischtones
zu diefem branstigen Rot, in dem Zusammenspiel des
Jnkarnats mit den fuchsroten Haarfluten liegt der
Hauptzweck des Malers. Daß Carolus Duran wirk-
lich nichts anderes beabsichtigt hat und daß die Ein-
führung des Eremiten ihm nur ein leerer Bvrwand
war, beweist der Umstand, daß er die nackte Schönheit
genau in derselben Situation unter dem Titel „Die
Dämmerung" zuerst allein gemalt hat und daß er
erst später, zur Verstärkung des Effekts, auf die pikante
Gegenüberstellung der beiden Figuren verfiel. Die
„Dümmerung" ist jetzt in Amsterdam zu sehen. Ähn-
lich skurril ist ein ebenfalls der heiligen Geschichte cnt-
 
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