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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 18.1883

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Ein Rundgang durch die schweizerische Kunstausstellung in Zürich
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https://doi.org/10.11588/diglit.5806#0372

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Ein Rnndgang durch die schweizerische Kunstausstsllung in Zürich.

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einem größeren Gemälde; nnwillkiirlich treten auch wir
vorerst dorthin und erblicken zu unserem Staunen eine
Zcchncirztsccnc: der ländliche Zahnarzt hält dic Zange
in der Hand und ist eben im Begriff, einen schmer-
zenden Zahn hcrausznziehen. Hinter der mit weit
osfenem Munde dasitzenden, leidenden Tochter steht
ängstlich die Mutter, und sehr unhehaglich ist es offenbar
auch den noch dcr Operation harrenden Paticnten zu
Mute, von denen die meisten — bäuerliche Gestalten —
mit verbundenen Gesichtern dahocken. Dies echt reali-
stische Bild: „Ein peinlicher Angenblick", von E.Ravel
(Paris), ist ein Meisterstück in der Technik, aber uns
Deutschen bleibt es doch immer fraglich, ob wir der-
artige Bilder als wahre Knnstschvpfungen ansehcn
sollen. An Ravels zweitem Bilde, „Der Karikaturen-
zeichner", können wir jedoch rückhaltslos unser Wohl-
fallen ausdrücken; diese schelmischen Buben auf der
Schulbank sind köstliche Figuren.

Fräulein L. Breslau, eine in Paris ausgebildete
Züricherin, sucht an Realismus mit Zola zu wetteifern.
Sie scheint selbst bei ihren Freunden nur Aufmerksam-
keit fürs Häßliche zn haben; wenigstens ist ihr Bild
„llss amis", welcheS sie selbst mit zwei Freundinnen
und einem Hunde darstellt, siir diese Freundinnen wie
sür die Künstlerin wenig schmeichclhaft; man ist ver-
sucht zu glauben, daß sie sich ihre Freunde nicht in
den besten Kreiscn sucht. Jm übrigen ist das Bild
mit großer technischer Virtuosität durchgeführt und
verrät in nichts die Frauenarbeit. Es wurde auch im
letzten „Salon" mit einer Medaille ausgezeichnet. Hier
werden in der Kunstausstellung keinerlei Preise ver-
teilt. — Ein anderes Porträt von Fräulein Breslau:
„Dame mit Kind", weist dieselben Mängel bei weniger
angenehmerFarbengebung auf. Ani sympathischesten be-
rührte uns das männliche Porträt „Maestro G. Braga".
Es ist keck gemalt und sorgfältig durchgeführt; ein
geistvoller, nobel ironischer Zug blickt aus dem Ant-
litz, dem diesmal nichts von Gemeinheit anhaftet.

Boecklin ist mehrfachvertreten; seinebeidenPorträts
von „Römerinnen" mit ihren unschönen, gelben, kalten
Gesichtern lasfen uns kalt; auch der „Gothenzug" bietet
neben manchen Vorzügen, die ja Boecklin nie abzu-
sprechen sind, zu viel des Bizarren; nnr seine „Muse
des Anakreon" hat unser Jnteresse in hohem Grade
erweckt. Dies blühende, schöne Angesicht mit dem pracht-
vollen Kolorit vergißt man nicht leicht. Warum aber
mußte der Künstler auch hier wieder die schöne Har-
monie zerstören durch einen Himmel von jenem grellen
Blan?

Stückelberg, der zweite berühmte Baseler, be-
scherte uns mit seiner „Wahrsagerin" eines der lieb-
lichsten Genrebilder. Das junge Paar, welches sich
im Gebirge von einer Zigeunerin sein Schicksal weissagen

I läßt, ist so anmutig wie die Frühlingsnatur, die es
umgiebt. Das Porträt von Stückelbergs Mutter ist
sehr schön durchgeführt. Auch „Die Kinder aus der
Fremde", gehören zu dem Schönsten, was die Aus-
stellung bietet. Die interessanten Studienköpfe zu den
großen Fresken, mit denen Stückelberg in den letzten
Jahren die Tellskapelle gcschniückt hat, sind ebenfalls
ausgestellt. Viel weniger behagt uns StückelbergS
„Letzter Hohen-Rhätier", ein unruhiges Bild, das in
der Zeichnung der Figuren, wenn nicht unrichtig, so
doch unschön ist, besonders in den Verschlingungen der
Gliedmaßen. Das Gemälde stellt dar, wie der letzte
Hohen-Rhätier sich mit der geraubten Braut eines
Jünglings in die via wala stürzen will und das Volk
hindernd dazwischenfällt. — Höflingers Porträts
und Studienköpfe zeugen sür die Thätigkeit der Baseler
Schule. — Auf landschaftlichem Gebiete sind die Baseler
am besten durch Rüdisühli vertreten, dessen saftige,
stimmungsvolle Bilder auch im Auslande stets Anklang
gefundcn haben.

Die Genfer haben zwei Meister ersten Ranges auf-
zuweisen: Vautier und Alexandre Calame. Wenn
der erstere freilich schvn so lange in Dcutschland weilt,
daß er mit mehr Fug und Recht dorthin zu zählen
ist, so können wir es den Schweizern doch nicht ver-
argen, wenn sie stolz auf den Sohn ihrer Berge sind
und das Anrecht, ihn zu den Jhren zu zählen, sich nicht
schmälern lassen mögen. Seine hier ausgestellten Bil-
der: „Der Bcsuch aus der Stadt", „Die Einladung
zum Tanz", „Der Großsprecher", „Der Gang zur Civil-
trauung" repräsentiren ihn glänzend, und vollends,
Wenn wir noch das liebliche Gesichtchen der „Träu-
merin" erblicken, dünkt uns dieses kleine Juwel sast
ebenso wertvoll wie die großen Kompositionen.

Alexandre Cala me ist ebenfalls durch eine Reihe
seiner herrlichsten Schöpfungen vertreten, und wir
können den Besitzern, meist Privaten, nicht genug dank-
bar dafür sein, sie wieder einmal dem großen Publi-
kum zugänglich gemacht zu haben. Sein „Sommer"
(aus der Serie der „Vier Jahreszeiten") gehört zn
den schönsten Baumschlagstudien, die es wohl über-
haupt geben dürfte, wie sie jetzt in der Zeit der „Effekt-
hascherei" gar nicht mehr zu malen versucht werden.
Und welcher malerische Effekt liegt in dem Bilde! Der
Prachtvolle sommerliche Baum, darunter das reife Korn
im heißen Julisonnenschein — wir fühlen ihn ordentlich
brennen, so wahr ist die Beleuchtung wiedergegeben.
Die „Tannenstudie an der Handeck" sowie „Der große
Eiger" sind ebenfalls prächtige Bilder. Erwähnt sei
serner, daß noch an andrer Stelle, nämlich in der
Ausstellung im „Alpenklnbpavillon", höchst intereffante
Landschaften von Calame, meist Studien und Skizzen,
zu finden sind. Auch Diday (Genf) ist dort mit sehr
 
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