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Kunstlitteratur.
498
kor mehrcren tausend Jahren. „Die Örtlichkeit", sagt
Graf Mvltke in seinem „Wanderbuch", „istdas von einer
längst vergangenen Begebenheit übriggebliebene Stiick
Wirklichkeit. Sie ist sehr oft der fossile Knochenrest,
aus dem das Gerippe der Begebenheiten sich herstellen
laßt, und das Bild, welches die Geschichte in halbver-
wischten Zügcn überliefert, tritt durch sie in klarer
Anschauung hervor. Jahrhunderte freilich, welche die
festestcn Bauten umstürzen, gehen nicht spurlos vorüber
an der größten aller Ruinen, der Muttererde. Der
Anbau glättet ihrc Oberfläche aus, Wälder verschwin-
den, Bäche versiegen und tarpejische Felsen ebnen sich
zu saufteren Hängen ab. Aber dies alles ändert, wir
möchten sagen, nur Lie Hautfarbe der ^.linu rnaksr,
vhnc ihre Gesichtszüge unkenntlich zu machen."
Bei Athen war es aber hohe Zeit, daß die topo-
graphische Aufnahme für die Erforschung des Landes
zu Hilfe gerufen wurde. Gerade der Aufschwung, den
die Stadt selbst und der Peiraicus in kurzer Zeit ge-
nommen hat, war der Erhaltung antiker Reste äußerst
nachteilig; Athen, noch vor wenigen Jahrzehnten ein
kleines Städtchen, erklettert mit seinen Hänsern jetzt
schvn den Lykabettoshügel nnd droht fast durch seine
Umarmung die Akropolis zu ersticken; noch größer ist
der Auffchwung des Peiraieus. Noch ini Herbst 1834
sah Fiedler (Reisen I, 6) daselbst nur schlechte, lcichte
Häuser am Strande, zwei kleine einmastige Fahr-
zcuge, außer dem, aus wclchem er selbst gekommen, und
zwei Scemöven belebten den Hafen. Jm April 1837, alsv
nur 2 2ahre später, erblickte er schon am Peiraieus
cine freundliche Hafenstadt mit regulären Straßen,
schönen Wohnhäusern, Kaufläden, massiven Waren-
magazincn, Nne dnrch Zanbcrschlag entstanden. Flaggcn
aller Nativnen flatterten im Hafen. Und seitdem ist
dic Stadt noch weiler gewachsen; 1871 zählte sie schon
11000 Einwvhner; für die hcutige Zeit greift man
mit der doppelten Summe sicherlich nicht zu hoch.
Schon genügt das antike Terrain der Stadt nicht mehr,
schvn ziehen sich die Häuser und Villen die Akte und
Munichiahöhe hinauf, und es läßt sich die Zeit ab-
sehen, wo Bauterrain innerhalb der alten Befestigungs-
maucrn nicht mehr versügbar sein wird. Je mehr
abcr gebaut wird, um so mchr werden antike Trüm-
mer, die für die topographische Forschung oft von
unschätzbarem Wertc sind, weggeräumt, oft wegcn der
gefürchteten Bclästigungen, ohne daß ein Kundiger auch
uur davon Nvtiz nehmen kann. Deshalb war es hohe
Zeit, daß dnrch die topogrnphische Aufnahme das, was
noch vorhanden ist, an Ort nnd Stelle verzeichnet und
dadurch für Iveitcre Fvrschungen erhalten wurde.
Der Wunsch nach einer trigonometrischen Auf-
nahme von Athen und womöglich ganz Attika ist schon
alt, aber erst die Gründung des deutschen archäologi-
schen Jnstitutes in Athen hat es erlaubt, der Ausfüh-
rung näher zu treten; besonders jedoch ist es die per-
sönliche Teilnahme des Generalseldmarschalls v. Moltke,
welche die Sache hat ins Leben treten lassen, indcni
auf seine Beranlassung der Landesvermessungsrat Herr
Kaupert 1875 nach Athen gesandt wurde, um die Vor-
bereitungen zu den nötigen Arbeiten zu trcffen und Athen
selbst aufzunehmen. Jhm folgte eine Reihe anderer
dcm Generalstab entstammender Herren, 1876 zunächst
der Premierleutnant v. Alten, um das ganze Hafen-
gebiet vom Phaleros bis zur Fähre von Salamis mit
Einschluß des Aigialeosgebirges aufzunehmen, dann im
Winter 1877—78 Hauptmann Steffen für dcn nörd-
lichen Teil des Hymettos (vgl. seine interessantcn
Notizen in der Arch. Zeitg. 37, S. 38). Für die Sck-
tionen Pyrgos und Kephisia ist Hauptmann Siemens
und v. Alten, für Tatoi Hauptmann v. Weddig, für
die Sektion Spata Hauptmann Steinmetz thätig gewesen;
der Geodät Wolff hat serner den Pentelikon, Premier-
leutnant v. Hülsen den südlichen Teil des Hymettos auf-
genommen, auch ist bereits durch Hauptmann Gäde
das trigonometrische Netz über die Ostküste Attika's aus-
gedehnt worden, so daß sür den größten Teil des Lan-
des die Vorarbeiten erledigt find*).
Die ersten Früchte der gemeinsamen Arbeit wurdcn
1878durch den „Atlas von Athen" dem größeren Publi-
kum dargeboten; die zwei crsten Tafeln dieses Wcrkes
sind in dcrselben Gcstalt, abgesehen von Nachträgen,
wclche durch die scit 1878 vorgcnommenen Aus-
grabungen in Athen nötig geworven waren, in das
neue große Werk herübergenommen worden; das erste
Blatt giebt das moderne Athen, das zweite ist dem
antiken Athen gewidmet, doch so, daß durch den blassen
Unterdruckder modernen Stadt die Orientirung und das
Auffindcn der antiken Reste erleichtert Ivird. Der Gang dcr
antiken Mauern und die Stellung der Thore hat sich fast
anf allen Punkten niit ziemlicher Gewißheit bestimmcn
lassen, auch der Gang der Schenkelniauern, welche dcn
Pciraieus mit der Stadt verbanden, steht im wesent-
lichen fest; höchstens kann nvch ein Zweifel herrschen,
wo die nördliche Schenkelmauer sich an die Stadt-
mauer anschloß. Anch die nach der Stadt führendcn
Wege und Straßen lassen sich mit ziemlicher Gewiß-
heit angcben; die Bezeichnung der Wege ist sv gehalten,
daß man svfort daraus die grvßere oder geringerc
Sicherheit erkennen kann, welche die einzelnen Be-
hauptungen sür sich in Anspruch nehmen. Auch inner-
halb der Stadt ist es vermöge der vielen aus dem
Altertum erhaltenen Reste möglich gewesen, gewisse
. *) Ein anschauliches Bild von dem augenblicklichen Stande
der topographischen Aufnahme Attika's bildet ein durch ein
Kärtchen von Kaupert erläuterter Artikel der „Berlinsr
Philol. Wochsnschrift" 1884, Nr. 14. S. 417.
Kunstlitteratur.
498
kor mehrcren tausend Jahren. „Die Örtlichkeit", sagt
Graf Mvltke in seinem „Wanderbuch", „istdas von einer
längst vergangenen Begebenheit übriggebliebene Stiick
Wirklichkeit. Sie ist sehr oft der fossile Knochenrest,
aus dem das Gerippe der Begebenheiten sich herstellen
laßt, und das Bild, welches die Geschichte in halbver-
wischten Zügcn überliefert, tritt durch sie in klarer
Anschauung hervor. Jahrhunderte freilich, welche die
festestcn Bauten umstürzen, gehen nicht spurlos vorüber
an der größten aller Ruinen, der Muttererde. Der
Anbau glättet ihrc Oberfläche aus, Wälder verschwin-
den, Bäche versiegen und tarpejische Felsen ebnen sich
zu saufteren Hängen ab. Aber dies alles ändert, wir
möchten sagen, nur Lie Hautfarbe der ^.linu rnaksr,
vhnc ihre Gesichtszüge unkenntlich zu machen."
Bei Athen war es aber hohe Zeit, daß die topo-
graphische Aufnahme für die Erforschung des Landes
zu Hilfe gerufen wurde. Gerade der Aufschwung, den
die Stadt selbst und der Peiraicus in kurzer Zeit ge-
nommen hat, war der Erhaltung antiker Reste äußerst
nachteilig; Athen, noch vor wenigen Jahrzehnten ein
kleines Städtchen, erklettert mit seinen Hänsern jetzt
schvn den Lykabettoshügel nnd droht fast durch seine
Umarmung die Akropolis zu ersticken; noch größer ist
der Auffchwung des Peiraieus. Noch ini Herbst 1834
sah Fiedler (Reisen I, 6) daselbst nur schlechte, lcichte
Häuser am Strande, zwei kleine einmastige Fahr-
zcuge, außer dem, aus wclchem er selbst gekommen, und
zwei Scemöven belebten den Hafen. Jm April 1837, alsv
nur 2 2ahre später, erblickte er schon am Peiraieus
cine freundliche Hafenstadt mit regulären Straßen,
schönen Wohnhäusern, Kaufläden, massiven Waren-
magazincn, Nne dnrch Zanbcrschlag entstanden. Flaggcn
aller Nativnen flatterten im Hafen. Und seitdem ist
dic Stadt noch weiler gewachsen; 1871 zählte sie schon
11000 Einwvhner; für die hcutige Zeit greift man
mit der doppelten Summe sicherlich nicht zu hoch.
Schon genügt das antike Terrain der Stadt nicht mehr,
schvn ziehen sich die Häuser und Villen die Akte und
Munichiahöhe hinauf, und es läßt sich die Zeit ab-
sehen, wo Bauterrain innerhalb der alten Befestigungs-
maucrn nicht mehr versügbar sein wird. Je mehr
abcr gebaut wird, um so mchr werden antike Trüm-
mer, die für die topographische Forschung oft von
unschätzbarem Wertc sind, weggeräumt, oft wegcn der
gefürchteten Bclästigungen, ohne daß ein Kundiger auch
uur davon Nvtiz nehmen kann. Deshalb war es hohe
Zeit, daß dnrch die topogrnphische Aufnahme das, was
noch vorhanden ist, an Ort nnd Stelle verzeichnet und
dadurch für Iveitcre Fvrschungen erhalten wurde.
Der Wunsch nach einer trigonometrischen Auf-
nahme von Athen und womöglich ganz Attika ist schon
alt, aber erst die Gründung des deutschen archäologi-
schen Jnstitutes in Athen hat es erlaubt, der Ausfüh-
rung näher zu treten; besonders jedoch ist es die per-
sönliche Teilnahme des Generalseldmarschalls v. Moltke,
welche die Sache hat ins Leben treten lassen, indcni
auf seine Beranlassung der Landesvermessungsrat Herr
Kaupert 1875 nach Athen gesandt wurde, um die Vor-
bereitungen zu den nötigen Arbeiten zu trcffen und Athen
selbst aufzunehmen. Jhm folgte eine Reihe anderer
dcm Generalstab entstammender Herren, 1876 zunächst
der Premierleutnant v. Alten, um das ganze Hafen-
gebiet vom Phaleros bis zur Fähre von Salamis mit
Einschluß des Aigialeosgebirges aufzunehmen, dann im
Winter 1877—78 Hauptmann Steffen für dcn nörd-
lichen Teil des Hymettos (vgl. seine interessantcn
Notizen in der Arch. Zeitg. 37, S. 38). Für die Sck-
tionen Pyrgos und Kephisia ist Hauptmann Siemens
und v. Alten, für Tatoi Hauptmann v. Weddig, für
die Sektion Spata Hauptmann Steinmetz thätig gewesen;
der Geodät Wolff hat serner den Pentelikon, Premier-
leutnant v. Hülsen den südlichen Teil des Hymettos auf-
genommen, auch ist bereits durch Hauptmann Gäde
das trigonometrische Netz über die Ostküste Attika's aus-
gedehnt worden, so daß sür den größten Teil des Lan-
des die Vorarbeiten erledigt find*).
Die ersten Früchte der gemeinsamen Arbeit wurdcn
1878durch den „Atlas von Athen" dem größeren Publi-
kum dargeboten; die zwei crsten Tafeln dieses Wcrkes
sind in dcrselben Gcstalt, abgesehen von Nachträgen,
wclche durch die scit 1878 vorgcnommenen Aus-
grabungen in Athen nötig geworven waren, in das
neue große Werk herübergenommen worden; das erste
Blatt giebt das moderne Athen, das zweite ist dem
antiken Athen gewidmet, doch so, daß durch den blassen
Unterdruckder modernen Stadt die Orientirung und das
Auffindcn der antiken Reste erleichtert Ivird. Der Gang dcr
antiken Mauern und die Stellung der Thore hat sich fast
anf allen Punkten niit ziemlicher Gewißheit bestimmcn
lassen, auch der Gang der Schenkelniauern, welche dcn
Pciraieus mit der Stadt verbanden, steht im wesent-
lichen fest; höchstens kann nvch ein Zweifel herrschen,
wo die nördliche Schenkelmauer sich an die Stadt-
mauer anschloß. Anch die nach der Stadt führendcn
Wege und Straßen lassen sich mit ziemlicher Gewiß-
heit angcben; die Bezeichnung der Wege ist sv gehalten,
daß man svfort daraus die grvßere oder geringerc
Sicherheit erkennen kann, welche die einzelnen Be-
hauptungen sür sich in Anspruch nehmen. Auch inner-
halb der Stadt ist es vermöge der vielen aus dem
Altertum erhaltenen Reste möglich gewesen, gewisse
. *) Ein anschauliches Bild von dem augenblicklichen Stande
der topographischen Aufnahme Attika's bildet ein durch ein
Kärtchen von Kaupert erläuterter Artikel der „Berlinsr
Philol. Wochsnschrift" 1884, Nr. 14. S. 417.