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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 19.1884

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Rosenberg, Adolf: Ausstellung von Werken Gustav Richters in der Berliner Nationalgalerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.5805#0275

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Ausstellunfl von Werken Gustav Richters iu der Berliner Nationalflalerie,

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respektable kvloristische Fähigkeiten erwvrben hatte,
bedor er nnch Paris kam, Die Porträts, welche er
»ach sciner Rückkehr aus Jtalien, etwa von 1852 bis
zum Beginn dcr sechziger Jahre gemalt hat, zeigen
burchaus noch nicht jene blendenden malerischen Qna-
litätcn, wclche seinen Ruhm begriindet haben. Jns-
besondere erweist sich jenes Porträt seiner Schwester
bon 1852, welchem Fr. Eggers jenes von uns im Ne-
krologe des Meisters (s. o. S. 443) wiederholte, be-
geisterte Lob gespendet hat, nur als ein geistvoller und
seinfiihliger Versuch innerhalb der von Eduard Magnus
begonnenen Richtung: ein feines Spiel des Lichts, eine
zarte Modellirung, eine distinguirte Haltnng nnd ein
starker Zusatz von Sentimentalität. Das große, wenig-
stens in der ersten Jdee gleichzeitig konzipirte Bild
der Auferweckung der Tochter des Jairus hat in den
männlichen Figuren etwas Robustes, das auch in der
Malweise zum Durchbruch kommt, Das junge Mäd-
chen, welches cinc Ausnahme macht, ist noch auf einige
Zcit hinnus ein kiors ä'osrivrs im eigentlichen Sinnc
dcs Wortes geblieben, gewissermaßen ein erstes, unbe-
wußtes Tasten auf dem Wege, der später zum Höchsten
fiihren sollte. Dann folgen einige Jahre, die ansschließlich
der Bildnismalerei gewidniet waren: reich an Produk-
tion, aber nicht erfreulich und charakteristisch sür den
eigcntlichen Richter. Wenn man auch zugeben muß,
daß die Pcrsönlichkeiten und das Kostüm der Darge-
stellten der künstlerischen Absicht nicht gerade entgegen-
kamcn, so ist doch auch manches am Malwerk auszu-
setzen. Der Flcischton ist oft fleckig, hie und da verblasen,
dcr Modellirung fehlt es an Geschmeidigkeit und den
Farbenflächen an jener sichern Behaiidlung, welche dic
Wirkung dcr plastischen Kunst zu errcichen wciß. Das
Arrangement ist nicht sehr geschmackvoll, nicht malerisch
im engeren Sinne, und vor allen Dingen spricht hier
noch nicht die Beleuchtung das entscheidende Wort,

Es kann nach dem von der Ansstellung gelieferten
Matcrial kcincm Zweifel unterliegen, daß crst die 1861
nach den Orient und Agypten unternvmmene Reise
dic kolvristischen Fähigkciten Richters zn vollcr Reife
gebrächt hat, Der dritte nnd vierte Raum enthalten
die Früchte dieser und mehrercr italienischer Reisen,
Aguarellc und Ölskizzen: große Kopfstudiea, einzelne
Figurcn, Gruppen, Straßenscenen, dann Terrain- und
Architekturstudicn, die spceiell als Hilfsmittel sür das
Pyramidenbild dienen sollten, Hier finden wir auch
jene Brustbilder ethnographischen Charakters, welche
Gustav Richter zuin Helden aller Photographiealbums,
Medaillons, Broschen, ja sogar der Pfeifenköpfe ge-
macht haben: die Ägypterin, den neapvlitanischen Fischer-
knaben und die Odaliske. Malerisch wertvoller und
nicht so blechern, sondern weicher in der Modellirung
ist die ganze Figur cines kleinen Lazzaroni. Von ganz

außerordentlichem malerischen Reiz ist ein im dritten
Raum befindlichcs Bild, welchcs auch schvn um des
Gegenstandes willen unser Jnteresse fesselt, weil es ans-
nahmsweise einen antiken Stoff behandelt. Es sührt
uns nämlich in die Werkstatt des Pygmalion in jenem
Augenblicke, wo das Marmorbild der Jungfrau die
Farbe des Lebens annimmt. Nur ein so ausgezeichneter
Kvlorist wie Gustav Richter durste sich an die Ausgabe
wagen, das allmähliche Hinüberwachsen der rosigen Fnrbe
in den weißen Stein malerisch darzustellen, und er
hat diese Ausgabe in überraschender Weise gelöst. Ein
figurenreiches „Opser vor Äskulap", wiejenes inkleinercm
Maßstabe gehalten, ein Dankbild an den Arzt seiner
Familie, zeigt weiter, mit welchem Verständnis Richter
auch das antike Leben erfaßt hatte. Jm vierten Raume
sind noch die Brustbilder des Kaisers (1877) und dcs
Malers Hoguet (1862) zu erwähnen, welches letztere
im Anfang jener Bildnisse steht, mit welchen die
Periode der reifsten und höchsten Entwickelung Richters
anhebt. Jm fünften Raume endlich sind vornehmlich
die Familienporträts — unter ihnen dic beidcn Grup-
penbildnisse von 1874: blvviva! und „Muttcrglück", das
schöne, wenige Jahre vor dem Tode gemalte Selbst-
porträt und die Bildnisic der vier Söhne — vereinigt,
außerdem allerlei mit Gemälden verziertes Hausge-
rät, bemalte Ofen- und Bettschirme, Blaker rc., zn
dencn nvch ein Toilettentisch und ein Fächer zu rechncn
sind, aus welchem Richter seine Hauptwerkezu einem leben-
digen Kranze von Gestalten sinnreich verbunden hat.

Gewinnt der künstlerische Entwicklungsgang Rich-
ters durch diesc Ausstellung erheblich an Klarheit, sv
fttllt dabei anch nnf seine künstlerische Bedeutung cin
neuer Glanz. Selten ist einem Künstler von der
Kritik und dem Pnbliknm ein so rciches, vft über-
schwängliches Lob gespendet worden, wie ihm. Für die
Kritik gewährt diesc Ausstellung insosern eine Be-
ruhigung, als sie hier die Summe aus einer reichen
Thätigkeit ziehen kann und dabei zu dem Ergebnis
gelangt, daß auch die imposante Totalität des Werkes
das dem einzelnen crtcilte Lob Vvllkvmmen rechtsertigl.
Was Richter an Bildnissen während der letzten zwanzig
Jahre seines Lebens geschaffen, ist ein ebenso vollkom-
mener künstlerischer Ausdruck diescr Zeit wie es die
Porträtgalerie von Äoshua Reynvlds, Gsrard, Magnns,
ja noch mehr, wie es die von van Dyck sür die ihrige
waren, wvbei natürlich zu berücksichtigen ist, daß der
lctztere das iinantastbare Vorrecht der Klassizität besitzt.

Adolf Rosenberg.
 
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