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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 19.1884

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Vom Ulmer Münster
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https://doi.org/10.11588/diglit.5805#0298

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Vom Ulmer Münster.

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die ganze Last der Ostseite des vollendeten Turmes allein,
und zwar mit nahezu zwanzigfacher Sicherheit, zu
tragen, nach gemachten Versuchen anf die Druckfestig-
keit des Materials. Jm Zusammenhang mit der
ganzen Verstärkung Ler Ostseite steht sodann der neue
Orgelunterbau. Er ist, bis auf die herrliche
Brüstung von gotischem Maßwerk, vollendet und spannt
sich mächtig stützend in einer Höhe von 13 in quer
über die Turmöffnung herüber. Der Durchgangsbogen
unter demselben wird in seiner lichten Höhe vvn 11,2 in
einen freien und viel schöneren Durchblick ins Schiff
beim Eintritt in den Dom gewähren, als dies einst
bei dem früheren, gedrückten Unterbau der Fall war.
Nach vben ferner wird das große Westfenster (Martins-
fenster) sowohl in der Breite als in der Höhe srei bleibeu,
auch nach aufgestellter Orgel, so daß es mit der Pracht
seiner Glasmalereien, die es demnächst erhalten wird,
voll aus seiner majestätischen Höhe in die Kirche her-
niederschaut. Sind dies die Verstärkungsarbeiten im
Untergeschoß des Turmes, so müssen wir auch noch
derer an den Fenstern durch alle Geschosse hindurch
gedenken. Sie bestehen, wie früher bemerkt, in Ein--
bauten in die inneren Fensterlaibungen und kräftigen
Berspannungsbögen quer über die Fensteröffnungen
herüber; sie sind demnächst bis unter das Oktogon voll-
endet, und waren um so nötiger, als dessen Ecken
gerade auf die Spitzen der Fensterbögen zu stehen
kommen. Von außen sind diese Fenstereinbauten wenig
wahrnehmbar, da sie innen und hinter dem bestehen-
den Maßwerk eingesetzt sind; und auch wo sie bemerk-
bar sind, stören sie die Harmonie des Ganzen nicht. —
Während all dieser Arbeiten im Jnnern des Turmes
wurde auch, nach der schon mitgetcilten Abnahme des
Notdaches, das an der Nordseite des Turmes sich
heraufrankende Gerüste auf der Plattform bis zur
Höhe von 12 in fortgesetzt, eine schwierige nnd ge-
fährliche Arbeit, welche ohne das geringste Unglück zu
stande kam. Nach Abbruch des unbrauchbaren alten
Anfanges des Oktogons wurde oben die achtpferdige
Gaskraftmaschine zum Aufzug der Werksteine anfgestellt
ncbst den Laufkrahnen, »m, sobald die inneren Arbeiten
ganz vollendet sind, zum Weiterbau schreiten zu können.

Wenden wir uns nun zum Jnnern der Kirche!
Hier hat das Lntherfest uns eine schöne Gabe gebracht,
indem der über den Sommer nnter der Leitung dcs
Münsterbaumeisters, Prof. Beyer, durchgängig herge-
stellte, in allen schadhaften Stellen verbesserte, stilge-
recht ausgemalte uud mit zwei neuen Fenstern in Glas-
malerei geschmückten Chor dem kirchlichen Gebrauche
zurückgegeben wurde. Die Bemalung hatte nicht nur
dem Charakter des protestantischen Gotteshauses, son-
dern auch der Rücksicht Rechnung zu tragen, die Glas-
malereien voll zur Geltung kommen zu lassen uud I

in keine Rivalität mit ihrer Farbenglut zu treten,
wodurch eine unruhige, statt ciner harmonischen
Stimmung erzeugt worden wäre. Die geschickte Aus-
führung durch Maler Lohsen von Köln, der auch die
Münstersakristei ausgemalt, hat mit Recht den allge-
meinsten Beifall gesunden. Kapitelle, Gewölbrippen
und Schlußsteine sind in kräftig hervortretenden Farben
gehalten, die Flächen in leichten Tönen; in die Zwickel
schiebt sich reichliches Laubwerk. Die großen fenster-
losen Wände über den Syrlinschen Chorstühlen er-
hielten aufgemalte Fenster; und dies ist das einzige,
was vielleicht nicht ganz befriedigen kann. Wir
unsererseits wenigstens hätten da ein sreies Teppich-
muster lieber gesehen. Jm ganzen macht der Raum
jetzt einen herrlichen, harmonischen Eindruck und ist
von gleichmäßig gebrochenem, zaubervollem Licht durch-
strömt, da unter den neun Fenstern nur noch ein ein-
ziges (nicht sehr helles, in der linken Ecke) ohne far-
bige Tafeln ist. Wir haben die zwei hochbedeutenden
Hans Wildschen Fenster von 1480, vier ältere
(restaurirt) von 1417 und 1449 und nun die zwei
neuen, das eine von Zettler in München, das andere,
eine Stiftung der Familie von Besserer, von Gebrüder
Burkhardt dort verfertigt. Jenes ist ein Paulus-
fenster (mit zwei großen Darstellungen: „Stephanus'
Steinigung" und „Pauli Bekehrung" und mehreren
kleineren); dieses stellt oben zwei Scenen aus der
Apokalypse nach Dürer dar (die vier Reiter, Erzengel
Michael), unten Bilder aus der Familiengeschichte der
Stister. Dieses Befferer-Fcnster von Burkhardt über-
trifft das Zettlersche an Tiefe und Glut sowie Har-
monie der Farbenstimmung betrLchtlich und ist als eine
der vorzüglichsten Leistungen der neueren Glasmalerei
anzuerkennen; in der ganzen Haltung sucht es sich mit
Erfolg dem Stile der alten Fenster ihm gegenüber anzu-
schließen; die sehr passenden Zeichnungen sind schön in
den Raum komponirt. — Auf den Luthertag wurde
auch das Antependium Vvn tiefrotem Tuch für den
Choraltar (Predella und Flügel von Schasfner) fertig,
eine Stistung von Ulmer Frauen. Es ist dreifach ge-
feldert; mitten das Weihekreuz mit dem Monogramm
Christi und Lilien auf blauem Atlasgrund; seitlich
zwei Bierpässe mit Rosen, Randstäbe mit Weinlanb
und Ähren. Die vorzüglich schöne Stickerei in Gold
uud Silber arbeitete Fräulein Rosa Amalie Maier
hier, deren Atelier für plastische Kunststickerei nach
dieser Prvbe auch weiteren Kreisen bestens empfohlen
werden darf. Nicht minder als die volle technische
Sicherheit, welche sich den koniplizirtesten Aufgaben ge-
wachsen erweist, ist bei dieser prachtvollen Arbeit, welche
demnächst in Stnttgart ausgestellt sein wird, das feine
Verständnis der Formen zu rllhmen, das die Künstlerin
bei dcr textilen Wiedergabe derselben an den Tag legte.
 
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