Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 19.1884

DOI Artikel:
Neue Schriften über die Darstellung des jüngsten Gerichtes
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5805#0309

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
613

Neus Schriften über die Darstellu»«; des jiingsten Gerichtes.

614

Aufgabe zugewandt. Dic Schrift dvn P. Jessen^)
fiihrt den Titcl: Die Darstellnng des Weltgerich-
tes bis auf Michclangelv, die Abhandlnng vvnG-
Voß (Beiträge zur Kunstgeschichte, Hcst VIII) 2) ist über-
schrieben: Das jüngste Gericht in der bildenden
Kunst des friihen Mittelalters. Man sieht, daß
Jessen den Gegenstand weiter faßt nnd seine Schrift
einen viel grvßeren Zeitraum unisaßt. Ob er nicht
besser gethan hätte, seine Untersuchung ähnlich wie
Voß auf das frühe Mittelalter einzuschränken, steht
dahin. Wesentlich Neues hat er über die Darstcllungen
des jüngsten Gerichtes seit dem 14. Jahrhundert nicht
beigebracht, durch das Übermaß ästhetischer Gefühls-
ausbrüche die Klarheit der streng historischen Schilde-
rung nicht selten verwischt. Bedenkticher erscheint der
Umstand, daß durch diese Ausdehnung des Fvrschungs-
gebietes die Einheit des kritischen Standpunktes leicht
gefährdet wird. Bei der Betrachtung der Werke aus
dem frühcn Btittelalter handelt es sich um deu Nach-
weis, wie der Jnhalt der Darstellung sich allmählich
verdichtet, die verschiedenen Elcmente desselben lang-
sam zusammenwachsen, bis endlich feste Typen ent-
stehcn, welche nur nvch svrinale Anderungen erleiden.
Der ikonographische Standpunkt steht entschieden im
Vordergrunde. Die Werke der spätcren Zeit, vvm
14. Jahrhundert angefangcn, verlangen eine formale
Kritik. Sie sind Schvpfungen einer individuellen
Phantasie, Prvdukte bestimmter Persvnlichkeiten. Daher
gilt es, sie vorwiegend auf ihren künstlerischen Wert zu
prüfen, wie sich die eigentümliche Natur des Künstlers
in ihnen offenbart, zu beobachten. Dort wird die Ent-
wickelung des Jnhaltes der Darstellung, hier die Ent-
wickelung der Form und künstlerischen Gestaltung in
das Auge gesaßt. Es will uns bedünken, als ob Jessen
diesen dvppelten Standpunkt in der Beurteilung nicht
immerscharf gesondert hätte. Voß hat das ikonographische
Prinzip strenger gewahrt. Daü ist nicht der einzigeUnter-
schied, welcher zwischen den beiden Schriften waltet.
Auch die Resultate der Fvrschung stehen in vielfachem
Gegensatze zu einandcr. Jessen hat fvlgendcn Gang
der Untersuchung eingeschlagen. Nachdem er die bib-
lischen Textc, auf wclchcu die Darstellung des jüngsten
Gerichtes beruht, zusammenstellt und ssehr unvvll-
ständig und schlecht gevrdnet) die poctischen Schilde-
rungen desselben aufzählt, kommt er sofort auf den
byzantinischen Einfluß im Abcndlande zu sprecheu. Als
Zeugnisse dcsselben fiihrt er das Mvsaikgemälde im
Dvme zu Tvrcello bei Venedig und die Miniaturen
im Horluii cis1iois.rnui der Herrad Vvn Landsperg, zwei

t) 4«. 62 S. mit 8 Tafeln Vcrlag der Weidmannschen
Buchhandlung.

2) 8°. 60 S. mit 2 Tafeln und mehreren Holzschnitten
im Tsxte. Verlag von E. A. Seemann.

Werke des 12. Jahrhunderts, an. Vvn den süditali-
schen Werken erwähnt er flüchtig das Wandgemälde
in der Kirche Donna Regina, übersieht das wichtige
Bild in S. Stefano zu Soletv und beschreibt dann
ausführlich die Freske in S. Angelv in korniis, welche
aber mit den früher erwähnten in keinem Zusaiumen-
hange stcht, aus dieser Reihe jedenfalls ausgcschieden
werden muß. Jessen läßt darauf die plastischen Ver-
suche der romanischcn Periode fvlgen.

Dieschriftlichen undkünstlerischenZeugnisie derkarv-
lingischen Perivde werden teils gar nicht erörtert, teils
unter die Werke, welche angeblich byzantinischen Ein-
sluß verraten sollen, gerechnet, obgleich sie älter sind
als die byzantinischen Denkmale und nicht die geringste
fvrmale Verwandtschaft mit diesen vffenbaren. Der
Bamberger Cvdex der Apokalypse hätte wvhl eine
genauere Beschrcibung verdient, da er in Verbindung
mit anderen gleichzeitigen Cvdices beweist, daß in
Deutschland bereits in der ersten Hälste des II. Jahrh.
ein Typus sich eingebürgert hatte, welcher mit dem
byzantinischen Kanon nichts gemein hat. Wie aus der
rvmanischen Periode, sv werden auch aus der gvthi-
schen Zeit zahlrciche plastische Denkmale aufgezählt und
die letzteren im ganzen auch richtig beurteilt. Wundcr-
bar erschien uns nur das Staunen Jessens darübcr,
daß die Malerei fv viel länger als die Plastik an der
Mandorla festhielt. Wir meinen, daß sich das ganz
einsach aus der verschiedenen Natur der beiden Kunst-
gattungen und dem specifisch farbigen Wesen der Man-
dorla erklärt. Das weitere Kapitel behandelt die Dar-
stellungen des jüngsten Gerichtes in der flandrischen
Schule und in der altdeutschen Kunst. Überflüssig
dürste wvhl vielen die Grübelei dünken, wie sich ein
jüngstes Gericht, von Dürers Hand gemalt, ansge-
nvmmen haben würde, wenn er ein svlches Bild geschaffen
hätte. Der Verfasier hat darüber folgende Meinung:
„Wir sind nicht sicher, daß in der Geschichte der Kvm-
pvsitivn ein jüngstes Gericht Dürers den Rang würde
behaupten kvnnen, welchen ihm der Name des Ur-
hebers verhieße." Mit gleichcm Rechte kvnnte auch das
Gegcnteil von dem phautasiereichen Meister behauptet
werden. Mit sichtlicher Vvrliebe ist das Kapitel über
Jtalien gearbeitet, hier fehlt es am wenigsten an tref-
fenden Bemerkungen, nur mvchten wir gegen die Be-
zeichnung des Fra Angelicv 'als Rvmantiker Ver-
wahrung einlegen.

Die Abhandlung Vvn Voß ist methodischer ange-
legt. Nachdem er die Lehre Vvm jüngsten Gericht an
der Hand der Bibel nnd der ältesten Kirchenschrift-
steller auseinandcr gesetzt, geht cr daran, die Vorstufen
einer künstlerischen Darstellung desselben aufzuzählen.
Er zerlegt das Bild des jüngsten Gerichtes gleichsam
in seineElemente, ervrtert, wie dic einzelnen daselbst aus
 
Annotationen