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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

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Schumann, Paul: Kriegstagung für Denkmalpflege in Brüssel
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https://doi.org/10.11588/diglit.6190#0292

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Kriegstagung für Denkmalpflege in Brüssel

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und sich dem Charakter der örtlichen Bauweise
nach Möglichkeit anschließen.
4. Von Freilegungen ist grundsätzlich Abstand zu
nehmen.

Bei der in Belgien herrschenden Altertümelei fällt der
Bauberatung die nicht ganz leichte Aufgabe zu, hier
Wandel zu schaffen, damit vor allem die Harmonie
der Stadtbilder als oberster Grundsatz zur Geltung
kommt. Da grundsätzlich belgische Architekten die
Bauaufgaben in Belgien lösen sollen, muß die Bau-
beratung mit allem Nachdruck durchgeführt werden,
soll anders nicht die Zukunft für alle mißglückten
Kunstleistungen belgischer Architekten an Stelle der
im Kriege zerstörten alten Bauten den deutschen
»Barbarismus« verantwortlich machen.

Der Redner streifte dann noch die Frage, wie bei
der Wiedereinrichtung der Wohnstätten neuer Hausrat
beschafft und daher vielleicht alte Handwerkskunst
wiederbelebt und gefördert werden könne und schloß
mit dem Wunsche, daß, wie sich die deutsche Ver-
waltung schon in vielen Punkten für Belgien segens-
reich erwiesen habe, auch die deutsche Stadtbaukunst
hier gute Früchte zeitigen möge, damit wirklich neues
Leben aus den Ruinen blühe.

In der Besprechung des Vortrags wurde das skla-
vische Kopieren alter Gebäude und Formen allgemein
verworfen, indes befürworteten einzelne Redner, daß
man die alten Formen nicht schlechthin verwerfe; in
freier Anlehnung daran könnten wohl einwandfreie
Werke geschaffen werden. Eine grundsätzliche Be-
vormundung und zwangsweise Beeinflussung der
Belgier wurde verworfen. Dabei ist aber doch die
herrliche Grand' Place in Brüssel das überzeugende
Beispiel davon, was durch Zwang und Strafandrohung
auf dem Gebiete des Städtebaues geschaffen werden
kann! Auch Exzellenz Freiherr v. Bissing ergriff das
Wort und erklärte sich in einer prächtigen freimütigen
Rede mit Rehorsts Plänen einverstanden.

Zum Schluß berichtete Dr. ing. Lindner, Ge-
schäftsführer des Bundes Heimatschutz, über Heimat-
schutzfragen in Ostpreußen. Zerstört sind in
Preußen 24 Städte, beinahe 600 Dörfer, ungefähr
300 Güter und über 30000 Gebäude; aus über
100000 Haushaltungen ist der Hausrat völlig ver-
nichtet oder verschleppt; allein für den Wiederaufbau
der Gebäude werden etwa 300 Millionen Mark er-
forderlich sein. Hilfe wird außer durch Geld geleistet
durch ein Hauptbauberatungsamt, durch 20 Bezirks-
architekten, die u. a. Bebauungspläne mit aufzustellen
und zu prüfen, auch beim Bau mit zu raten haben,
auch durch eine Baustoff-Einkaufsgenossenschaft. Zur
Besserung der gesundheitlichen Verhältnisse und des
Verkehrs sind Umlegungen nötig. Die Bauordnungen
sind neu durchgearbeitet worden; die baupolizeilichen
Anordnungen sollen nach den örtlichen und landschaft-
lichen Verhältnissen abgestuft werden. Wirtschaftlich-
keit (Vermeidung unnützer kostspieliger Anforderungen)
und Sorge für das Stadtbild sind besonders berück-
sichtigt. Ortsstatute gegen Verunstaltung sollen er-
lassen werden. In bezug auf den Baustil, in dem
gebaut werden soll, sprach der Redner gegen Bestre-

bungen, Fremdartiges in Ostpreußen einzuführen und
dem Heimatschutz falsche Absichten unterzuschieben.
Es handelt sich beim Wiederaufbau darum, die ein-
heimische Bauweise gemäß den gegenwärtigen Be-
dürfnissen weiter zu entwickeln, einfach, sachlich und
zweckmäßig. Der Bund Heimatschutz wird eine
Sammlung mustergültiger alter Bauanlagen als ein
praktisches Hilfs- und Handbuch für den Wieder-
aufbau herausgeben. Es wird sich dadurch heraus-
stellen, daß die Provinz eine Baukultur namentlich
im 18. und im Beginn des ig. Jahrhunderts hatte,
aus der wir bei richtiger Deutung und der notwen-
digen Berücksichtigung aller modernen und der be-
rechtigten heimatlichen Anforderungen Ungeahntes
schöpfen können. Der Heimatschutz wünscht kein
Kleben am Stil der Vergangenheit, sondern eine ge-
sunde starke Grundlage, die das Handwerk fördern
und wieder selbständiger machen und verinnerlichen
kann. Den Bezirksarchitekten soll die tausendfache
Arbeit durch Normalien, z. B. für die wenige Meter
langen einstöckigen Putzbauten mit Satteldach er-
leichtert werden; ebenso für allerbescheidenste länd-
liche Bauaufgaben, die ohne Motivchenhascherei den
besonderen Geist der Gegend, vielleicht des Orts
atmen können. Auch für Einzelheiten sollen Vor-
bilder gegeben werden.

In der Aussprache machte ein Redner die an-
sprechende Bemerkung, man solle hierbei den Burg-
frieden wahren, d. h. die Burgen in Frieden lassen.
Weiter wurde ein ganz entschiedener Widerspruch
gegen ein Vorbilderwerk für ländliche Bauten, das
mit einer Art amtlichen Scheins umgeben ist, ein-
stimmig angenommen.

Montag den 30. August unternahmen die Teil-
nehmer an der Kriegstagung mit Sonderzug einen
Ausflug nach Mecheln, Löwen, Lier und Antwerpen.
Sie hatten dabei reichlich Gelegenheit, sich von den
Verwüstungen, die der Krieg an Wohnhäusern wie
an Privateigentum angerichtet hat, durch den Augen-
schein zu überzeugen. Indes gewannen sie nicht
minder die Überzeugung, daß in genauer Überein-
stimmung mit den Berichten von Clemen, v. Falke
und Rehorst an Monumentalbauten und hervorragenden
Kunstwerken in der Tat nichts derart beschädigt
worden ist, daß es nicht in kurzer Zeit wiederher-
gestellt werden könnte — ausgenommen die schon
oben genannten beiden Fälle. Nur Böswillige oder
vollständige Laien in Bausachen können etwas anderes
behaupten.

Die Kriegstagung in Brüssel hat nach allem voll-
ständig ihren Zweck erfüllt. Die Teilnehmer haben
einen weitreichenden Überblick gewonnen über die
Aufgaben, die der Denkmalpflege durch den Krieg
zugewachsen sind. Sie haben sich überzeugt, daß
das deutsche Generalgouvernement diese Aufgaben in
zielbewußter sachverständiger Weise angefaßt hat; und
weiter hatte der Tag für Denkmalpflege die Genug-
tuung, zu erfahren, daß die Grundsätze für Städtebau
und Restaurierung alter Denkmäler, wie sie sich inner-
halb des Tages seit fünfzehn Jahren durchgesetzt haben,
in Carl Rehorst einen entschiedenen Vertreter ge-
 
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